Anti – Lula verzweifelt gesucht
Präsidentschaftswahlen: Wer schlägt Lula?
Die Nummer 1 der Bürgerlichen, Fernando Henrique Cardoso, allgemein als FHC abgekürzt, war bisher Wirtschaftsminister und hat jetzt seine Kandidatur offen verkündet. In einem anderen, längst vergangenen Leben war FHC ein leibhaftiger Vordenker der Dependenztheorie und scharfer Kritiker des brasilianischen Kapitalismus. Heute jedenfalls ist er die erste Wahl bei der Besetzung der Rolle des “Anti-Lulas”. Er kandidiert für die PSDB, die Partei in Brasilien, die sich am intensivsten um ein “modernes” und “sozialdemokratisches” Image bemüht und die für viele in der PT als der wichtigste potentielle Bündnispartner angesehen wird. Im Augenblick bahnt sich allerdings ein ganz anderes Bündnis an. Die PFL (“Partei der liberalen Front”) biedert sich recht unverblümt an. Ein problematischer Bündnispartner für das moderne Image der PSDB, denn das inhaltliche Profil der PFL ist schwer auszumachen. Als Abspaltung der Partei der Militärs wurde sie erst 1985 gegründet, so daß sie rechtzeitig den Absprung schaffte, um mit der damaligen Opposition 1985 die erste zivile Regierung zu übernehmen. Architekt des unerwarteten Bündnisses ist der Gouverneur von Bahia, Antonio Carlos Magalhaes, ein wahrer Überlebenskünstler der brasilianischen Politik. Noch 1992 gehörte er zu den letzten, die den korrupten Collor im Amt halten wollten.
Die Avancen der PFL werfen ein Schlaglicht auf die politische Situation Brasiliens. Sie sind Ausdruck dafür, wie schwierig es für das rechte Lager ist, einen populären Kandidaten ins Rennen zu schicken. Alle Umfragen deuten darauf hin, daß kein Kandidat, der klar dem konservativen Lager zuzuordnen ist, in einem wahrscheinlich notwendigen zweiten Wahlgang eine Chance gegen Lula hätte. Die PFL will anscheinend auch eine Lehre aus dem Desaster von 1989 ziehen. Damals hatte die Zerstrittenheit des bürgerlichen Lagers dazu geführt, daß sich nur noch der linke Lula und der “newcomer” Collor als Alternative stellten. Lula ist also nur mit einem Kandidaten zu schlagen, der in den zweifelhaften politischen Zuordnungen zumindest imagemäßig das Mitte-Links Spektrum repräsentiert.
Dafür ist FHC ideal. Ein jovialer Intellektueller mit linker Vergangenheit, ein erfahrener Politiker und besonnener Vermittler, eben ein “concilador” (“Versöhner”); beliebt bei der Presse, den UnternehmerInnen und weiten Teilen der Mittelschicht. Das große Problem FHCs ist, daß sich mit diesem Image zwar Sympathie, aber kein Wahlkampf gewinnen läßt. Das war die deutliche Lehre von 1989 für die PSDB. Über die Aussichten FHCs wird letzlich nur eins entscheiden: der Erfolg des Wirtschaftsplanes (vgl. LN 237), der seinen Namen trägt. Gelingt es dem Nachfolger FHCs im Amt des Wirtschaftsministers, mit Hilfe des Plans die Inflation zu senken, ohne das Land in eine schwere Wirtschaftskrise zu stürzen und ohne allzu drastische Einkommensver-luste, dann hat FHC sehr gute Chancen, Lula zu schlagen. Doch sollte der Plan ins Schlingern geraten, ist der hoffnungs-vollste “Anti-Lula” erledigt und damit wohl auch die Chancen des bürgerlichen Lagers, den Wahlsieg Lulas zu verhindern.
