Am Vorabend der Militärintervention
Was muß danach geschehen?
Zunächst ist festzuhalten, daß die Putschisten in Haiti einem wirksamen internationalen Embargo unmittelbar nach dem Putsch nur wenige Wochen standgehalten hätten. So löchrig, wie es aber bis zum Mai 1994 angewandt wurde, diente es nur dazu, daß die de-facto-Machthaber sich besser einrichten und sich vor allem am Schmuggel, Schwarzmarkt und Drogenhandel enorm bereichern konnten. Daher wurde dieses Embargo zu Recht von vielen BeobachterInnen kritisiert.
Gleichwohl ging die Forderung nach Aufhebung der Blockade immer in die falsche Richtung. Denn zum einen hatte die Handelssperre nie die massiven tödlichen Folgen, die damit in Verbindung gebracht wurden. Diese waren vielmehr die Merkmale eines völlig verarmten Landes. Zum anderen wurden mit der Forderung nach Aufhebung der Blockade gewollt oder ungewollt die Putschisten unterstützt. Die Volksorganisationen in Haiti hatten sich nämlich für ein wirksames Embargo als möglichst gewaltfreien Weg zum Sturz der Putschisten ausgesprochen.
Der Zickzack-Kurs der USA
Mächtige Kreise in den Vereinigten Staaten waren und sind für das Hintertreiben der wirksamen Anwendung des UN-Embargos verantwortlich. Kein Wunder, gelten doch CIA und Pentagon als offene Gegner einer Rückkehr von Präsident Aristide nach Haiti. Ex-Präsident George Bush sprach sich noch im August 1994 dafür aus, Aristide endlich fallenzulassen, da er zu unberechenbar sei. – Gab es etwas unberechenbareres als die US-Politik gegenüber Haiti in den vergangenen Jahren?
Aber auch die neue US-Administration hat ihre Dunkelmänner: Präsident Clintons Wirtschaftsminister R. Brown war in den achtziger Jahren ein bezahlter Lobbyist für den Diktator Duvalier. In diesem innenpolitischen Kontext bremste Clinton bis zum April 1994 die Forderungen Frankreichs und Kanadas nach schärferen Sanktionen gegen die Machthaber. Erst ein plötzlicher Flüchtlingsstrom nach neuen Massakern der haitianischen Armee zwang die Clinton-Regierung zum Handeln. Hinzu kommt, daß im November in den USA Kongreß- und Gouverneurswahlen stattfinden – unter anderem im Bundesstaat Florida, dem ersten Zielort der boat-people.
Nach Meinungsumfragen in den USA ist nur eine Minderheit für eine militärische Intervention in Haiti, wenn das Ziel die Rückkehr zur Demokratie ist. Wenn aber das Hauptziel der Intervention ist, die haitianischen Flüchtlingszahlen zu senken, befürwortet eine Mehrheit diesen Schritt. Wenn ein militärischer Eingriff der USA Ende September, Anfang Oktober stattfände, könnte dies das Negativimage des Präsidenten in außenpolitischen Fragen aufbessern und sich in Stimmen für die Demokratische Partei ummünzen lassen. Wichtig ist, daß die Intervention so knapp vor den Wahlen erfolgt, daß sich die negativen Auswirkungen noch nicht in den Medien niederschlagen.
Wähnt sich das haitianische
Regime in Sicherheit?
Viele Beobachter behaupten, daß die haitianische Militärspitze sehr clever sei und rechtzeitig vor einer Intervention abtreten würde. An dieser Einschätzung sind einige Zweifel angebracht: Cédras hat von dem Abenteuer mit der Harlan County gelernt, jenem Schiff der US-Navy, welches die UN-Blauhelme am 11. Oktober 1993 nach Haiti bringen sollte. Eine Bande von bewaffneten Zivilisten im Hafen genügte als Abschreckung und das Schiff drehte ab. Damit war die schon ausgehandelte Rückkehr Aristides für den 30. Oktober gescheitert. Cédras glaubt inzwischen, daß er weiter so mit den Vertretern der internationalen Organisationen umspringen kann.
Die haitianische Armee beginnt mit Zwangsrekrutierung und Bewaffnung vieler Leute. Hinzu kommen andere Gruppen, die sich in den letzten Monaten und Wochen sehr schnell bewaffnet haben, darunter ist FRAPH die bekannteste Gruppe. Außerdem haben sich die “Tontons Macoutes” reorganisiert. Von diesen zum großen Teil zwangsrekrutierten Waffenträgern wird kaum einer überzeugt sein, für die richtige Sache zu kämpfen. Die meisten werden beim ersten Schuß die Waffen wegwerfen. Die ultra-nationalistische Vernebelung durch die gleichgeschalteten Medien wird aber auch nicht folgenlos bleiben: Je länger die Intervention auf sich warten läßt, umso blutiger wird sie sein.
Gibt es jetzt noch Alternativen zur Militärintervention?
In Haiti selbst ist Widerstand unmöglich. Die Repression von Seiten der Armee ist schon häufig beschrieben worden. Die Ermordung des Priesters Jean Marie Vincent am 29. August macht deutlich, daß auf der Insel niemand mehr sicher ist. Es gibt wohl kein Land, in dem die flächendeckende Kontrolle durch das System der Attachés und “Chefs de section” so gründlich durchorganisiert ist.
