Kolumbien | Nummer 413 - November 2008

Auf dem Weg zum Mafia-Staat

Uribe hofft auf eine dritte Amtszeit – trotz zahlreicher Skandale und einer schrecklichen Regierungsbilanz

Trotz zahlreicher Skandale in seinem Umfeld sitzt Präsident Álvaro Uribe in Kolumbien weiterhin fest im Sattel. Erfolge im Kampf gegen die Guerilla und die Unterstützung durch die großen Medienkonzerne garantieren ihm hohe Zustimmungsraten. Ernsthafte Opposition gegen eine dritte Amtszeit ist nicht in Sicht.

Raul Zelik

Die Regierung des rechten Präsidenten Álvaro Uribe ist ein Phänomen. Jede andere Administration wäre bei einer vergleichbaren Häufung von Skandalen international längst isoliert: Gegen 50 Abgeordnete der Regierungskoalition wird wegen Verbindungen zu rechten Todesschwadronen ermittelt. Die Vorsitzenden von zwei Regierungsparteien sitzen im Gefängnis, der Haftbefehl gegen einen dritten Parteichef, den Cousin von Präsident Uribe, wurde auf Weisung des Generalstaatsanwaltes (eines Ex-Ministers von Uribe) vorübergehend ausgesetzt. Der Bruder des obersten Polizeikommandanten Oscar Naranjo wurde 2006 in Deutschland wegen Kokainhandels festgenommen. Die aus einer nordkolumbianischen Landbesitzerfamilie stammende Außenministerin María Consuelo Araújo musste im Februar 2007 zurücktreten, weil ihr Vater und ihr Bruder nicht nur mit den Paramilitärs verbündet waren, sondern offensichtlich auch die Entführung eines konkurrierenden (ebenfalls rechten) Bürgermeisters in Auftrag gegeben hatten. Seit einigen Wochen sitzt nun auch Guillermo León Valencia, Bruder des Innenministers und führender Staatsanwalt in Medellín, als Mitglied des berüchtigten „Büro aus Envigado“ im Gefängnis. Dabei handelt es sich um ein kriminelles Netzwerk, das in den 1980er Jahren zu Zeiten des legendären Drogen-Capos Pablo Escobar entstand und als ein Knotenpunkt von Auftragsmord und Drogenhandel gilt. Ermittlungen gegen das Büro wurden von Staatsanwalt Valencia und dem Medelliner Polizeichef immer wieder niedergeschlagen. Angeblich kam es erst zu Ermittlungen, als die deutsche Polizei nach Verhaftungen Informationen über den Drogenhandelsring nach Bogotá sandte.
Doch all diese Skandale sind verglichen mit der Affäre, die die Beziehungen zwischen dem Obersten Gerichtshof und Präsident Uribe erschüttern, vergleichsweise harmlos. Der Präsident gestand ein, dass sein persönlicher Sekretär den Drogenhändler Antonio López (alias Job) und den Anwalt des Paramilitär-Kommandanten Diego Murillo (alias Don Berna) im April 2008 im Präsidentenpalast empfangen hatte. Bei diesem Treffen ließ sich Uribes Sekretär von den Narcoparamilitärs – Drogenhandel und rechte Gewalt lassen sich in Kolumbien längst nicht mehr voneinander trennen – Material gegen den Obersten Gerichtshof aushändigen. Uribe, der sich als Opfer einer Justizkampagne sieht, lässt keine Gelegenheit aus, um die Justiz anzugreifen. Er spricht von einem „Zeugenkartell“ und behauptet, der Gerichtshof biete Paramilitärs Geld für Aussagen an. Tatsächlich ist es wohl eher andersherum: So erklärte ein Paramilitär, der vom Präsidenten vor einigen Monaten als Belastungszeuge gegen den Gerichtshof präsentiert worden war, nach Uribes Attacken, er habe die Geschichte erfunden. Santiago und Mario Uribe, Bruder und Cousin des Präsidenten, hätten ihm als Gegenleistung ein Haus für seine Mutter angeboten.
„Wir erleben in Kolumbien die Mafiotisierung des Staates“, erklärt der Senator Gustavo Petro, der in der Mitte-Links-Partei Alternativer Demokratischer Pol (PDA) eher zum rechten Flügel gehört. „Großgrundbesitz, Politik und paramilitärische Drogenmafia haben schon vor Jahren in den Regionen Allianzen geschlossen. Diese Mafias haben den Staat durchdrungen – mehr noch als in Kosovo, Sizilien oder Afghanistan.“
Tatsächlich ist, ganz anders als die Berichterstattung der führenden Medien es glauben lässt, die Bilanz der Regierung Uribe erschreckend. Dem Präsidenten ist es zwar gelungen, die FARC-Guerilla zurückzudrängen und Entführte wie die Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt spektakulär zu befreien. Doch gleichzeitig ist die Organisierte Kriminalität in die höchsten Sphären von Politik und Wirtschaft vorgedrungen. So gehört zu den verhafteten Mitgliedern des Büros aus Envigado auch der angesehene Medelliner Unternehmer Juan Felipe Sierra. Sein Wachschutzunternehmen, das mehr als 1.000 Angestellte zählt, wird vom Staat für den Schutz demobilisierter Paramilitärs bezahlt. Eingebunden ins Netzwerk scheint außerdem auch Uribes Drogenbeauftragte, die im Einflussgebiet des Büros die Herbizidbesprühungen von Kokapflanzungen erfolgreich verhinderte.