Die entscheidende Phase des Wirtschaftsplans beginnt im Mai, wenn aus der an den Dollar gebundenen Rechnungseinheit URV die neue Währung Brasiliens werden soll. Im Grunde läuft der Plan auf eine abgefederte Dollarisierung hinaus. Er wird, und das unterscheidet ihn von der Situation in Argentinien, von einer Regierung durchgeführt, die sich in den letzten Monaten ihrer Amtszeit befindet, der ein schwacher und unentschlossener Präsident vorsteht, und deren wichtigste personelle Stütze nun in den Wahlkampf zieht. Die Gefahren für den Plan sind also insbesondere politischer Natur. Gegenwind im Parlament würde der Plan nicht überleben. Die offene Unterstützung von Präsident Itamar Franco für Cardoso macht die Sache nicht einfacher: Die Regierung steht im Wahlkampf und braucht gleichzeitig politische Unterstützung. Nun wird auch klar, warum die PSDB das Angebot der PFL kaum ablehnen kann: Ohne schlagkräftige Unterstützung aus dem rechten Lager hat der Wirtschaftsplan (und damit die Kandidatur von Fernando Henrique Cardoso) wenig Chancen. Problematisch ist allerdings für die PSDB, daß damit ihr “modernes” Image erheblich angekratzt wird und ein Teil der Partei wohl diese Kehrtwende nicht mitmacht. Immerhin, alle anderen Kandidaten haben große Chancen, überhaupt kein Risiko für Lula zu werden.
Nr. 2 und 3: Die Problemkinder
Die PMDB, hervorgegangen aus der MDB, der legalen und offiziösen Oppositionspartei zu Zeiten der Militärdiktatur, ist nach wie vor die größte politische Partei Brasiliens. Aber aus einer Bewegung, die einst auch große Teile der linken Opposition vereinte, ist inzwischen ein konturloser Wahlverein geworden, der aber noch in vielen Teilen des Landes die lokalen Eliten organisiert. Es ist nur natürlich, daß die größte Partei Brasiliens einen eigenen Kandidaten präsentiert. Und sie hat einen Politiker, der mit aller Macht Kandidat der Partei sein will: Orestes Quercia, Ex-Gouverneur von Sao Paulo. Und Quercia ist das große Problem der PMDB. Er ist vielleicht der geschickteste Politiker Brasiliens, sicherlich aber einer der skrupellosesten und korruptesten. Galt er nach seiner recht populären Amtszeit in Sao Paulo als absolutes Schwergewicht in der brasilianischen Politik, so machen ihm seit zwei Jahren nachträgliche Enthüllungen der Presse das Leben schwer. Insbesondere hängt ihm ein Waffengeschäft mit Israel nach, bei dem für hunderte von Millionen US-Dollar überteuerte Waffen für die Polizei von Sao Paulo gekauft wurden.
Aber Quercia ist zäh und beherrscht große Teile des Apparates der PMDB. Nur ist seine Kandidatur in Zeiten, in denen nach den traumatischen Erfahrungen mit Collor Politiker gefragt sind, die nicht korrupt sind, äußerst verwundbar. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß die PMDB sich wieder einmal selbst im Wege steht: Der Machiavellist Quercia hat große Chancen, sich in der Partei durchzusetzen, aber nicht beim Wahlvolk. Außerdem ist klar, daß eine Kandidatur Quercias die Partei spalten würde, da der “progressive” Flügel wohl eher FHC als Quercia unterstützen würde.
Dabei könnte gerade dieser Flügel der Partei den idealen “Anti-Lula” aufbieten: Antonio Britto, der als Arbeitsminister der jetzigen Regierung einen ausgezeichneten Eindruck machte, liegt bei den meisten Umfragen schon auf Platz zwei hinter Lula. Viele halten eine Liste FHC/Britto für unschlagbar. Und Britto hätte den Vorteil, ungefähr das gleiche Image zu verkörpern wie FHC, ohne aber so stark von dem Erfolg des Planes abhängig zu sein. Einziger Haken: Er ist nicht Kandidat und hätte es wohl auch schwer, sich in der PMDB gegen Quercia durchzusetzen. Der schießt auch schon mit hartem Kaliber gegen Britto, bezeichnet ihn als Gauner und ließ ermitteln, Britto sei als fünfzehnjähriger(!) wegen eines angeblichen Diebstahls von der Schule geflogen. Britto selbst will anscheinend lieber Gouverneur in einem Bundesstaat werden, als sich auf das Abenteuer Präsidentschaftswahlkampf einzulassen. Geriete aber FHC frühzeitig ins Schlingern, könnte er doch noch als Joker des “Mitte-Links Lagers” ins Rennen geschickt werden.
Ein anderer hingegen zweifelt nicht und ist Kandidat. Paulo Maluf, Bürgermeister von Sao Paulo und starker Mann der PPR, die aus der Partei der Militärs hervorgegangen ist. Er repräsentiert den rechten Flügel des bürgerlichen Lagers und profiliert sich durch einen lautstarken “law and order”-Diskurs. Er ist sicherlich die unerfreulichste Erscheinung im Wahlkampf, und glücklicherweise reicht seine Popularität kaum über Sao Paulo hinaus. Aber wenn es ihm gelingt, die Wahlen mit Hilfe des Themas “Innere Sicherheit” zu polarisieren, könnten seine Wahlchancen doch noch steigen. Die Strategen im bürgerlichen Lager befürchten allerdings, daß Maluf im zweiten Wahlgang die allerwenigsten Chancen gegen Lula hätte.
Die PT: Streits und Hetze
Es kann nicht verwundern, daß das bürgerliche Lager mit schweren Geschützen auf Lula schießt. Ein Gewerkschafter, Arbeiterführer und Chef einer Partei, die sich zum Sozialismus bekennt, als künftiger Präsident Brasiliens?! Nachdem eine Schmutzkampagne gegen den der PT nahestehenden Gewerkschaftsverband CUT – ein Mord wegen persönlicher Auseinandersetzungen sollte der PT in die Schuhe geschoben werden – nicht recht greifen wollte, schwenkt die Presse auf eine andere Linie ein. Lula, der als Superstar dargestellt wird (Luis Ignacio “Sinatra” da Silva), ist zwar politisch unerfahren (kein administratives Amt bisher), aber eigentlich ein guter Kerl. Böse hingegen sind die Radikalen in der PT, die “Schiiten”, welche die Partei beherrschen und Lula dominieren wollen. Die innerparteilichen Auseinandersetzungen, die es in der PT zweifelsohne gibt, werden von der Presse gnadenlos ausgeschlachtet.
Dem hat die PT auch durch nutzlose Streitigkeiten Vorschub geleistet. Zuerst ging es um die Frage der Bündnisse, vor allem mit der PSDB. Der “rechte” Flügel der Partei wollte unbedingt schon im ersten Wahlgang eine Allianz mit dem bürgerlichen Lager eingehen, die aber schon aus mangelndem Interesse der anderen Seite gar nicht zur Debatte stand. Zum anderen wollte die Parlamentsfraktion der PT unbedingt an der Verfassungsreform mitwirken, die die Partei boykottiert. Resultat: ein endloses Gezerre zwischen Fraktion und Parteivorstand, ein gefundenes Fressen für die Presse.
Die Hauptlinie aber zeichnet sich schon ab: Die PT soll als Partei eines archaischen und gescheiterten Sozialismus erscheinen, deren Machtergreifung ein Abenteuer wäre, das Brasilien auf jeden Fall erspart werden müßte. Und die PT reagiert da bisher eher negativ: Insbesondere Lula (“Lula 94”) versucht sich als seriös und moderat zu verkaufen: Die Suche nach der Mehrhit bestimmt die Politik.
Auf der Suche nach den verlorenen Inhalten
Bisher war mehr von Image- und Designfragen die Rede als von Inhalten. Nicht ohne Grund. Tatsächlich sind inhaltliche Differenzen im bürgerlichen Lager in den großen Fragen kaum noch auszumachen. Der Präsident der PFL, Jorge Bornhausen (Ex-Minister unter den Militärs und Collor) beschreibt die programmatischen Grundlagen seiner Partei folgendermaßen: “Wir wollen die Verkleinerung des Staates. Wir wollen die Privatisierung. Wir wollen einen modernen Staat, in dem der Bürger respektiert wird, und der sich um Erziehung, Gesundheit und Sicherheit kümmert.” Hinter diesem Mainstreammotto steht wohl das gesamte bürgerliche Lager. Die relativ beliebigen Bündnisse zeigen schon die fehlenden inhaltlichen Konturen. Zerstritten bleibt das bürgerliche Lager, aber dabei geht es eben darum, Macht und Einfluß zu sichern, und nicht um gesellschaftliche Grundkonzepte.
Aus diesem Schema bricht – trotz allem – die PT deutlich heraus. Sie bemüht sich um eine breite programmatische Diskussion innerhalb der Partei und sucht ernsthaft nach ein Konzept für linke Politik heute in Brasilien. Sie hat deshalb mehr verdient als süffisante Randbemerkungen. Zum 1. Mai wird auf einem Parteitag der PT das Regierungsprogramm des Kandidaten Lula diskutiert und verabschiedet werden.