Film | Nummer 249 - März 1995

“Anatomie einer Niederlage”

Richard Dindo zu seinem Che Guevara-Film

Interview: Bettina Bremme

LN: Beim Anschauen des Films stellt sich der Eindruck ein, als hätte sich Che Guevara von vornherein auf ein recht aussichtsloses Unternehmen eingelassen. Ist das so gewollt?
Richard Dindo: Der Che war Südame­rikaner, Argentinier, ein von Natur aus sehr generöser und optimistischer Mensch, sehr zukunftsgläubig, überzeugt, daß die Geschichte den Völkern gehört und daß der Sozialismus unumgänglich ist in den Ländern der Dritten Welt. Seine Strategie war, in Bolivien eine kontinen­tale Revolution anzufangen. Sein eigentli­cher Traum war, in seinem Heimatland Argentinien eine Revolution zu machen. Alle diese Dinge hat er in einem sehr großen Zeitrahmen gesehen, auf Jahre hinaus, vielleicht sogar Jahrzehnte. Und er hatte den Eindruck, daß er hier nur einen Anfang macht, und daß er vielleicht hier auch sterben wird. Er war jemand, der im­mer wieder auch mit dem Tod rechnete. Sei­ne Energie, seinen eisernen Willen, hat er auch bekommen durch den jahrelangen täglichen Kampf gegen sein Asthma, das dann ja auch wieder dramatisch wurde während der Kämpfe in Bolivien, als er keine Medikamente mehr hatte und immer kranker wurde.
Die Situation wurde nach und nach immer verzweifelter, aber Che selbst hat immer und bis zum Schluß seinen Opti­mismus behalten. Er hat noch einen Tag vor seiner Verhaftung von der idyllischen Atmosphäre geschrieben, in der sie ge­frühstückt haben.
Nun hat Che Guevara sich aber in den Tagebüchern sehr verzweifelt und frustriert über die Reaktion der bolivia­nischen Landbevölkerung geäußert. Die schien dem revolutionären Kampf ja eher gleichgültig oder gar ablehnend ge­genüberzustehen. War das Unternehmen ei­ne Kopfgeburt?
Ich muß wieder die Begriffe verzweifelt und frustriert ablehnen. Das sind deutsche Begriffe. Das hat mit Che Guevara nichts zu tun. Ich habe das Tagebuch dutzende­mal gelesen, weil ich für meinen Film Sät­ze auswählen mußte. Natürlich hat er fest­gestellt, die Bauern machen nicht mit. Das hat ihn nicht in Verzweiflung ge­stürzt. Er war viel zu zukunftsgläubig. Aber der Che hat­te überhaupt keine Mög­lichkeit, mit der Be­völkerung zu kommu­nizieren. Die Me­dien waren ihm völlig verschlossen, wur­den vollständig von der Armee und dem US-amerikanischen CIA kontrolliert. Nicht wie der Marcos, der heute über Fernsehen, Radio und Zeitun­gen ständig mit der Öffentlichkeit kom­muniziert. Das heißt, alles, was die Be­völkerung wußte von Che Guevaras Kampf, das wußten sie von der Armee, und die hat gesagt, das wä­ren alles Ver­brecher und Ausländer und Mörder und Vergewaltiger und Diebe usw.. Die Be­völkerung hatte geradezu Angst vor dieser Guerilla.
Natürlich, mein Film ist auch eine Ana­tomie einer Niederlage. Und durch dieses Sys­tematische, Unaufhörliche, Bild für Bild, Satz für Satz im Nachhinein er­zäh­len, kommt etwas Zwangsläufiges, Fatales in die Ereignisse. Im Nachhinein ist man im­mer schlauer, ist es einfacher, eine Ana­lyse zu machen. Aber an Ort und Stelle sind die Dinge immer komplizierter. Das hat man ja gesehen im Sozialismus. So­bald man die Geduld nicht hat, die es braucht, um diesen unglaublich komple­xen Apparat einer Gesellschaft in Bewe­gung zu setzen, dann kommt die Diktatur oder die Niederlage, eines von beidem. Im Sozialismus war es die Diktatur und bei Che war es die Niederlage.
Warum wurde der Film ausschließlich aus Che Guevaras Perspektive gedreht? Wa­rum hast du kein Feature gemacht, keinen analytischeren oder kritischeren Film?
