Nummer 371 - Mai 2005 | Zentralamerika

Angst vor Massenentlassungen

Die Situation der Maquilas in Mittelamerika nach dem Ende des Welttextilabkommens

Der Wegfall der Länderquoten für Textil- und Bekleidungsexporte seit Januar 2005 lässt Befürchtungen aufkommen, die weltweite Textilproduktion könne sich nun auf wenige große Länder wie China und Indien konzentrieren. Für viele andere Produktionsstandorte würde dies das Ende eines großen Teils ihrer Bekleidungsproduktion bedeuten – und gleichzeitig eine massive Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in den verbleibenden Fabriken. Diese Angst geht derzeit auch in Mittelamerika um. Doch es gibt daran auch berechtigte Zweifel.

Thomas Krämer

Für die mittelamerikanischen Länder Honduras, El Salvador, Guatemala und Nicaragua ist die Textil- und Bekleidungsindustrie mit über 400.000 Arbeitsplätzen der mit Abstand größte industrielle Arbeitgeber. Obwohl die Löhne nur bei rund 100 US-Dollar im Monat liegen und die Arbeitsbedingungen in den meisten Maquilas nur schwer erträglich sind, sind die meisten der dort beschäftigten jungen und oft alleinerziehenden Frauen abhängig von ihrem Arbeitsplatz. Eine Schließung der Maquilas hätte verheerende Folgen für die betroffenen Familien, aber auch für die gesamte wirtschaftliche und soziale Situation Mittelamerikas.
Nach dem Wegfall der Länderquoten für Textil- und Bekleidungsexporte seit Januar 2005 geht der Verband der Maquila-Betreiber in El Salvador davon aus, dass höchstens 40.000 bis 50.000 der derzeit 90.000 Arbeitsplätze in den Maquilas El Salvadors erhalten bleiben. Die Beschäftigten zahlreicher Fabriken werden bereits seit letztem Jahr mit dem Argument unter Druck gesetzt, dass sie ab 2005 mit den viel „billigeren“ und „produktiveren“ ArbeiterInnen in China konkurrieren müssten. So wurde den Beschäftigten des adidas-Zulieferers Chi Fung in El Salvador bereits mitgeteilt, dass sie künftig für weniger Geld mehr arbeiten müssten – oder aber ihre Jobs wanderten nach China. Die ArbeiterInnen wiederum tragen sich mit der Angst um den Verlust ihrer Arbeitsplätze und sind damit noch vorsichtiger als sonst, gegen Missachtungen von Arbeitsrechtsbestimmungen zu protestieren.
Die Löhne in Mittelamerika sind im Durchschnitt fast doppelt so hoch wie in China, die Produktivität ist oft geringer. Warum also in Mittelamerika produzieren und zudem noch für Verbesserungen der Arbeitsbedingungen sorgen? Da stellt sich schon die Frage, ob nicht die Befürchtungen berechtigt sind, dass in Mittelamerika nur noch ein Teil aller Betriebe und Arbeitsplätze die Konkurrenz mit China überstehen wird – und das noch mit verschlechterten Arbeitsbedingungen. Es gibt jedoch zahlreiche Gründe, die dagegen sprechen. El Salvador, Honduras, Guatemala und Nicaragua haben im Weltbekleidungssektor zusammen derzeit einen Marktanteil von ungefähr sechs Prozent. Das bedeutet, dass es für Mittelamerika auch künftig ausreicht, nur einen kleinen Teil des Marktes zu bedienen ohne zwangläufig Produktionsrückgänge befürchten zu müssen.

Ausgleich für höhere Lohnkosten

Der größte Vorteil der mittelamerikanischen Länder ist ihre geographische Nähe zu den USA. Diese zahlt sich nicht nur durch niedrigere Transportkosten sondern auch durch kürzere Lieferzeiten aus. Es zeichnet sich ab, dass viele Marken- und Handelsketten zwar das laufende Massengeschäft in Asien abwickeln lassen, sich aber zusätzliche Produktionskapazitäten für flexible Beschaffungsmöglichkeiten in räumlicher Nähe zum Absatzmarkt aufrecht halten werden. Immer mehr Markenkonzerne und Handelsketten stellen klar, dass sie nicht alles auf eine Karte – China – setzen werden.
Zudem könnte der Bekleidungsindustrie Mittelamerikas umstrittene Freihandelsabkommen CAFTA (siehe Artikel in diesem Heft) Vorteile bringen. Sollte es in Kraft treten, garantiert es zollfreien Zugang für Bekleidung in den US-amerikanischen Markt. Vorprodukte dürfen in der Regel nicht aus asiatischen Billiglohnländern stammen, Textilien aus Mittelamerika dürfen jedoch eingesetzt werden. Das führte bereits 2004 zu millionenschweren Investitionen in neue Textilfabriken in Nicaragua, Guatemala und Honduras.