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum der Präsident nicht längst gestürzt ist. Die Seriosität von Umfragen, die Uribe regelmäßig eine Zustimmung von 80 Prozent bescheinigen, ist zwar fragwürdig, da die Bevölkerung der Armenviertel von Umfrageinstituten kaum erreicht wird. Doch unzweifelhaft ist Uribe in Kolumbien hochpopulär. Erklärt werden kann das zum einen damit, dass er unablässig arbeitet und bei der Bekämpfung der Guerilla offensichtliche Erfolge vorweisen kann. Zum anderen hat er seine Popularität aber auch der Unterstützung der Medienkonzerne zu verdanken. Die Santos-Familie, der das größte Medienkonglomerat im Land gehört, ist mit dem Vizepräsidenten und dem Außenminister gleich doppelt in der Regierung vertreten. Auf diese Weise finden Uribes Manöver in der Öffentlichkeit fast immer Zustimmung.
Das beste Beispiel dafür ist die Auslieferung von 14 Kommandanten der Paramilitärs an die USA. Die im Mai erfolgte Auslieferung hatte den Effekt, dass die in Kolumbien anhängigen Menschenrechtsprozesse abgebrochen wurden. Bei diesen Verfahren hatten die Paramilitärs, darunter die ehemalige Nummer Zwei der Vereinten Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens (AUC), Salvatore Mancuso, Aussagen gegen Hintermänner in Armee, Politik und Wirtschaft zu machen begonnen. Da die AUC-Führer in den USA nur wegen Drogenhandels angeklagt sind, sind neue Enthüllungen nun nicht mehr zu befürchten.
Präsident Uribe verkaufte diese Auslieferung als Maßnahme gegen den Paramilitarismus. Tatsächlich ist jedoch keineswegs klar, ob sie nicht im Sinne der AUC-Führer erfolgte. Führende Paramilitärs haben in den vergangenen Jahren Deals mit der US-Justiz ausgehandelt, die ihnen kurze Haftstrafen und Aufenthaltsgenehmigungen in den USA ermöglichen. Nicolás Bergonzoli, der ehemalige Emissär des verschollenen AUC-Kommandanten Carlos Castaño, schloss schon vor einigen Jahren ein solches Abkommen und lebt heute mit einer neuen Identität in den USA. Etwas Vergleichbares zeichnet sich auch für die Nummer Zwei des berüchtigten Bloque Norte der AUC ab. Der Paramilitär Hugues Manuel Rodríguez lebt heute in Washington und ist Eigentümer von 30 Prozent des kolumbianischen Kohleunternehmens El Descanso, das zu den größten Lateinamerikas gehört.
Dass die US-Justiz derartige Abkommen zulässt, dürfte drei Gründe haben: Erstens handelt es sich bei den AUC-Führern um wichtige Informationsquellen bei der Drogenbekämpfung. Zweitens gehören zu den Abkommen auch Geldzahlungen an den US-amerikanischen Staat. Nach Aussagen des DEA-und FBI-Mitarbeiters Baruch Vega, der seit den 1980er Jahren als Vermittler zwischen kolumbianischen Drogenhändlern und US-Regierung eingesetzt wird, fließen diese Gelder angeblich „in einen Geheimfonds Washingtons“. Und drittens schließlich haben die USA selbst ein Interesse daran, dass die Paramilitärs nicht auspacken. US-Spezialeinheiten haben mindestens bei der Bekämpfung des Drogenbarons Pablo Escobar Anfang der 1990er Jahre mit den späteren AUC-Kommandanten kooperiert. Und der US-Fruchtkonzern Chiquita hat nach eigenen Angaben Millionenzahlungen an die rechten AUC geleistet.
Auf diese Weise von verschiedenen Seiten abgesichert, strebt Präsident Uribe nun eine dritte Amtszeit an. Dafür ist zwar eine neuerliche Verfassungsänderung nötig. Doch schon 2004 kam die dafür nötige Parlamentsmehrheit – durch Bestechungszahlungen an eine mittlerweile inhaftierte Abgeordnete – zustande.
Von links hat Uribe nicht viel zu befürchten: Die PDA ist tief zerstritten. Die Parteirechte möchte die Linke, die grundlegende soziale Transformationen einfordert, loswerden. Obwohl Parteichef Carlos Gaviria als sehr integer gilt, erinnert das Innenleben des PDA immer stärker an die berüchtigten kolumbianischen Klientelapparate. Die Guerilla schließlich ist völlig diskreditiert. Die FARC haben die Öffentlichkeit in zahlreichen Entführungsfällen gezielt belogen und ihre Gefangenen schwer misshandelt. Außerdem protegieren sie – paradoxerweise – in ihren Regionen den Drogenhandel. Die ELN hingegen, die enger mit sozialen Bewegungen verbunden ist und in einigen Regionen Basisarbeit leistet, wird öffentlich nicht wahrgenommen. Vor diesem Hintergrund scheint alles darauf hinauszulaufen, dass Präsident Uribe so lange weitermachen kann, bis eines Tages in den USA die Alarmsignale losgehen. Mit der Organisierten Kriminalität kann man zwar gelegentlich auch Abkommen schließen, aber einen Mafia-Staat will Washington mit Sicherheit nicht.

