El Salvador | Nummer 433/434 - Juli/August 2010

Alle gegen die Maras

Nach dem tödlichen Brandanschlag auf einen Linienbus wird die Sicherheitsdebatte in El Salvador neu entfacht

Mindestens 17 Menschen starben, als mutmaßliche Mitglieder einer Jugendbande in El Salvador am 20. Juni einen vollbesetzten Bus anzündeten. Der linke Präsident Mauricio Funes kündigte umgehend ein neues Gesetz zur Kriminalisierung der als Maras oder pandillas bekannten Jugendbanden an. Damit nähert er sich alten Konzepten der ultrarechten ARENA an. Diese wittert nun ihre Chance und fordert weitergehende Maßnahmen.

Tobias Lambert

Politik und Presse zögerten nicht, umgehend von einem Massaker zu sprechen. Die Botschaft ist eindeutig: Auch in offiziellen Friedenszeiten, fast zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Bürgerkrieges, finden in El Salvador nur schwer zu begreifende Gewaltexzesse statt. 14 Menschen wurden am 20. Juni getötet, als Unbekannte einen Bus anzündeten. Weitere 18 Personen wurden zum Teil schwer verletzt, drei davon starben später im Krankenhaus. Das Verbrechen geschah in Mejicanos, einem 140.000-Einwohner-Vorort der Hauptstadt San Salvador.
Bereits einen Tag später nahm die Polizei acht Tatverdächtige fest, von denen vier noch nicht die Volljährigkeit erreicht haben. Die Verdächtigen werden den so genannten Maras zugerechnet. Diese untereinander verfeindeten Jugendbanden mit Namen wie „Mara Salvatrucha“ oder „Mara 18“ wurden ursprünglich von zentralamerikanischen Migranten in den USA gegründet und fassten durch die Abschiebung zahlreicher Bandenmitglieder in den 1990er Jahren Fuß in Zentralamerika. Heute haben sie vor allem in El Salvador, Honduras und Guatemala zehntausende Mitglieder, kontrollieren ganze Stadtviertel und erpressen unter anderem Schutzgeld. Fast 80 MitarbeiterInnen von Busunternehmen wurden dieses Jahr bereits gezielt getötet, viele davon mutmaßlich im Auftrag der Maras. Ein Massenmord wie am 20. Juni passt allerdings nicht so recht in das bisherige Schema der Banden, das Motiv ist unklar.
Präsident Mauricio Funes, der als ehemaliger Fernsehjournalist gemeinsam mit der linken FMLN (Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí) vor gut einem Jahr die Regierung übernommen hatte, zeigte sich schockiert. Er sprach von einem „terroristischen Akt“ und kündigte am 23. Juni an, die bestehende Gesetzgebung gegen Jugendbanden zu verschärfen: „Ich habe dem Sicherheitsministerium die Anweisung erteilt, dem Parlament innerhalb kürzester Zeit einen Gesetzesentwurf zur Kriminalisierung der Maras vorzulegen“, sagte er der versammelten Presse. Nähere Details nannte der Präsident zunächst nicht. Konkreter äußerte sich der Vizeminister für Justiz und Sicherheit, Henry Campos: „Die Idee besteht darin, die reine Mitgliedschaft in einer Bande unter Strafe zu stellen, ohne ein anderes Delikt beweisen zu müssen.“ Funes kündigte zudem an, die Gefängnisse des Landes schärfer überwachen lassen und dazu auch das Militär einsetzen zu wollen. Viele Straftaten werden von inhaftierten Bandenmitgliedern aus den Gefängnissen heraus telefonisch angeordnet. Bereits seit Ende letzten Jahres setzt die Regierung das Militär zur Verbrechensbekämpfung im Inneren ein – erstmals seit Verabschiedung der Friedensverträge 1992 zur Beendigung des Bürgerkriegs.
