Arbeitskampf mit der Nationalgarde
Präsident Hugo Chávez versucht die Gewerkschaften auf Linie zu bringen
Streiks im Petroleumsektor und bei LehrerInnen dominierten die politische Debatte in Venezuela in den letzten zwei Monaten. Bei den LehrerInnen stieß der Dekretismus – das Regieren mit Dekreten – ,mit dem Venezuelas Präsident Hugo Chávez seine Vorstellung von Demokratie durchdrücken will, in den vergangenen Wochen auf massiven Widerstand.
Mit Streiks und Demonstrationen protestierten auch die Arbeiter des Petroleumsektors gegen Chávez’ Politik. Ihr Aufruhr drückt den Frust darüber aus, dass trotz gestiegener Ölpreise Entlassungen vorgenommen und Löhne nicht erhöht werden. Doch die Regierung reagierte nicht etwa mit Zugeständnissen, sondern mit Repressalien. Am zweiten Tag der Arbeitsniederlegung schickte Chávez Ende März die Guardia Nacional (GN) in die reiche Region Zulia, wo die staatlich kontrollierte Ölgesellschaft Pdvsa mit nur 50.000 Beschäftigten mehr als ein Viertel des venezolanischen Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet. Mit Waffengewalt und Einschüchterungen der Belegschaften trieb die GN einen Großteil der Streikwilligen zurück an die Arbeitsplätze. Zudem versuchten die Sicherheitskräfte, die Transportwege zu den Raffinerien freizuhalten.
Nur etwa ein Drittel der ArbeiterInnen ließ sich vom Eingreifen der GN nicht beeindrucken und beschimpfte den Einsatzleiter sowie den Staatsanwalt der Stadt Maracaibo, der 44 DemonstrantInnen verhaften ließ. Bereits nach zwei Tagen war der Streik mit Hilfe der GN dann beendet. Chávez triumphierte, die Confederación de Trabajadores de Venezuela (CTV), die älteste und größte Gewerkschaft Venezuelas, sei „ausgelöscht“ und der Streik „ein Fiasko“ gewesen.
Genugtuung verschaffte Chávez auch der zweite große Streik, an dem rund 30 Prozent der LehrerInnen des Landes teilnahmen. Der Präsident bedankte sich bei den LehrerInnen und DozentInnen, die sich den Protesten nicht angeschlossen hatten und zeigte sich erfreut, dass keine einzige der „bolivarianischen“ Schulen am Streik teilgenommen habe. Vor dem Hintergrund der Unruhe im Schul- und Universitätswesen ist das jedoch nicht verwunderlich. Denn mit dem Dekret 1.011 will Chávez nach kubanischem Vorbild die Erziehung politisieren. Von der Regierung gewählte politische Inhalte müssen vermittelt werden und verdrängen die demokratischen Staaten gemeinhin gut zu Gesicht stehende neutrale politische Bildung. Die „bolivarianischen“ Bildungseinrichtungen verfolgen ohnehin den Kurs des Castro-Freundes Chávez.
Die kurze und relativ schwache Beteiligung an den Streiks spiegelt ein Dilemma der venezolanischen Gewerkschaften wider: Vor allem kleinere Gewerkschaften setzten anfangs viel Hoffnung in den neuen Präsidenten, der vollmundig die Abschaffung der Korruption und die ausschließliche Verfolgung von Arbeitnehmerinteressen versprochen hatte. Der Chávez-Bonus dauert an. Gerade die arme Bevölkerung hat den Mann aus einfachen Verhältnissen sehr ins Herz geschlossen. 67 Prozent aller Wahlberechtigten stehen nach einer Umfrage vom vergangenen März weiter hinter ihm. Aktionen gegen den Präsidenten müssen also wohl überlegt sein. Und der Rückhalt der traditionellen Gewerkschaften bei den ArbeiterInnen ist durch die Schaffung von „chavistischen“ Gewerkschaften untergraben.
Ein wichtiges Stimmungsbarometer für chavistische und traditionelle Gewerkschaften steht mit den diesjährigen Gewerkschaftswahlen an. Die von Chávez durchgepeitschte Verfassung von 1999 sieht Neuwahlen aller öffentlichen Ämter und ebenso der Gewerkschaften bis Ende diesen Jahres vor. Und auch hier nimmt Hugo Chávez Einfluss. Nachdem sich der ihm nahestehende Nationale Wahlrat (CNE) mit der Weisung eingemischt hatte, alle Gewerkschaftswahlen zu bündeln, legte die Dachorganisation Comité de Unidad Sindical (Codesa) Protest ein. Der Codesa befürchtet, dass hinter dem Vorstoß des CNE die chavistischen Gewerkschafter stehen. Sie wollten, so Codesa, Zeit schinden und die ideologischen Grenzen zwischen den einzelnen Gewerkschaften verwischen, um noch mehr Arbeiter von den Zielen der „bolivarianischen Revolution“ zu überzeugen und so an Gewicht zu gewinnen. Der Präsident des CNE, Roberto Ruiz, hat versprochen, die Argumente des Codesa „wie die aller anderen“ zu prüfen.
Darüber hinaus sind mehr und mehr venezolanische Arbeiter gar nicht mehr offiziell organisiert, da der informelle Sektor in seinen Dimensionen mittlerweile den Formellen übertrifft. Über die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung ist nicht in den kontrollierten Wirtschaftskreislauf eingebunden. Starke Parallelstrukturen haben sich etabliert, in die weder die CTV noch andere Gewerkschaften einzudringen vermögen.
Diese Entwicklung hat sogar zu einem ungewöhnlichen Bündnis aus Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden geführt, die ohne die Vermittlung der Regierung einen „Tisch des sozialen Dialoges“ ins Leben gerufen haben. Damit soll die wirtschaftliche Effizienz des Landes gesteigert und innerhalb von fünf Jahren die Armut deutlich gesenkt werden. Vor allem aber zeigt dieses „Bündnis für Arbeit“ die Befürchtung, Venezuela könnte noch weiter in die Anarchie abstürzen. Die kriminelle Gewalt, seit vielen Jahren ein zentrales Problem in den Großstädten, sickert aufs Land durch, wo beispielsweise vor einigen Wochen Tagelöhner einen Finca-Besitzer lynchten, nachdem sie sein Anwesen bereits wochenlang besetzt gehalten hatten.
Zur Ablenkung Außenpolitik
Präsident Chávez versucht derweil, die Unruhe im eigenen Land nach altem Muster mit Außenpolitik zu überspielen. Stolz gerierte er sich als Gastgeber der „Grupo de Tres“, die die drei Länder Venezuela, Kolumbien und Mexiko verbindet und kündigte den Beitritt Venezuelas zum Mercosur noch für das laufende Jahr an. Größere Sorgen sollte Chávez freilich der wachsende Widerstand der ArbeiterInnen und die schwindende Autorität der staatlichen Organe auf dem Land machen.
Doch auch wenn der demokratisch gewählte Präsident mit den caudillistischen Zügen sich wieder der Innenpolitik zuwendet, dürften sich die regierungskritischen Gewerkschaften noch einige Zeit die Zähne an ihm ausbeißen. Sollte der Ex-Fallschirmjäger nicht vorher mit einem Staatsstreich oder von der erbosten Bevölkerung aus dem Amt gejagt werden, regiert er noch bis zum 1. Januar 2007. Das hat Anfang April der Oberste Gerichtshof verfügt.