“Anatomie einer Niederlage”
Richard Dindo zu seinem Che Guevara-Film
LN: Beim Anschauen des Films stellt sich der Eindruck ein, als hätte sich Che Guevara von vornherein auf ein recht aussichtsloses Unternehmen eingelassen. Ist das so gewollt?
Richard Dindo: Der Che war Südamerikaner, Argentinier, ein von Natur aus sehr generöser und optimistischer Mensch, sehr zukunftsgläubig, überzeugt, daß die Geschichte den Völkern gehört und daß der Sozialismus unumgänglich ist in den Ländern der Dritten Welt. Seine Strategie war, in Bolivien eine kontinentale Revolution anzufangen. Sein eigentlicher Traum war, in seinem Heimatland Argentinien eine Revolution zu machen. Alle diese Dinge hat er in einem sehr großen Zeitrahmen gesehen, auf Jahre hinaus, vielleicht sogar Jahrzehnte. Und er hatte den Eindruck, daß er hier nur einen Anfang macht, und daß er vielleicht hier auch sterben wird. Er war jemand, der immer wieder auch mit dem Tod rechnete. Seine Energie, seinen eisernen Willen, hat er auch bekommen durch den jahrelangen täglichen Kampf gegen sein Asthma, das dann ja auch wieder dramatisch wurde während der Kämpfe in Bolivien, als er keine Medikamente mehr hatte und immer kranker wurde.
Die Situation wurde nach und nach immer verzweifelter, aber Che selbst hat immer und bis zum Schluß seinen Optimismus behalten. Er hat noch einen Tag vor seiner Verhaftung von der idyllischen Atmosphäre geschrieben, in der sie gefrühstückt haben.
Nun hat Che Guevara sich aber in den Tagebüchern sehr verzweifelt und frustriert über die Reaktion der bolivianischen Landbevölkerung geäußert. Die schien dem revolutionären Kampf ja eher gleichgültig oder gar ablehnend gegenüberzustehen. War das Unternehmen eine Kopfgeburt?
Ich muß wieder die Begriffe verzweifelt und frustriert ablehnen. Das sind deutsche Begriffe. Das hat mit Che Guevara nichts zu tun. Ich habe das Tagebuch dutzendemal gelesen, weil ich für meinen Film Sätze auswählen mußte. Natürlich hat er festgestellt, die Bauern machen nicht mit. Das hat ihn nicht in Verzweiflung gestürzt. Er war viel zu zukunftsgläubig. Aber der Che hatte überhaupt keine Möglichkeit, mit der Bevölkerung zu kommunizieren. Die Medien waren ihm völlig verschlossen, wurden vollständig von der Armee und dem US-amerikanischen CIA kontrolliert. Nicht wie der Marcos, der heute über Fernsehen, Radio und Zeitungen ständig mit der Öffentlichkeit kommuniziert. Das heißt, alles, was die Bevölkerung wußte von Che Guevaras Kampf, das wußten sie von der Armee, und die hat gesagt, das wären alles Verbrecher und Ausländer und Mörder und Vergewaltiger und Diebe usw.. Die Bevölkerung hatte geradezu Angst vor dieser Guerilla.
Natürlich, mein Film ist auch eine Anatomie einer Niederlage. Und durch dieses Systematische, Unaufhörliche, Bild für Bild, Satz für Satz im Nachhinein erzählen, kommt etwas Zwangsläufiges, Fatales in die Ereignisse. Im Nachhinein ist man immer schlauer, ist es einfacher, eine Analyse zu machen. Aber an Ort und Stelle sind die Dinge immer komplizierter. Das hat man ja gesehen im Sozialismus. Sobald man die Geduld nicht hat, die es braucht, um diesen unglaublich komplexen Apparat einer Gesellschaft in Bewegung zu setzen, dann kommt die Diktatur oder die Niederlage, eines von beidem. Im Sozialismus war es die Diktatur und bei Che war es die Niederlage.
Warum wurde der Film ausschließlich aus Che Guevaras Perspektive gedreht? Warum hast du kein Feature gemacht, keinen analytischeren oder kritischeren Film?
