Brasilien | Nummer 313/314 - Juli/August 2000

Aluminium hat einen matten Glanz

Porto Trombetas, die drittgrößte Bauxitmine der Welt (Teil I)

Aluminium gilt als Material der Zukunft. Bespielsweise eingebaut in 3-Liter-Autos kommt es als ökologischer Werkstoff daher. Doch wie wird Aluminium hergestellt? In einer dreiteiligen Reportage berichtet Andreas Missbach von seiner Reise zu einer Mine, einem Kraftwerk und einer Alufabrik mitten im brasilianischen Regenwald. Deren Firmensprecher reden wie Hochglanzprospekte. Der erste Teil führt uns zu den Menschen, die im Schatten der Industrieanlagen leben und an denen der Reichtum der Region vorbeizieht.

Andreas Missbach

Das hier ist nicht Brasilien“, sagt
Marina Duarte Vianna. Die Öffentlichkeitsbeauftragte der Bergwerksgesellschaft Mineração Rio do Norte (MRN) steuert den schweren, klimatisierten Pick-up langsam durch die Straßen von Porto Trombetas. Knapp tausend Häuser, der größte Teil davon Einfamilienhäuser mit gepflegten Gärten, Schulen, ein Hotel, Clubs mit Schwimmbad und Tennisplätzen, Läden, ein Supermarkt und ein Spital liegen mitten im Regenwald. Keine Straße führt hierhin. Porto Trombetas ist Teil der drittgrößten Bauxitmine der Welt, und eine Welt für sich.
Ein internationales Konsortium, an dem unter anderem das kanadische Aluminiumunternehmen Alcan beteiligt ist, baut am Rio Trombetas, einem Nebenfluss des Amazonas, Bauxit ab, den Rohstoff zur Aluminiumherstellung. Das rötliche Erz liegt in elf Meter Tiefe auf leicht erhöhten Plateaus unter dichter tropischer Vegetation. Im Tagebau graben sich riesige Maschinen zu den Bauxitlagern vor. Menschen sind kaum zu sehen. Nur vierzig Männer pro Schicht arbeiten an der Abbaukante. Ihre Geräte sind gigantisch. Bis zu zwanzig Tonnen Erz passen in eine Baggerschaufel, in weniger als einer Minute sind hundert Tonnen auf einen Speziallastwagen geladen. Das Erz wird zerkleinert, gewaschen und in Eisenbahnwagen in den dreißig Kilometer entfernten Hafen Porto Trombetas gefahren. Auch das Verladen geschieht weitgehend automatisch. Das Erz, das über den kalten Nordatlantik nach Kanada oder Nordeuropa verschifft wird, durchläuft einen Troc-knungsofen, damit es im Schiffsrumpf nicht zu einem kompakten Block gefriert. Sechzig Prozent des Bauxits wird jedoch in Brasilien selbst weiter verarbeitet und braucht deshalb nicht getrocknet zu werden.
Die Produktivität der Mine wurde in den letzten Jahren laufend gesteigert. Es herrscht Schichtbetrieb, 24 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche. Im Jahr 1989 betrug die Jahresproduktion pro MitarbeiterIn 3.733 Tonnen Bauxit, 1998 (aus diesem Jahr stammen die letzten Zahlen des Unternehmens) waren es 10.678 Tonnen, obwohl nur noch halb so viele Menschen beschäftigt wurden. 950 Menschen arbeiten derzeit direkt bei der Mineração Rio do Norte, noch einmal so viele sind bei den verschiedenen Subunternehmen angestellt, die im Minenkomplex tätig sind.
In Porto Trombetas haben die Straßen keine Schlaglöcher, Fahrräder stehen unabgeschlossen am Straßenrand und in den parkenden Autos steckt der Zündschlüssel. Sogar die soziale Hierarchie ist straffer organisiert als im übrigen Brasilien. Vom Maschinenführer oder Chefmechaniker aufwärts haben die Arbeiter ein Anrecht auf ein Haus in der Siedlung der Mine. Die weniger qualifizierten MitarbeiterInnen, die ungefähr 250 DM im Monat verdienen, wohnen wie die noch schlechter bezahlten Hilfskräfte und Hausangestellten in Hütten außerhalb des Firmengeländes.