Zusammenschluss wichtiger Akteure

Unter mittelamerikanischen Gewerkschafts- und Frauenorganisationen werden die Perspektiven für die Maquilas derzeit heiß diskutiert. Fragen nach den Auswirkungen des Wegfalls des Multifaserabkommens und nach notwendigen Reaktionen darauf standen im Mittelpunkt einer zweitägigen Konferenz, die im Februar in Managua stattfand. Auf Einladung der Regionalen Initiative für soziale Verantwortung und würdige Arbeit (IRSTD), dem Maquila Solidarity Network (MSN) aus Kanada und der Christlichen Initiative Romero (CIR) kamen VertreterInnen von rund 50 zivilgesellschaftlichen Organisationen aus ganz Mittelamerika zusammen. Allein die Tatsache, dass sich erstmals alle für das Thema relevanten, bislang häufig konkurrierenden oder gar verfeindeten Gewerkschafts-, Frauen-, Monitoring- und Menschenrechtsorganisationen der Region zusammen setzten, war ein Erfolg.
Die TeilnehmerInnen der Konferenz berichteten überwiegend von Fabrikschließungen und führten diese auf die Expansion Chinas zurück. Einzig Nicaragua bildete eine Ausnahme: Die Bekleidungsexporte des Landes legten 2004 gar um 22 Prozent zu – regelmäßig werden dort neue Bekleidungs-Maquilas und Freie Produktionszonen eröffnet. Die Nähfabriken sind derzeit der Jobbringer in Nicaragua. Die Löhne jedoch sind nach denen in Haiti die niedrigsten in ganz Lateinamerika und selbst nach der jüngsten Mindestlohnerhöhung um 15 Prozent liegen sie umgerechnet bei nur rund 62 Euro im Monat.
Interessant ist der Fall Guatemala, wo scheinbar eine Modernisierung des Sektors greift, die nicht nur Effizienzsteigerungen in der Maquila-Industrie, sondern auch Anstrengungen im Bereich „Soziale Verantwortung von Unternehmen“ beinhaltet. Zwar schlossen im letzten Jahr in Guatemala zahlreiche kleinere Maquilas beziehungsweise verlagerten ihre Produktion in das “Billiglohnland” Nicaragua, aber insgesamt stiegen die Bekleidungsexporte des in größeren Fabriken konsolidierten Sektors in die USA um über zehn Prozent.
Im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen bietet die Öffnung neuer Fabriken Chancen, denn einige Markenhersteller achten zunehmend darauf, dass in neuen Fabriken internationale Sozialstandards eingehalten werden und sind zum Teil auch bereit, bei deren Überprüfung mit lokalen Nichtregierungsorganisationen zusammen zu arbeiten.
Das veranlasste die Veranstalter der Februar-Konferenz von Managua dazu, die Einhaltung von Arbeitsrechten als komparativen Standortvorteil für Mittelamerika zu propagieren. Ziel dafür muss sein, sich in einer konzertierten Anstrengung zwischen Regierungen, Unternehmen und Zivilgesellschaft als „saubere Region“ zu profilieren, die sich zum Beispiel von China dadurch abhebt, dass hier die internationalen Sozialstandards eingehalten werden.
Um das zu erreichen wurde die Bildung nationaler „Runder Tische“ vereinbart, die Strategien solch einer “verantwortlichen Konkurrenzfähigkeit” entwickeln sollen. Doch auch die klassischen, eher defensiven Strategien zur Verteidigung der Rechte der ArbeitnehmerInnen sollen ausgebaut werden. Hier setzte die Konferenz Akzente in der Bereitschaft der unterschiedlichen Akteure, ihre Aktionen besonders auf nationaler Ebene künftig enger miteinander abzustimmen. In den nächsten Monaten wird sich zeigen, wie nachhaltig die politischen Annäherungen sind.

Markenimage als Antrieb für Verbesserungen

Auch auf dem im März von der nicaraguanischen Frauenbewegung María Elena Cuadra (MEC) veranstalteten Maquilakongress ging es den circa 1.500 Maquila-Arbeiterinnen um das Auslaufen des Multifaserabkommens und die Auswirkungen auf die Bekleidungsproduktion in Nicaragua. Auf dem Podium saßen hochrangige Gäste aus Politik und Wirtschaft.
„Nein, GAP wird seine Produktion nicht aus der mittelamerikanischen Region abziehen“, versicherte GAP-Berater Richard Feinberg. Der Umfang der Produktion in Mittelamerika hänge allerdings von verschiedenen Faktoren ab – unter anderem auch von der Einhaltung der Arbeitsrechte. Miriam Rodriguez von Levi´s bestätigte, dass es sich heute kein Markenunternehmen mehr leisten könne, wegen Arbeitsrechtsverletzungen in seinen Zulieferfabriken in die Schlagzeilen zu geraten. Deshalb seien sie an „sauberen“ Arbeitsbedingungen bei ihren Zulieferern interessiert. Paradoxerweise treten Markenunternehmen wie GAP und Levi´s, die in den KonsumentInnenkampagnen des Nordens vielfach Adressaten von Protest sind, vor Ort im Süden häufig als „BündnispartnerInnen“ der Nichtregierungsorganisationen auf.

Macht der KonsumentInnen

Dennoch sollte man nicht annehmen, dass sich die Unternehmen aus reinem Interesse am Wohlbefinden ihrer ArbeiterInnen für die Einhaltung des Arbeitsrechts interessieren. In der Fachdiskussion spielt das Interesse der KonsumentInnen an „Sauberer Kleidung“ eine zunehmende Rolle. Da birgt ein Land wie China, das von einem auf den anderen Tag in den Mittelpunkt weltweiter Kampagnen beispielsweise für Gewerkschaftsfreiheit geraten könnte, durchaus Risiken: Denn das Image ihrer Marke ist das Teuerste, was diese Konzerne verlieren können.
Der verschärfte Freihandel in der weltweiten Bekleidungsindustrie bringt für Mittelamerika somit nicht automatisch Massenarmut und verstärkte Ausbeutung mit sich – auch wenn dies durchaus ernstzunehmende Risiken sind. Die Durchsetzung sozialer Mindeststandards in der Exportindustrie Mittelamerikas ist ein wichtiges Ziel, mit dem sich derzeit mehrere Projekte befassen. Leider gehen diese nicht von den dortigen Regierungen aus, sondern unter anderem von Markenkonzernen wie GAP oder Timberland unterstützt von vielen Nichtregierungsorganisationen.
Die Standortentscheidungen der Markenkonzerne und Handelsketten sind von vielen Faktoren abhängig – und beeinflussbar! Wichtig wird auch künftig sein, den Druck auf die Konzerne für mehr soziale Verantwortung und die Einhaltung sozialer Mindeststandards aufrecht zu halten. Die Wirkung von kritischen KonsumentInnen, Medien und Kampagnen ist schon jetzt spürbar. Nur durch Druck der VerbraucherInnen und die damit verbundenen Risiken eines Imageschadens für die Konzerne kann erreicht werden, dass es keinen Wettstreit um die niedrigsten Löhne und Sozialstandards gibt, sondern stattdessen um die „sauberste“ Kleidung.

Kasten:

Arbeitsrechtsverletzungen in Honduras

Schon seit geraumer Zeit wird über unzumutbare Arbeitsbedingungen bei Zulieferern des deutschen Sportartikelherstellers adidas-Salomon in El Salvador berichtet. Die Christliche Initiative Romero ließ nun die adidas-Zulieferer in Honduras untersuchen und stellte zum Beispiel beim adidas-Zulieferer »Hugger« in San Pedro Sula fest:
• Es gibt keine Organisationsfreiheit in dem Betrieb.
• Die rund 1.500 Beschäftigten erhalten einen Lohn von nur knapp 110 Euro im Monat, nicht genug, um die Grundbedürfnisse einer Familie zu befriedigen.
• Die Beschäftigten werden vor ihrer Einstellung diskriminierenden Untersuchungen unterzogen. Schwangerschaft und Tätowierungen sind Gründe für eine Nicht-Einstellung.
Nach dem angeblich verbindlichen adidas-Verhaltenskodex dürften diese Missstände nicht existieren, doch keiner der Befragten hatte je von solch einem Verhaltenskodex gehört. Die „Kampagne für ‚Saubere’ Kleidung“ führt deshalb eine Postkartenaktion durch, mit der adidas dazu aufgefordert wird, existenzsichernde Löhne und Organisationsfreiheit sicher zu stellen und die Arbeitsbedingungen unabhängig überprüfen zu lassen.
Mehr Informationen:
Christliche Initiative Romero, Frauenstr. 3-7, 48143 Münster
Tel.: 0251/89503, E-mail: cir@ci-romero.de, www.ci-romero.de

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