Die HaitianerInnen stehen vor einer schwierigen Situation: Zum einen sind sie geprägt durch die Geschichte der Selbstbefreiung von der Sklaverei und vom Kolonialismus. Daher gibt es starke nationale und unabhängige Tendenzen. Auf der anderen Seite sehen viele gegenwärtig nicht, wie die Armee anders als durch eine ausländische militärische Intervention von der Macht verdrängt werden könnte.
Viele Volksorganisationen und Basisgemeinden haben sich noch in den vergangenen Wochen gegen eine Invasion ausgesprochen. Die Argumentation war weitgehend bestimmt von den Erfahrungen der Interventionen der USA im karibischen Raum in diesem Jahrhundert und von der Einschätzung, daß die USA selbst in den Putsch gegen Aristide verwickelt sind. Daher können sie sich nicht vorstellen, daß die Vereinigten Staaten heute andere Interessen in Haiti verfolgen als vor drei Jahren. Alternativen zur militärischen Intervention werden in keiner Erklärung angeboten.
Auch die haitianische Bischofskonferenz hat – mit Ausnahme des fortschrittlichen Bischofs Willy Romélus – eine Erklärung gegen die Intervention verabschiedet. Darin wird aber nur an die Leiden während der US-Besatzungszeit von 1915 bis 1934 erinnert. Kein Wort über die Verbrechen der de-facto-Machthaber, der Militärs seit dem Putsch. Kein Wort über den Verfassungsbruch von Cédras und der putschistischen Parlamentarier. Die Diktion der bischöflichen Erklärung ist diktiert von der ultra-nationalistischen Propaganda der Militärs, deren Verbrechen mit keinem Wort verurteilt werden. Für die Menschen in Haiti haben die katholischen Bischöfe damit ihre Seele verkauft.
“Freie Hand” für die USA
Die Resolution 940 gibt den USA “freie Hand”. Sie haben den militärischen Oberbefehl über die internationale Interventionstruppe. Hier zeigt sich ein Problem, daß die UN mit diesem Instrument zur Zeit haben: Es gibt keine Truppen, die unter UN-Kommando stehen und “friedensschaffende Maßnahmen” durchführen könnten. Die USA sind nicht bereit, sich an einer solchen von Boutros Ghali geforderten Eingreiftruppe zu beteiligen. Die US-Besatzungszeit in Haiti von 1915 bis 1934 macht das Widersprüchliche dieser Situation deutlich. Dabei wäre das enge Interesse Frankreichs, Kanadas und Venezuelas an der Lösung der haitianischen Krise eine Möglichkeit, die militärische Intervention auf eine breitere Basis zu stellen. Die Teilnahme von vier karibischen Staaten, Großbritanniens und Argentiniens sind nur ein Feigenblatt, um die klare US-Dominanz zu verschleiern.
Was kommt nach der Intervention?
Die vielfachen Forderungen nach dem militärischen Eingreifen in Haiti übersehen, daß die entscheidenden Fragen nach den Zielen der militärischen Intervention nicht geklärt sind:
a) Ist es das Ziel, die Rückkehr zur Demokratie nach Haiti zu fördern? Wann wird das Datum für die Rückkehr des legitimen Präsidenten Aristide festgesetzt und veröffentlicht?
b) Wird die legitime Regierung überhaupt handlungsfähig sein? Oder wird sie vollständig den Anweisungen aus Washington und dem UN-Hauptquartier gehorchen müssen? Wie sieht es mit einer Mandatsverlängerung Aristides aus, dessen offizielle Amtszeit Ende 95 ausläuft?
c) Was wird mit der haitianischen Armee? Wird es nur einige “kosmetische” Veränderungen geben, um diese in ihrer repressiven Funktion zu erhalten? In den USA ist diese Frage nicht geklärt: Clintons Sonderbotschafter für Haiti, William Gray, forderte die Abschaffung der haitianischen Armee, da sie nur eine Mafia-ähnliche Bande sei. Gray stieß aber auf großen Widerstand in der US-Regierung und mußte seine Forderung sofort zurücknehmen.
Wenn im Zuge der militärischen Intervention die Putschisten nicht aus der Macht verdrängt werden, sondern nur die bekannten Führer, die Generäle R. Cédras und P. Biamby sowie Oberst M. Francois, abgelöst werden, bleibt die Armee in ihrer repressiven Struktur erhalten und wird die Demokratisierungsbemühungen des haitianischen Volks weiter bekämpfen.
Voraussetzungen für die
Demokratisierung Haitis
Eine Voraussetzung für den Übergang zu Demokratie und innerer Stabilität in Haiti ist, daß militärischen Befehlshaber der haitianischen Armee verhaftet, vor Gericht gestellt und wegen der schweren Menschenrechtsverletzungen in den vergangenen 30 Monaten angeklagt werden. Eine Amnestie für die Menschenrechtsverletzungen werden die haitianischen Militärs als Einladung verstehen, immer dann wieder zu putschen, wenn sie es für opportun erachten.
Die haitianische Armee ist zu entwaffnen und die Verantwortlichen für die schweren Menschenrechtsverletzungen sind aus der Armee auszuschließen.
Es ist sofort mit dem Aufbau einer zivilen Polizei zu beginnen, der die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Lande übertragen wird. Dabei dürfen nur solche Angehörige der bisherigen Polizei übernommen werden, die sich keiner Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben. Es ist ein Prüfungsverfahren wie in El Salvador anzuwenden. In gleicher Anzahl sind Polizisten aus den Reihen der Lavalasanhänger zu rekrutieren. Der Aufbau der zivilen Polizei liegt in der Verantwortung der MINUHA, der im Abkommen von Governors Island vorgesehen UN-Polizei- und Militärmission für Haiti.