Trombetas, ein Loch im Regenwald
1979 wurde der erste Erzfrachter auf dem Rio Trombetas beladen. In den ersten Jahren nutzte die Minengesellschaft die unberührte Natur schonungslos aus. Für jede Tonne Bauxit entstehen beim Waschen ungefähr 430 Kilo schlammiger Abraum. Zehn Jahre lang wurde dieser rote Lehm einfach in einen nahe gelegenen See gepumpt. Aus den Trocknungsöfen stiegen dicke rote Rauchwolken, die die Umgebung einfärbten.
In den neunziger Jahren konnte man sich das auch in Brasilien nicht mehr leisten. Filter im Trocknungsofen beseitigten dieses Problem schlagartig. Die Erzwaschanlage am Hafen wurde demontiert und bei den Lagerstätten wieder aufgebaut. Seither wird der Schlamm in die Gruben gefüllt, die beim Abbau des Bauxits entstehen. Nach dem Austrocknen werden diese Parzellen mit typischen Bäumen der Region begrünt. „Wir sind die einzige Bauxitmine der Welt, welche die Gruben wieder aufforstet“, sagt Jo¦o Carlos Henriques, der für die Kontrolle der Umweltqualität zuständige Ingenieur. Er ist überzeugt, dass die Mine heute keine nennenswerten Umweltschäden mehr verursacht. „Der See mit dem Abraum wurde größtenteils renaturiert, sogar einige Edelfische kehrten wieder zurück”, sagt Henriques. „Unser Einfluss auf die Umwelt ist gering. In den zwanzig Jahren, seit es die Mine gibt, haben wir im Abbaugebiet lediglich 2500 Hektar verändert. Das ist weniger, als für eine mittlere Viehfarm in Amazonien abgeholzt wird.“
Ademar Cavalcanti, der Personalchef der Mine und in dieser Funktion auch so etwas wie der Bürgermeister von Porto Trombetas, schaltet seinen Computer ein. Mit der Maus holt er Bilder und Grafiken auf seinen Bildschirm, um die Sozialprogramme des Unternehmens zu erläutern. Das Krankenhaus und die Schule der Mine stehe auch den BewohnerInnen der umliegenden Dörfer offen, betont er. „Wir fördern die nachhaltige Entwicklung der Gemeinden in unserer Umgebung“, sagt Cavalcanti. Die Mine unterstütze in den Gemeinden Boa Vista und Moura Projekte, die die Ernährung und das Einkommen der Bevölkerung verbesserten: Geflügelzucht, Gemüsegärten, Bienenstö-cke, die Herstellung von Maniokmehl sowie ein großer Teich für Fische und Schildkröten. Für diese Sozialprojekte habe die Mineração Rio do Norte 1999 sogar einen Preis der US-amerikanischen Handelskammer von São Paulo erhalten.
In der Zeitschrift der Handelskammer, welche die Preisträger vorstellt, wird der Präsident des Minenunternehmens, José Carlos Gomes Soares, zitiert: „Für ein modernes Unternehmen ist die Entwicklung der Bevölkerung der Region, in der sie sich befindet, ebenso wichtig wie die Konkurrenzfähigkeit.“

