Argentinien | Nummer 504 - Juni 2016

AM ANFANG WAR DER HACKATHON

Netzaktivist Gui Iribarren über das Gemeinschaftsnetzwerkprojekt AlterMundi

Es ist schwierig, auf dem Land in Argentinien einen (guten) Internetanschluss zu bekommen. Ähnlich wie in anderen Ländern haben sich auch dort in den vergangenen Jahren Gruppen gegründet, die dieses Problem mit Hilfe von freien Netzwerken angehen wollen. Die LN sprachen mit dem Aktivisten Gui Iribarren vom Kollektiv AlterMundi über dessen Entstehungsgeschichte, Motivationen, Probleme und die Rolle des Staats beim Thema Internet.

Von Interview: Lyudmila Vaseva

Gui Iribarren ist einer der Hauptorganisatoren des Argentinischen Freien Netzwerkprojekts AlterMundi, in dem ungefähr zehn Aktive konstant mitarbeiten. Vor einem Jahr wurde dem Netzwerk die Rechtsform Verein gegeben, um Ressourcen wie Spenden zu verwalten, aber sie erlaubt auch Zusammenarbeit mit anderen Akteur*innen, zum Beispiel durch Verträge mit Universitäten oder anderen Organisationen. Damit werden Formalitäten erfüllt, die es erlauben, Verbindungen zu knüpfen, die Privatpersonen nicht offenstehen. (Fotos: AlterMundi)

GUI IRIBARREN (links) ist einer der Hauptorganisatoren des Argentinischen Freien Netzwerkprojekts AlterMundi, in dem ungefähr zehn Aktive konstant mitarbeiten. Vor einem Jahr wurde dem Netzwerk die Rechtsform Verein gegeben, um Ressourcen wie Spenden zu verwalten, aber sie erlaubt auch Zusammenarbeit mit anderen Akteur*innen, zum Beispiel durch Verträge mit Universitäten oder anderen Organisationen. Damit werden Formalitäten erfüllt, die es erlauben, Verbindungen zu knüpfen, die Privatpersonen nicht offenstehen. (Fotos: AlterMundi)

Das Projekt AlterMundi baut Gemeinschaftsnetzwerke in Argentinien auf. Wie geht ihr vor?
Vor ein paar Jahren haben wir angefangen, die Netzwerke aufzubauen. Erst in einem Dorf in der Nähe von Córdoba, dann in der Nähe von Buenos Aires. Später sind auch in anderen Nachbardörfern rund um Córdoba Communities entstanden. Danach haben wir soziale Netzwerke aufgebaut, einen Workshop in Santiago del Estero, einer anderen argentinischen Provinz, veranstaltet und dann auch in anderen Ländern – in Brasilien, in Nicaragua. Einige Menschen waren schon seit 2004/2005 dabei, wir hatten schon einmal davor ein Projekt in Buenos Aires, das viel theoretischer war. Es waren andere Zeiten, andere Menschen. Aber seitdem hatten wir ein bisschen Erfahrung und vor allem Interesse an drahtlosen Netzwerken. Am Aufbau von Netzwerken arbeiten wir seit 2012.

Was gab den Anstoß?
Eigentlich fing alles mit einer Person vom Staat an, die anregen wollte, dass im ganzen Land Workshops zu den Themen Freie Software und Kommunikation gegeben werden. Und Nico von AlterMundi, der sich mit ihr getroffen hat, hat vorgeschlagen, auch Gemeinschaftsnetzwerke, das heißt freie Netzwerke, zu machen. Aber schon nach ein paar Monaten war die Person nicht mehr an derselben Position und das gesamte Projekt wurde von Seiten des Staates eingestellt. Wir hatten allerdings bereits angefangen zu planen, wie die Workshops aussehen würden. In Delta, in der Nähe von Buenos Aires, wo ich zu der Zeit gewohnt habe, haben sich bereits viele Leute Router gekauft, und wir waren dabei, damit herumzuspielen. Am Ende haben wir uns entschieden, einfach weiter zu machen, auch ohne die finanzielle Unterstützung vom Staat.
Wir haben im Jahr 2012 mit einem Hackathon (aus „Hack“ und „Marathon“ – eine kollaborative Software- oder Hardwareentwicklungsveranstaltung, Anm. d. Red.) angefangen. Wir waren alle Menschen mit einem sehr technischen Hintergrund, die sich gesagt haben: „Ok, wir werden uns eben selber beibringen, wie man heutzutage Netzwerke macht, damit wir das dann anderen Leuten, die keine großen Technikvorkenntnisse haben, beibringen können.“ Das Ziel war, die Softwareschicht möglichst einfach zu gestalten, so dass es nicht-technischen Menschen möglich sein würde, diese Netze aufzubauen. Später haben wir angefangen, Workshops zu machen, vielleicht mehr oder weniger so, wie wir das beim Originalprojekt gemacht hätten, aber eben autonom.

Welche Rolle spielte die Überlegung, dass in isolierten Gemeinden konventionelle Internet-anbieter kein Interesse daran haben, eine Leitung aufzubauen?
Das spielte schon auch eine Rolle. Ausschlaggebend war aber, dass durch das von der Regierung geplante Projekt mehrere Leute von AlterMundi die Zuversicht hatten, dass wir uns auf eine Unterstützung seitens des Staates verlassen konnten. Am Ende gab es die nicht und wir haben das Projekt trotzdem durchgezogen. Aber die ursprüngliche Notwendigkeit war da. Nico und Jesi von AlterMundi wohnten beispielsweise zu der Zeit in ihrem Dorf ohne Internet, beziehungsweise mit sehr schlechtem Internet und dieser ursprüngliche Hackathon war: „Okay, wir werden hier fünf Router in fünf Häusern installieren, um hier besseres Internet zu haben.“ Das war es.

Was war für dich die Hauptmotivation mitzumachen?
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich das erste Mal mit Gruppen gearbeitet und das hat mich sehr begeistert. Diese Idee, Workshops zu machen, kam mir ziemlich genial vor. Und später hatte ich auch die Gelegenheit, das sehr zu genießen. Das war in meinem persönlichen Fall eindeutig die Motivation. Eigentlich hatte ich mich in dem Moment, als wir den Hackathon veranstaltet haben, schon sehr von der Informatik entfernt. Ich hatte meine Nerdzeiten in meiner Jugend und ein bisschen darüber hinaus und habe dann für viele Jahre die Rechner links liegen gelassen. Nicht wegen der Computer, sondern wegen der sozialen Seite bin ich in die Welt der Informatik zurückgekehrt.

Dieser Empowerment-Aspekt, anderen Menschen zu helfen, ihre Kommunikation selbst verwalten zu können, ist dir beim Projekt am Wichtigsten?
Ja. Aber vor allem habe ich während dieses Prozesses auch dazu gelernt, wie man besser helfen kann oder wie man mit Gruppenprozessen und -situationen umgeht, womit ich als Informatiker, als Nerd, null Erfahrung hatte. Ich kann wohl nicht abstreiten, dass es mir Spaß macht, technische Probleme zu lösen. Aber das, was mich in jenem Moment dazu gebracht hat, mich wieder mit diesen Sachen zu beschäftigen, in jenem Moment, als ich mich von den Computern total entfernt hatte, war, dass ich mir dachte: „Ok wenn es darum geht, Workshops zu veranstalten, ist es überhaupt kein Problem, mich für ein paar Stunden hinzusetzen.“

deltalibre4Gibt es Aspekte, die dir beim Projekt weniger gefallen?
Dazu muss ich vorab die Strukturen genauer erklären. Die Idee ist, dass wir diese Organisation sind, die den Aufbau von Netzwerken fördert und dabei hilft, diese aufzubauen, aber die Netzwerke, die dabei entstehen, sind selbstständig. Zum Beispiel heißt das Netz, das wir in Delta mit aufgebaut haben, DeltaLibre und hat seine Autonomie. Wir unterstützen sie, machen Software-Schulungen, etc. Wir bieten ihnen technische Unterstützung an, aber am Ende handelt es sich um zwei verschiedene Strukturen. Und in den Netzwerken gibt es immer soziale Reibungen. In AlterMundi passiert das hingegen nicht so viel, wir sind seit vielen Jahren befreundet.
Unsere Probleme sind meist organisatorischer Natur: wie wir uns intern am besten koordinieren, wie wir miteinander kommunizieren und so weiter. Das größte Problem in den Netzwerken sehe ich darin, dass dort ganz oft Menschen dabei sind, die keine Erfahrung in Gruppenzusammenarbeit haben, die nie auf einem Plenum waren oder an einem kollaborativen Projekt mitgewirkt haben. Am Ende ist dann die technische Seite ziemlich trivial und die soziale nicht. Und für mich war eben das der Knackpunkt: Wie kann man die Community gestalten? Wie werden Konflikte gelöst? Werden Plena veranstaltet oder welche Organisationsform wählen die Leute? Welche Form von sozialem (Zusammen-)Leben erlaubt es, so ein Netz nachhaltig zu verwalten? Ich musste viel Zeit investieren, um so kleine soziale Probleme zu lösen. Vor allem deswegen, weil ich diese Position des Netzinitiators eingenommen habe. Deshalb kannten mich halt die meisten Menschen und hatten in irgendeiner Form Respekt vor mir und sind mir irgendwie gefolgt.

Wie viele Leute sind Teil der Netzwerke?
In Delta kommen, wenn wir ein großes Treffen machen, etwa 20 Menschen. Es gab Zeiten, da haben sich täglich etwa 100 Personen mit dem Netz verbunden, aber als Benutzer*innen. Sie sind zu keinem Plenum gekommen oder so. Vermutlich haben sie es nicht einmal gemerkt, dass es sich um ein freies Netzwerk handelt, denn es war im Endeffekt einfach ein offenes Netz.

Bekommen die Aktivist*innen eine Aufwandsentschädigung oder können sie gar von der Arbeit leben?
Nein. Wir hatten mal die Idee, das gesamte Unterfangen so zu gestalten, dass es sich selber trägt. Wir wollten ein Schema entwickeln, bei dem jedes Netzwerk der Assoziation jeden Monat etwas zahlt. Sagen wir mal einen Euro im Monat pro Router im Austausch gegen den Support, den wir sowieso schon leisteten. Wir wollten eine Art Kompromiss erarbeiten, zu sagen „Okay, wir machen diese ganze Arbeit aus freien Stücken, aber es wäre nicht schlecht, wenn wir nicht auch noch woanders arbeiten müssten. Es wäre schön, wenn wir all unsere Zeit für diesen Support zur Verfügung stellen könnten.“
Aber wir haben es nicht geschafft. Wir haben es in dem Netzwerk von Nono vorgeschlagen. Sie haben schon mitgemacht, aber das Ganze hat nie die Dimension erreicht, dass wir uns davon finanziell tragen konnten, die drei Menschen, die wir waren. Dann haben wir vergangenes Jahr von ein paar Seiten Fördermittel bekommen und einen Preis gewonnen. Das hat uns ermöglicht, Ausrüstung zu kaufen und uns etwas Lohn zu zahlen für ein paar Monate für die Softwareentwicklung, die wir immer gemacht haben, aber damit konnten wir uns eben nur ein paar Monate bezahlen. Die Förderung kam aber nicht vom Staat, sondern von Stiftungen, dem Open Technology Institute (OTI), dem Latin America and Caribbean Network Information Centre (LACNIC) und der Shuttleworth.

Ist es nicht eine Aufgabe des Staates, den Menschen Internetzugang zur Verfügung zu stellen? Besteht sonst nicht die Gefahr, dass sich der Staat aus der Verantwortung stiehlt, wenn Freie Netzwerke sich um Freien Internetzugang für alle kümmern?
Es kommt auf den Staat und auf die Situation an. Die Erfahrung, die wir mit Regierungsorganisationen gemacht haben, war immer „Es ist sehr schön, was ihr tut, wenn wir euch irgendwie helfen können, wollen wir helfen“. Es gab auch den Entwurf für ein Gesetz, das „den Ausbau von Gemeinschaftsnetzwerken stärken und fördern“ sollte. Dieser wurde aber mit dem Regierungswechsel von Cristina Fernández de Kirchner zu Mauricio Macri verworfen. Und alle Menschen, die wir in den entsprechenden Behörden kannten, die über Ressourcen, über Geld, Werkzeug, Zeit, soziale Beziehungen verfügt haben, verfügen nicht mehr darüber. Ich meine, wenn der Staat ein Problem lösen wollen würde, würde er das einfach machen. Sie haben normalerweise viel mehr Ressourcen als jede Privatinitiative. Wenn sie also das Problem nicht lösen, ist es, entweder weil sie nicht wollen, oder weil sie nicht können. Zumindest können sie es nicht in einer Form tun, die für den Staat geeignet ist. Ich hatte mal ein Gespräch mit einer Person aus dem Bezirk von Tigre, und sie meinte zu mir „Ihr könnt das als Einzelpersonen oder als eine Gruppe von Nachbarn machen, aber wir als Bezirk können nicht in einem einzigen Viertel Internet aufbauen und das war es. Denn ich weiß bereits, es werden gleich die Leute aus dem Nachbarviertel aufspringen mit ,Ey, warum hast du da Internet installiert und hier nicht.‘ Ich kann entweder nur überall das Problem lösen, oder nichts tun. Und du als Einzelperson hast die Freiheit, das für dein Viertel zu lösen, ohne dass dir irgendjemand was sagt.“ Kann sein, dass es nicht ganz der Wahrheit entsprach, was sie mir erzählte, aber mir kam es einleuchtend vor. Für uns ist klar: Wir machen weiter – ob mit oder ohne Unterstützung vom Staat.

Gemeinschafts-/Freie Netzwerke
Gemeinschaftsnetzwerke sind Netze, die von ihren Benutzer*innen aufgebaut, gewartet und verwaltet werden. Die Kommunikationsinfrastruktur (Router, Antennen, Kabelleitungen etc.) gehört dabei weder dem Staat noch kommerziellen Anbieter*innen, sondern den Nutzer*innen, die somit die Entscheidungsgewalt über das Netzwerk haben. Es kann sich dabei sowohl um Computer- oder WLAN- als auch um Handynetzwerke handeln. Freie Netzwerke sind von offenen WLAN-Netzwerken zu unterscheiden. Mit letzteren kann sich zwar jede*r kostenlos verbinden (es wird kein Passwort verlangt), die Infrastruktur wird jedoch normalerweise nicht von den Nutzer*innen verwaltet. Beispiele für Gemeinschaftsnetzwerkprojekte sind Freifunk in Deutschland, guifi.net in Katalonien, ninux.org in Italien, AlterMundi in Argentinien oder Rhizomatica in Mexiko.

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