Ich bin ein Geschichtenerzähler, ein Erinnerungsarbeiter, auch ein Trauerar­beiter. Ich wollte nicht analysieren, was er für Fehler gemacht hat. Ich mag nicht die­se Arroganz derjenigen, die alles im Nach­hinein wissen. Ich gehe eigentlich im­mer von der autobiographischen Mate­rie aus, das heißt, von der Selbstdarstel­lung der Person. Deshalb ein Film über das Tagebuch, ein Film über die Ereig­nisse in Bolivien aus der Sicht des Che. Ich bin solidarisch mit ihm von Anfang an, die bürgerliche Objektivität interes­siert mich nicht.
Ich wollte den Che heute in die Erinne­rung zurückrufen, weil ich glaube, daß er in Würde und in Größe verloren hat. Der Che ist einer der wenigen in der Ge­schichte des Sozialismus, der es verdient, mo­ralisch und historisch zu überleben.
Gibt es keine Punkte, wo du Schwierig­keiten mit Che Guevaras Position hast?
Was das Tagebuch angeht, habe ich überhaupt keine Bruchstellen. Ich bin zu­erst und vor allem Filmemacher. Ich muß nur überlegen, wie mache ich mit meiner eigenen Philosophie, die identisch ist mit der Philosophie meines Darstellers, einen Film. Von einem bestimmten Moment an stelle ich mir nur noch filmische Fragen. Wohin gehe ich, welche Sätze zitiere ich aus seinem Tagebuch, mache ich noch ein Interview mit einem Augenzeugen, was für Dokumente zeige ich, wie mache ich mei­ne filmische Arbeit, meine Wiederher­stellung der verlorenen oder der vergan­genen Zeit.
Warum ausgerechnet jetzt ein Film über Che Guevara?
Eigentlich wollte ich das schon in der 68er Zeit machen. Heute will ich mit mei­nem Film eine Debatte über Che Gue­vara provozieren, ihn in die Aktualität zu­rückzurufen. Ich habe übrigens während meiner Arbeit mehrere Leute getroffen, ei­nen Amerikaner in Havanna, eine Ar­gen­tinierin in London, einen Franzosen in Pa­ris, die daran sind, größere Biographien zu schreiben über Che Guevara, die auch spü­ren, daß er eine aktuelle Bedeutung hat.
Wie waren die Reaktionen auf den Film in Bolivien?
Die Leute waren sehr bewegt. Da kam nichts von Analyse.
Was für ein Publikum hat den Film ge­sehen?
Der Film hatte etwa fünftausend Zu­schauer in zehn Vorführungen. In Santa Cruz hatte ich ein mehr bürgerliches Pu­bli­kum, in Cochabamba waren es sehr viele ar­me Leute, Arbeiter und Bauern, und in La Paz wieder mehrheitlich Intel­lektuelle. Viele haben zum ersten Male er­fahren, was damals genau geschehen ist. Die Bo­li­vianer waren sehr betroffen von den Au­gen­zeugen, die alle zum ersten Mal vor einer Kamera reden. Sie haben den Film vor allem auch als Aktualität emp­funden. Es wurde der Eindruck geäußert, es habe sich eigentlich nichts verändert in den letzten fünfundzwanzig Jahren.
Zurück nach Europa: Sagt der Name Che Guevara heute jüngeren Leuten noch etwas, außer daß es wieder in Mode kommt, T-Shirts mit seinem Porträt zu tragen?
Ich glaube, Jugendliche, die den Film an­schauen, haben vage etwas gehört von ihm, und kommen mit dieser diffusen Neu­gierde und Sehnsucht nach einer Fi­gur, die irgendetwas wie Utopie repräsen­tieren könnte. Ich glaube, viele Junge ha­ben das Bedürfnis nach einer neuen Poli­tik, einer neuen Zukunftsvision. Für mich ist der Che eine Figur, die so etwas wie die gestorbene Utopie wiederbeleben könn­te, der uns daran erinnert, worum es in der sozialen Revolution ursprünglich ge­gangen ist, bevor Leute wie Ulbricht und andere kleinbürgerliche Despoten an die Macht kamen. Es ist darum gegangen, daß Intellektuelle sich mit dem Volk ver­bünden und gegen die Ausbeutung und die Armut kämpfen.
Aber mittlerweile scheint ja auch in Lateinamerika die Zeit der Utopien vor­bei. Die Guerillagruppen, die es noch gibt, führen mehr oder weniger eine mar­ginale Existenz. Was würde Che Guevara denn tun, wenn er heute leben würde?
Ich glaube, Marcos in Mexico ist ganz klar jemand, der in der Nachfolge von Che Guevara lebt. Eine chilenische Filmema­cherin, die für das französische Fernsehen einen Film über die Zapatisten gedreht hat, hat mir erzählt, daß dort überall Por­träts von Che Guevara hängen.

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