Hübsche Geschichten, leider nicht wahr
Nach wenigen Minuten Fahrt mit einem der Holzschiffe, die im ganzen Amazonasgebiet von den FlussanwohnerInnen gebaut werden, erreichen wir Boa Vista. Von der improvisierten Anlegestelle am Ufer sieht man die Schlote der Trocknungsöfen, die Förderbänder und Türme der Verladeanlage, die in den Fluss hineinragen. „Wir waren schon hier, bevor die Mine kam“, sagt der 58-jährige José dos Santos, ein Bewohner des Dorfes. Boa Vista ist wie 26 weitere Dörfer entlang des Rio Trombetas ein Quilombo. Diese Siedlungen wurden vor über 150 Jahren von SklavInnen gegründet, die nach einem Aufstand in diese abgelegene Gegend geflohen waren. Die Quilombos am Rio Trombetas gehören zur Gemeinde Oriximiná, deren Hauptort 70 Kilometer weiter flussabwärts liegt. Das Gebiet von Oriximiná erstreckt sich bis an die Grenze zu Guyana und ist größer als die Schweiz.
Die brasilianische Verfassung von 1988 erkennt die kollektiven Landrechte der Quilombos an, die einen ähnlichen Status haben wie die Indianerreservate. Ebenfalls 1988 erließ der damalige Präsident José Sarney aber ein Dekret, welches das Gebiet der Mineneinrichtungen und der Erzlagerstätten der Mineração Rio do Norte zum Staatswald erklärte. Deshalb können die Quilombos keine Ansprüche mehr darauf erheben. Die Minengesellschaft braucht zwar seither eine Bewilligung der Umweltbehörde zum Abholzen der Flächen, die Erlaubnis erhält sie jedoch routinemäßig. Boa Vista war 1995 der erste Quilombo, dessen Gebiet abgesteckt und anerkannt wurde – außerhalb des Staatswaldes der Mine.
Bevor der Bauxitabbau begann, lebten die Menschen in Boa Vista genauso wie in allen anderen Quilombos des Rio Trombetas. Die BewohnerInnen rodeten kleine Felder, auf denen Maniok und Bananenstauden gepflanzt wurden, sie sammelten Paranüsse, für die sie ein wenig Bargeld erhielten, sie fischten und jagten. Heute ist alles anders. „Kaum jemand legt noch Felder an“, sagt José dos Santos, „die meisten machen Gelegenheitsjobs, als Gärtner oder Hausangestellte, sie kaufen sich Maniokmehl, Huhn und manchmal sogar den Fisch im Laden der Mine.“
Nicht allein das Geld veränderte die Lebensweise in Boa Vista. Als die Mine in Betrieb genommen wurde, erklärte die Militärregierung ein großes Gebiet am Nordufer des Rio Trombetas zum Naturreservat. Die Quilombo-BewohnerInnen verloren ihre Jagdgebiete, und sie durften in den Seen nicht mehr fischen.
Doch brachte die Mine nicht den Fortschritt, das Krankenhaus und die Schule? «Das Krankenhaus ist heute praktisch für sie alleine da, selten wird jemand von uns da oben empfangen“, antwortet José dos Santos. „Für uns haben sie am Hafen unten einen Gesundheitsposten eingerichtet, doch auch dort werden manche abgewiesen, wenn ihr Name nicht auf der Liste der Bewohner steht, die die Mine vor Jahren erstellt hat.“ In Boa Vista gibt es eine Gemeindeschule, die aber nur vier Jahre Unterricht anbietet. Danach könnten die Kinder in der Mine zur Schule gehen, aber dort werden nur Schüler akzeptiert, die die ersten vier Jahre ohne Unterbrechung, ohne sitzengeblieben zu sein, absolviert haben. Nur eine kleine Minderheit schaffe dies, erklärt José dos Santos.
Und die Sozialprojekte, die der Minengesellschaft letztes Jahr einen Preis einbrachten? „Auf dem Papier haben sie viele Projekte. Da draußen erzählt die Mine hübsche Geschichten, aber sie sind nicht wahr.“ José dos Santos ist der Einzige, der durchgehalten hat und heute noch Hühner und Enten züchtet. Im Gemüsegarten im Nachbarort Moura arbeiten lediglich zwei Familien. Angebaut wird fast nur Cebolinha, eine Mischung aus Schnittlauch und Frühlingszwiebel. „Die Bienen, ach ja, die Bienen. Wir haben die Stöcke in den Wald gestellt, einige Liter Honig produziert, dann hat es den Bienen nicht mehr gefallen und sie sind davongeflogen.“ Das einzige Projekt, von dem sich José dos Santos noch etwas verspricht, ist die Zucht von Fischen und Wasserschildkröten, einem traditionellen Nahrungsmittel am Rio Trombetas. „Das Geld dazu kam aber nicht von der Mine, sondern von den reichen G7-Ländern. Die Mine hat nur bei der Verwaltung geholfen und mit ihren Maschinen den Teich gebaut“, stellt José dos Santos klar. Alles in allem helfe die Gemeinde mehr als die Minengesellschaft. Zum Beispiel installierte die Gemeindeverwaltung einen Dieselmotor zur Stromproduktion, nachdem die Mineração Rio do Norte es jahrzehntelang abgelehnt hatte, Boa Vista mit Strom aus ihrem Kraftwerk zu versorgen, das nur einen Kilometer entfernt liegt.

Rote Brühe
Der Iguarapé do Agua Fria, ein kleiner Nebenfluss des Rio Trombetas, der direkt ans Hafengelände der MRN grenzt, hat eine rötlich braune Farbe. „Jetzt geht es ja noch“, sagt ein Anwohner. „Du solltest den Schlamm mal sehen, wenn es geregnet hat.“
Der tropische Regen schwemmt Erz- und Lehmpartikel von den Bauxithalden beim Hafen und spült die rote Brühe in das Flüsschen. „Nicht einmal Kleider waschen kann man darin.“ Erst vor zwei Jahren hat die MRN für die Betroffenen Pumpbrunnen gebaut, die jedoch meistens zu wenig Wasser geben. Leitungswasser gibt es nicht in Boa Vista, das Trinkwasser stammt aus den Flüssen. Neben der Malariamücke ist verschmutztes Wasser der schlimmste Krankheitsüberträger in Amazonien. Die Mineração Rio do Norte gab in den letzten Jahren nach eigenen Angaben jeweils ungefähr 350.000 US-Dollar für Sozialprojekte aus. Der brasilianische Staat gewährte der Mine in dieser Zeit Steuererleichterungen in Höhe von zehn Millionen US-Dollar jährlich.
„Mein Leben ist durch die Mine kein bisschen besser geworden“, sagt José dos Santos. Und schlechter? „Das auch nicht, immerhin gab es früher überhaupt keine medizinische Versorgung hier, und ich konnte im Gegensatz zu meinen Kindern nie lesen und schreiben lernen.“ Boa Vista und Moura machen trotz der Nachbarschaft zur Mine auf den ersten Blick einen idyllischen Eindruck. Durch die Abgeschiedenheit und ohne Straßenzugang blieb die Gegend von der Zuwanderung verschont, die normalerweise in Brasilien durch Großprojekte ausgelöst wird.

Andreas Missbach

Fortsetzung in der nächsten Ausgabe

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren