Nummer 332 - Februar 2002 | Sachbuch

Anekdoten über Castro

Die erste deutsche Biographie über den Revolutionsführer hält nicht, was sie verspricht

Fidel Castro ist neben Nelson Mandela die vielleicht letzte legendäre Gestalt, die die Weltpolitik eingangs des 21. Jahrhunderts noch aufzuweisen hat. Umso erstaunlicher ist es, dass bisher keine einzige umfassende „deutsche“ Lebensbeschreibung über ihn vorliegt. Volker Skierka, 1989-92 Südamerika-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, hat zwar ein Buch vorgelegt, das durchaus dem besonderen Erfahrungs- und Erwartungshorizont des deutschen Lesers gerecht zu werden versucht. Eine wirkliche Biographie aber, wie der Titel verspricht,
ist es nicht geworden.

Hinnerk Berlekamp

Biographien über noch lebende Zeitgenossen sind ein riskantes Unterfangen, schon gar, wenn das Objekt der Beschreibung eine Person vom Kaliber Fidel Castros ist. Das bekam nicht zuletzt Pulitzer-Preisträger Andres Oppenheimer zu spüren. 1992 beschrieb er spannend und kenntnisreich den Umbruch in Kuba nach der Implosion des europäischen Realsozialismus, und hätte er als Titel nicht etwas voreilig Castro’s Final Hour gewählt, hätte das Buch noch einige Nachauflagen mehr vertragen.
Der Irrtum sprach sich herum, und Oppenheimers Kollegen sind vorsichtiger geworden.

Missglückte Einordnung

Auch Volker Skierka, von Hause aus Journalist und damit eigentlich für das schnelle Urteil für den Tagesgebrauch zuständig, nimmt sich in seinem Castro-Buch weit zurück. Über lange Strecken begnügt er sich damit, Leben und Wirken seiner Hauptperson zu beschreiben. Die historische Einordnung dagegen ist – vom resümierenden Schlusskapitel einmal abgesehen – seine Sache nicht.

Ergebnisarmer Anekdotenreichtum

Er lässt dafür andere zu Wort kommen. Vor allem in der ersten Hälfte ist sein Buch ein wahres Schatzkästchen von Anekdoten und zum großen Teil zeitgenössischen Zitaten über Castro. Die deutschen Korrespondentenberichte über dessen ersten Besuch bei der UNO 1960 zum Beispiel sind überaus nach-lesenswert.
Ungleich schwerer tut sich der Autor mit den DDR-Akten über Kuba, aus denen er ausführlich zitiert. Oft verraten sie mehr über die Diplomaten, die die Papiere verfassten, als über die Wirklichkeit auf der Insel. Für eine Quellenkritik fehlt es Skierka jedoch an Kenntnissen über Terminologie und Funktionsmechanismen des Realsozialismus. Wenn er den späteren Honecker-Kronprinzen Werner Lamberz 1961 als „Mitglied und Sekretär der FDJ“ nach Havanna reisen lässt – eine Hierarchie-Stufe, die auch Angela Merkel einst erklomm –, ist das mehr als ein Lapsus.
Ähnliche Defizite zeigen sich bei Skierkas Versuchen, seine Hauptperson ideologisch einzusortieren. „1959 steht der junge Castro für einen radikalen kubanischen Nationalismus, durchsetzt mit Elementen eines utopischen Sozialismus“, analysiert er noch sehr genau. In der Folgezeit aber verliert sich der Autor zusehends in Erörterungen, wann, warum und wie weit Castro zum Marxisten oder Marxisten-Leninisten mutierte. Der Verdacht, die Revolution sei an die Kommunisten „verraten“ worden, schwingt überall mit, auch wenn ihn Skierka in dieser Form nicht selbst ausspricht. Die Möglichkeit einer Eigendynamik einer Revolution, ihre Tendenz zur Radikalisierung sieht er anscheinend nicht. Selten nutzt Skierka die Chance, jenseits aller ideologischen Kampfbegriffe an konkreten Beispielen nachzuvollziehen, wie der Revolutionsführer zu welchem Zeitpunkt die Welt sah. So beschreibt er zwar detailliert Castros vierzig(!)-tägige Rundreise durch die Sowjetunion 1963. Wie ihn aber dieses Erlebnis prägt, ob er Sozialismus-gläubig oder möglicherweise vom Spät-Stalinismus desillusioniert nach Hause zurückkehrt, erfährt der Leser nicht.
Unbefriedigend fällt auch die Schilderung von Castros Besuch bei Salvador Allende in Chile 1971 aus. Skierka referiert zwar ausführlich über die Waffen, die der Kubaner der Unidad Popular zur Verfügung stellt. Doch was Castro, erster Vollstrecker des „bewaffneten Weges“ der lateinamerikanischen Revolution, über die Möglichkeiten des „friedlichen Weges“ denkt, verrät er nicht.

Verschwinden des Protagonisten

Verhältnismäßig kurz kommen bei Skierka die im Vergleich zu den ersten Jahren der Revolution weniger spektakulären 70er und 80er Jahre weg. Umso ausführlicher schildert er die Krisenjahre seit 1989. Sachkundig und einfühlsam beschreibt er die Reformen, mit denen die Regierung in Havanna dem Zusammenbruch des politischen und wirtschaftlichen Systems zu entrinnen versucht, benennt Erfolge und Misserfolge. Das im gesamten Buch spürbare Bemühen des Autors um Ausgewogenheit und Fairness gegenüber allen Beteiligten tritt hier besonders deutlich hervor.
Dennoch sind gerade diese letzten Kapitel die schwächsten des Buches, misst man sie an dem Anspruch des Autors, eine Biografie schreiben zu wollen. Denn die Person Fidel Castros tritt hier völlig in den Hintergrund, kommt passagenweise kaum noch vor. Dabei wäre es gerade für diese Zeit spannend zu lesen, wie der Mensch Castro mit seinen Erfahrungen, seinen Wertvorstellungen und auch seinen Marotten auf die äußeren Zwänge reagiert und unter den alternativen Handlungsoptionen seine Entscheidungen trifft. Doch Skierka bleibt einmal mehr die Auskunft schuldig.

Sachliche Fehler

Eine Bemerkung zum Schluss: Das Buch enthält eine Fülle von sachlichen Fehlern, die durch bloße Unachtsamkeit nicht zu erklären sind. Skierka verwechselt die Santería mit den Yoruba-Religionen, er verirrt sich im Lebenslauf des Nationalhelden José Martí und verlegt gleich zweimal die Stadt San Antonio de los Baños 20 Kilometer südwestlich von Havanna in die Nähe von Cienfuegos. Mit den Bauernmärkten schafft der Autor 1986 auch gleich das gesamte private Dienstleistungsgewerbe in Kuba ab; den Obristen Tony de la Guardia, einen der Hauptakteure der Ochoa-Affäre 1989, degradiert er zum gewöhnlichen Hauptmann. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Sollte Skierkas Buch demnächst eine zweite Auflage erleben: Eine gründliche Durchsicht wäre dringend geboten.

Volker Skierka: Fidel Castro. Eine Biographie. Kindler, Berlin 2001, 544 Seiten, 24,90 Euro.

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