Die Gewalt ist auch ein gutes Jahr nach dem Amtsantritt des ersten Präsidenten der FMLN eines der größten Probleme in der Wahrnehmung der Bevölkerung. Mit mehr als 70 Tötungsdelikten je 100.000 EinwohnerInnen ist die Mordrate des Landes laut offiziellen Statistiken eine der höchsten der Welt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert bereits mehr als zehn Morde je 100.000 EinwohnerInnen als „epidemisch“. Für einen Großteil der Gewalt macht die Politik seit Jahren die Maras verantwortlich, obwohl Studien dies keineswegs belegen können.
Unmittelbar nach dem Verbrechen zeichnete sich im Parlament eine breite Zustimmung für Funes‘ Vorstoß ab. Am 28. Juni traf sich der Präsident mit RepräsentantInnen aller im Parlament vertretenen Parteien. Diese stellten sich prinzipiell hinter das Vorhaben. Auch Unternehmensverbände wie die einflussreiche Nationale Vereinigung der Privatunternehmen (UNEP) signalisierten Unterstützung. Die rechte Tageszeitung El Diario de Hoy veröffentlichte eine Meinungsumfrage, wonach sich 80 Prozent der Befragten dafür aussprachen, Mara-Mitglieder als Teil des organisierten Verbrechens zu definieren. Dieselbe Umfrage offenbart auch, wie sehr die persönliche Wahrnehmung von Gewalt durch Nachrichten und Kriminalitätsdiskurse beeinflusst wird. Die Frage „Glauben Sie, dass die Kriminalität in den letzten Tagen zugenommen hat?“, bejahten 97 Prozent.
Funes‘ Ankündigungen erinnern an die gescheiterte Politik der „harten“ und „superharten Hand“, die seine Amtsvorgänger Francisco Flores und Antonio Saca von der ultrarechten ARENA (Republikanisch-Nationalistische Allianz) propagiert hatten. 2003 wurde unter Flores ein Anti-Mara-Gesetz verabschiedet, das die Mitgliedschaft in einer Jugendbande unter Strafe stellte. Die FMLN war damals strikt dagegen. Das Oberste Gericht entschied 2004, dass das Gesetz verfassungswidrig sei. Zur Begründung hieß es unter anderem, dass es explizit gegen eine bestimmte Gruppe von Personen gerichtet sei und daher den Grundsatz der Gleichheit verletze. Funes ist sich dessen bewusst und äußerte, das neue Gesetz werde sich „im Rahmen der Verfassung“ befinden. Die damalige Ablehnung seiner jetzigen Partei bezeichnete er rückblickend als Fehler.
In Folge der „Politik der harten Hand“ hatte die Polizei alle Freiheiten bekommen, Personen alleine aufgrund äußerer Merkmale wie Kleidung, Gestik oder den für die Maras typischen Tätowierungen festzunehmen. Dies führte zwar zu deutlich mehr Verhaftungen, tatsächlich begangene Straftaten konnten jedoch meist nicht nachgewiesen werden. Laut der salvadorianischen Menschenrechtsorganisation FESPAD wurden von insgesamt fast 20.000 festgenommenen Personen über 90 Prozent mangels Beweisen zeitnah wieder frei gelassen.
Diese Beweispflicht soll nun stark eingeschränkt werden. Schon Anfang Juli präsentierte die Exekutive einen ersten Gesetzesentwurf. Demnach sollen sämtliche Maras und Todesschwadronen zukünftig zu den verbotenen Vereinigungen zählen und würden damit rechtlich in den Bereich des organisierten Verbrechens fallen. Die Beweispflicht würde sich zunächst auf die Mitgliedschaft beschränken, unabhängig von den Delikten, die im Rahmen dieser Mitgliedschaft möglicherweise begangen wurden. Verboten wäre demnach auch jegliche Unterstützung oder Finanzierung von Maras. Eine gleichzeitig vorgeschlagene Reform des Strafgesetzbuches sieht die Ausweitung der Haftstrafen für die Mitgliedschaft in verbotenen Vereinigungen auf sechs bis 15 Jahre vor. Derzeit sind es zwischen drei und neun Jahren.
Die geplanten rechtlichen Bestimmungen gegen die Maras beziehen sich somit auf sämtliche unerlaubte Organisationen. Damit dürfte der juristische Fehler des Anti-Mara-Gesetzes von 2003, das sich explizit nur gegen die Jugendbanden richtete, behoben sein. Einer der Hauptunterschiede zwischen neuem und altem Anti-Mara-Gesetz ist zudem, dass das neue Gesetz nicht auf Minderjährige anwendbar sein soll, da dies internationalen Abkommen widerspricht. Dieser Punkt wird teilweise jedoch selbst in der FMLN kritisiert, da viele Mara-Mitglieder noch nicht volljährig sind. Die Kritik von JuristInnen kreist vorwiegend um die Frage, wie die Mitgliedschaft in einer Mara nachgewiesen werden soll. Rein äußere Merkmale reichen dafür laut verbreiteter Meinung kaum aus. Genaue Angaben über die nötigen Beweise blieb die Regierung bei der Präsentation des Gesetzesentwurfs schuldig. Vizesicherheitsminister Henry Campos erklärte gegenüber dem linken Internetportal Contrapunto: „Der Präsident wird das Projekt analysieren und kann darum bitten, dass Dinge gestrichen oder hinzugefügt werden, bevor es an das Parlament geht.“ Schon jetzt ist absehbar, dass der Entwurf noch verändert werden wird. Vor allem rechte PolitikerInnen und UnternehmerInnen kritisieren die Vorschläge als nicht ausreichend.
Tatsächlich stellen die jüngsten Entwicklungen in der Sicherheitspolitik aber einen handfesten Erfolg der rechten Opposition dar. Die FMLN übernimmt nicht nur deren propagierte Politik, sondern gibt offen zu, sich in der Vergangenheit geirrt zu haben. Einen „linken Ansatz“ in der Verbrechensbekämpfung wird es somit vorerst nicht geben. Im Gegenteil: Mit weiter gehenden, rein repressiven Forderungen treiben ARENA und andere rechte Parteien die FMLN bei dem Thema vor sich her. Die sozialen Ursachen der Gewalt werden in der Debatte zunehmend an den Rand gedrängt, wohl auch, weil deren Behebung selbst bei bestehendem politischen Willen viel Zeit benötigen würde und die gefühlte Sicherheit der Bevölkerung kurzfristig nicht erhöhen könnte.
Die erst Anfang dieses Jahres gegründete ARENA-Abspaltung GANA (Große Allianz für die Nationale Einheit), die dreizehn Abgeordnete im Parlament stellt, forderte gar eine Verfassungsreform, um die Todesstrafe wieder einzuführen.
Das geht zwar selbst der auf 18 Abgeordnete geschrumpften ARENA zu weit. Die ehemalige Regierungspartei forderte jedoch umgehend eine weitere Militarisierung des Kampfes gegen die Maras. So soll nach ihren Vorstellungen eine Anti-Mara-Spezialeinheit des Militärs gebildet werden, um in Vierteln, die von Jugendbanden kontrolliert werden, Präsenz zu zeigen. Militär- und Zivilpolizei sollen aufgestockt werden. Für einfache Bandenmitglieder schlägt ARENA zur Rehabilitierung einen obligatorischen zweijährigen Militärdienst vor, um sie mit militärischer Disziplin, aber ohne Waffen, auf ein Leben nach der Mara vorzubereiten. Die Chefs der Banden sollen hingegen in einem Hochsicherheitsgefängnis auf der Insel Martín Pérez im Golf von Fonseca weggesperrt werden, das vom Militär kontrolliert wird und wo es kein Mobilfunknetz gibt. Alles in allem will ARENA die Maras so innerhalb weniger Jahre besiegen. Vizesicherheitsminister Campos ließ verlauten, die Vorschläge prüfen zu wollen.
Anfang Juli sorgten die rechten Parteien mit ihrer gemeinsamen Mehrheit und göttlichem Beistand dann doch noch für einen präventiven Ansatz im Parlament: Auf Antrag der kleinen Partei der Nationalen Versöhnung (PDC) beschlossen sie gegen die Stimmen der FMLN eine verpflichtende tägliche Bibellektüre von sieben Minuten vor Beginn des Schulunterrichts. Zur Begründung der BefürworterInnen hieß es unter anderem, dass dadurch der Gewalt vorgebeugt werden könne.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren