„Asyl war immer was für Leute aus der Politik“
Von Buenaventura nach Deutschland. Ein Erfahrungsbericht
Pablo: „Buenaventura war früher eine sehr friedliche Stadt. Man konnte zu jeder Tages- und Nachtzeit ausgehen. Aber die Probleme mit der Guerilla, den Paramilitärs, dem Drogenhandel und der Regierung selbst kamen auch nach Buenaventura. Man denkt immer, es wird einen nie persönlich treffen. Man denkt, man beobachtet alles von weitem. Wenn dann plötzlich das eigene Leben bedroht ist, dann merkt man, wie schwierig die ganze Situation ist. So war es auch in unserem Fall. Adrianas Onkel ist in Dinge hineingeraten, mit denen er nichts zu tun haben wollte. Er wurde gezwungen, mit der Guerilla zu kooperieren.“
Adriana: „Er hatte einen kleinen Laden und die Guerilla nutzte ihn für ihre Versorgung. Daraufhin haben Paramilitärs seine zwei Söhne getötet. Mein Onkel konnte zunächst entkommen, aber als er in Cali bei der Menschenrechtsombudsstelle Anzeige erstatten wollte, haben ihn die Paramilitärs umgebracht. Es passierte, was immer in Kolumbien passiert: Jemand stirbt bei dem Versuch, Schutz zu suchen. Bei der Behörde geben sie dir einen Termin in 20 Tagen. Da hat der Mörder viel Zeit, dich zu töten.“
Pablo: „Adrianas Bruder verbrachte viel Zeit mit den Söhnen dieses Onkels, sie lebten alle in einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Buenaventura. Als ihr Onkel ermordet wurde, musste Adrianas Bruder fliehen. Die FARC beschuldigten ihn des Verrats. Er kam zu uns nach Hause und so kam das Ganze zu uns. Ihr Bruder musste sich einen anderen, sichereren Ort suchen, aber die Guerilla beharrt darauf, dass wir ihn decken. An diesem Punkt beginnen sie, dich persönlich zu verfolgen. Sie kommen zu dir nach Hause, rufen an, schicken SMS und Briefe mit Drohungen.“
Adriana: „Sie sagten immer, ich soll gut nachdenken, ob ich mich nicht erinnere, wo er ist.“
„Namen zu nennen, ist nicht ratsam“
Pablo: „So setzen sie einen unter Druck. Man weiß nicht was man tun soll. Weil sie den Bruder nicht finden, fangen sie an, dir zu drohen. Sie stehen dir gegenüber, so wie wir jetzt bei diesem Gespräch, und sagen dir: „Du hast 48 Stunden, um dein Haus zu verlassen.“ Da kriegt man Angst. Besonders schlimm wurde es, als Adriana mit ihrem kleinen Sohn im Bus überfallen wurde. Die Täter nahmen ihr die Handtasche weg. Sie dachte erst, es sei ein normaler Raubüberfall, aber sie sagten: „Wir haben ein Problem mit dir, nicht mit den anderen.“ Das war traumatisch. Erst sind wir in einem anderen Viertel untergekommen. Dann war es dort auch nicht mehr sicher. Also in eine andere Stadt, nach Cali, wo meine Mutter und einige meiner Brüder wohnen. Wir haben Anzeige bei den Behörden erstattet, bei der Staatsanwaltschaft, bei der Polizei und beim Ombudsbüro. Aber es passierte nichts.
Die Staatsanwaltschaft nimmt die Anzeige nicht mal an, wenn du den genauen Namen des Täters nicht nennen kannst! Außerdem sind aus der Staatsanwaltschaft und der Polizei selbst Personen involviert – zum Teil sogar aus der Regierung. Das heißt, wenn du sagst, die und die Person ist es, gehst du eine doppelte Gefahr ein.“
Adriana: „Selbst wenn man die Namen kennt, ist es nicht ratsam, sie zu nennen. Weil du vielleicht genau den denunzierst, bei dem du die Anzeige erstattest.“
Pablo: „In Cali waren wir auch nicht sicher. Bei Adrianas Onkel war es ja auch so gewesen, dass sie ihm gefolgt sind. Am Ende haben sie ihn umgebracht, als er gerade Schutz suchte. Du fühlst dich im eigenen Land nicht mehr sicher. Deshalb haben wir uns entschieden zu gehen. Ich habe sehr viel im Internet recherchiert, über alle möglichen Länder. Wir haben Anwälte befragt. Asyl, das war immer was für Leute aus der Politik. Als dann das mit der FARC passierte… da fühlt man sich schon irgendwie politisch. Wenn man bedroht wird, versucht man herauszufinden, wo man schnell hingehen kann. Es war nicht so wichtig wohin, Hauptsache schnell. Deutschland schien uns eines der Länder zu sein, in dem die Menschenrechte geschützt werden. Anderswo, in Frankreich, Spanien, Italien, waren die Aufnahmebedingungen schwieriger. In Kanada fordern sie zum Beispiel Sprachkenntnisse, gleich wenn man ankommt.“
„Wir kamen uns vor wie im Gefängnis“
Adriana: „Wir haben auch in Kolumbien versucht, Schutz zu bekommen. Die Behörden haben das abgelehnt, weil wir keine Leibwächter bezahlen konnten. Sie haben uns geraten, das Land zu verlassen. Das Geld für den Flug haben wir von Freunden und Verwandten geliehen.
Am Frankfurter Flughafen haben uns Polizisten empfangen. Wir haben ihnen erklärt, dass wir in Kolumbien verfolgt werden und in Deutschland Asyl suchen. Auf spanisch – wir wussten ja nicht mal, wie man auf deutsch „Guten Tag“ sagt. Gott sei dank hatten wir aber ein Dokument auf Englisch dabei, wo alles drinstand. Einer der Polizisten brachte uns zu einem Büro. Sie redeten nicht mit uns, aber sie durchsuchten uns sehr intensiv. Unsere Koffer, unsere Körper, alles. Sie machten viele Fotos, von allen Seiten. Wir kamen uns vor wie im Gefängnis. Sie fragten, ob wir Geld hätten und nahmen uns unsere Papiere ab, ohne zu sagen, wann wir sie zurückbekämen. Abends brachten sie uns zu einem Flüchtlingslager. Es gab zu essen, aber man durfte nicht raus. Niemand erklärte uns wie es weitergehen würde und die meisten anderen sprachen kein Spanisch. Nach sechs Tagen schickten sie uns nach Gießen in ein anderes Flüchtlingslager und drei Tage später nach Braunschweig.
In Frankfurt hatten sie uns schon Blut abgenommen und uns untersucht, in Gießen und in Braunschweig dann wieder. Über die Ergebnisse der Untersuchungen haben sie uns nichts gesagt. Naja, wenn wir was Schlimmes hätten, hätten sie uns wohl Bescheid gesagt – also nehme ich an wir sind kerngesund! (lacht).
Jetzt sind wir also im Flüchtlingsheim in Braunschweig. Es gibt noch mehr Kolumbianer hier, auch zwei aus Buenaventura. Weil sie kein Geld für den Flug hatten, haben sie sich auf einem Schiff versteckt, im Frachtraum. Die Überfahrt nach Hamburg hat 17 Tage gedauert. Insgesamt waren sie zu viert. Zwei sind auf der Überfahrt gestorben. Das Schiff hatte Bananen geladen und sie sind an den Chemikalien im Frachtraum erstickt. Die andern beiden haben knapp überlebt. Jetzt sind sie in Braunschweig gelandet.“
Pablo: „Der Alltag im Heim ist ziemlich durchorganisiert…“
Adriana: „…ja, wenn man nicht zu den festgelegten Zeiten in die Kantine kommt, kriegt man nichts mehr zu essen.“
Pablo: „Es ist was anderes, ob man isst, wann man will oder ob man essen muss, weil es Essen gibt.“
„Wir wussten nicht was wir unterschreiben“
Adriana: „Wir bekamen einen Termin zur Befragung. Als wir ins Büro kamen, saßen dort eine Deutsche und eine Übersetzerin, eine ältere Frau, die ich kaum verstand. Ich dachte immer, sie redet deutsch mit mir, bis sie mir gesagt hat, ich spreche gerade Spanisch mit Ihnen. Aber ich konnte sie einfach nicht verstehen. Sie stellte mir die Fragen und ich antwortete. Aber mir ist aufgefallen, dass ich viel und lange gesprochen habe und sie nur ganz wenig übersetzt hat. Erst dachte ich, wahrscheinlich sind die deutschen Worte kürzer. Das Protokoll, das wir unterschreiben mussten, war dann auch auf Deutsch.“
Pablo: „Wir wussten gar nicht genau, was wir unterschreiben!“
Adriana: „Man wird getrennt befragt. Teilweise fragen sie Dinge, da dachte ich, sie wollen, dass man durcheinander kommt. Aber die Fakten sind ja die gleichen und man hat sie erlebt und erzählt sie so, wie sie passiert sind. Die Übersetzung ist leider nicht sehr gut. Wir haben gemerkt, dass da Dinge drin stehen, die wir so nicht gesagt haben. Zum Beispiel steht bei mir im Protokoll, dass ich die Nichte des Bürgermeisters von Buenaventura sei. Die Nichte des Bürgermeisters von Buenaventura hat reichlich Geld und sie wäre längst in New York, sie würde ihr Leben genießen und an einer angesehenen Universität studieren! Ich bin einfach nur die Nichte eines Gemeindevorstehers aus einem Dorf bei Buenaventura.
Irgendwann kam dann die Antwort auf unseren Asylantrag. Auf Deutsch, logischerweise. Da hat man den Bescheid in der Hand, 16 Seiten, und weiß nicht was drin steht. Ich kann schon ein paar Dinge auf Deutsch sagen, aber um diese 16 Seiten zu lesen… Wir hatten auf ein „Ja“ gehofft. Aber bei den Worten, die da standen, da war kein Ja dabei. Wir suchten uns jemanden, der uns die Antwort übersetzen konnte. Es war eine Ablehnung. Die Begründung ist, dass die FARC-Guerilla keine politische Gruppe sei. Dabei sollte es doch eigentlich gleichgültig sein, woher die Gewalt kommt, oder?
Wir wussten inzwischen schon, dass Kolumbianer in Deutschland kaum Asyl bekommen. Einige Kolumbianer sind aus dem Flüchtlingsheim abgehauen. Sie waren verzweifelt, sie sagten: „Wenn nicht die mich töten, die mich in Kolumbien verfolgen, dann töten mich die, die mir das Geld geliehen haben, um das Land zu verlassen.“ Die meisten sind nach Spanien gegangen, klar, wegen der Sprache. Natürlich ohne Papiere, unsere Ausweise liegen ja alle bei den Behörden. Manche haben Familie oder Freunde in Spanien. Bei uns ist das nicht der Fall, wir wissen nicht, wohin wir gehen sollen. Sonst wären wir vielleicht schon weg.“
Pablo: „Jetzt haben wir große Angst, dass wir zurückgeschickt werden.“
Adriana: „Aber wir können nicht zurück. Dabei sehnen wir uns eigentlich danach, zurückzugehen. Wir träumen davon, dass es in Kolumbien Frieden gibt, dass man ohne Angst auf der Straße herumlaufen könnte. Als wir hier ankamen, das war sehr seltsam. Wenn nachts ein Auto langsam an uns vorüber fuhr, dachten wir gleich, dass jemand schießen könnte.“
Pablo: „Das ist der psychologische Druck…“
Adriana: „…ja, auch im Dezember mit den ganzen Feuerwerkskörpern. Da war man völlig erschrocken, weil man dachte, das sei eine Bombe oder sie würden schießen. Man steckt noch in der Phase, in der man in Gedanken in Kolumbien ist. Und dann fällt einem wieder ein, ich bin ja in Deutschland, in Sicherheit. Wir hoffen immer noch, Asyl zu bekommen. Dann wären wir hier sicher und ich könnte meinen Sohn nachholen. Mein größter Wunsch ist, wieder mit ihm zusammen zu sein. Denn mein Leben, meine Seele ist eigentlich in Kolumbien geblieben.“
* Namen geändert