Ich bin ein Geschichtenerzähler, ein Erinnerungsarbeiter, auch ein Trauerarbeiter. Ich wollte nicht analysieren, was er für Fehler gemacht hat. Ich mag nicht diese Arroganz derjenigen, die alles im Nachhinein wissen. Ich gehe eigentlich immer von der autobiographischen Materie aus, das heißt, von der Selbstdarstellung der Person. Deshalb ein Film über das Tagebuch, ein Film über die Ereignisse in Bolivien aus der Sicht des Che. Ich bin solidarisch mit ihm von Anfang an, die bürgerliche Objektivität interessiert mich nicht.
Ich wollte den Che heute in die Erinnerung zurückrufen, weil ich glaube, daß er in Würde und in Größe verloren hat. Der Che ist einer der wenigen in der Geschichte des Sozialismus, der es verdient, moralisch und historisch zu überleben.
Gibt es keine Punkte, wo du Schwierigkeiten mit Che Guevaras Position hast?
Was das Tagebuch angeht, habe ich überhaupt keine Bruchstellen. Ich bin zuerst und vor allem Filmemacher. Ich muß nur überlegen, wie mache ich mit meiner eigenen Philosophie, die identisch ist mit der Philosophie meines Darstellers, einen Film. Von einem bestimmten Moment an stelle ich mir nur noch filmische Fragen. Wohin gehe ich, welche Sätze zitiere ich aus seinem Tagebuch, mache ich noch ein Interview mit einem Augenzeugen, was für Dokumente zeige ich, wie mache ich meine filmische Arbeit, meine Wiederherstellung der verlorenen oder der vergangenen Zeit.
Warum ausgerechnet jetzt ein Film über Che Guevara?
Eigentlich wollte ich das schon in der 68er Zeit machen. Heute will ich mit meinem Film eine Debatte über Che Guevara provozieren, ihn in die Aktualität zurückzurufen. Ich habe übrigens während meiner Arbeit mehrere Leute getroffen, einen Amerikaner in Havanna, eine Argentinierin in London, einen Franzosen in Paris, die daran sind, größere Biographien zu schreiben über Che Guevara, die auch spüren, daß er eine aktuelle Bedeutung hat.
Wie waren die Reaktionen auf den Film in Bolivien?
Die Leute waren sehr bewegt. Da kam nichts von Analyse.
Was für ein Publikum hat den Film gesehen?
Der Film hatte etwa fünftausend Zuschauer in zehn Vorführungen. In Santa Cruz hatte ich ein mehr bürgerliches Publikum, in Cochabamba waren es sehr viele arme Leute, Arbeiter und Bauern, und in La Paz wieder mehrheitlich Intellektuelle. Viele haben zum ersten Male erfahren, was damals genau geschehen ist. Die Bolivianer waren sehr betroffen von den Augenzeugen, die alle zum ersten Mal vor einer Kamera reden. Sie haben den Film vor allem auch als Aktualität empfunden. Es wurde der Eindruck geäußert, es habe sich eigentlich nichts verändert in den letzten fünfundzwanzig Jahren.
Zurück nach Europa: Sagt der Name Che Guevara heute jüngeren Leuten noch etwas, außer daß es wieder in Mode kommt, T-Shirts mit seinem Porträt zu tragen?
Ich glaube, Jugendliche, die den Film anschauen, haben vage etwas gehört von ihm, und kommen mit dieser diffusen Neugierde und Sehnsucht nach einer Figur, die irgendetwas wie Utopie repräsentieren könnte. Ich glaube, viele Junge haben das Bedürfnis nach einer neuen Politik, einer neuen Zukunftsvision. Für mich ist der Che eine Figur, die so etwas wie die gestorbene Utopie wiederbeleben könnte, der uns daran erinnert, worum es in der sozialen Revolution ursprünglich gegangen ist, bevor Leute wie Ulbricht und andere kleinbürgerliche Despoten an die Macht kamen. Es ist darum gegangen, daß Intellektuelle sich mit dem Volk verbünden und gegen die Ausbeutung und die Armut kämpfen.
Aber mittlerweile scheint ja auch in Lateinamerika die Zeit der Utopien vorbei. Die Guerillagruppen, die es noch gibt, führen mehr oder weniger eine marginale Existenz. Was würde Che Guevara denn tun, wenn er heute leben würde?
Ich glaube, Marcos in Mexico ist ganz klar jemand, der in der Nachfolge von Che Guevara lebt. Eine chilenische Filmemacherin, die für das französische Fernsehen einen Film über die Zapatisten gedreht hat, hat mir erzählt, daß dort überall Porträts von Che Guevara hängen.