KASTEN:
Menschenrechtsbeobachterin ausgewiesen
Die kolumbianische Sicherheitsbehörde DAS der Stadt Santiago de Cali, Valle del Cauca, hat am 2. Oktober die deutsche Staatsangehörige und internationale Menschenrechtsbeobachterin Friederike Müller ausgewiesen. Das berichten unter anderem das Solidaritätsnetzwerk Red de Hermandad y Solidaridad con Colombia und die Kolumbienkampagne Berlin. Friederike Müller war von verschiedenen kolumbianischen Menschenrechtsorganisationen nach Kolumbien eingeladen worden, um eine Untersuchung über die Auswirkungen von Menschenrechtsverletzungen in verschiedenen Regionen des Landes durchzuführen. Ihre Ausweisung wird auch in den Zusammenhang gebracht mit ihrer Präsenz in den Departements Valle del Cauca und Cauca, in denen derzeit ein Streik mehrerer Tausend ZuckerrohrarbeiterInnen stattfindet.
Friederike Müller war am 1. Oktober gegen 17.30 Uhr von MitarbeiterInnen der DAS festgenommen und ohne richterliche Anordnung illegal festgehalten worden. Man verweigerte ihr, Kontakt zu einem Anwalt aufzunehmen und beschlagnahmte ihr Mobiltelefon. Am 2. Oktober wurde sie um 13.40 Uhr durch die DAS aus Kolumbien ausgewiesen. Das Red de Hermandad y Solidaridad con Colombia stellt fest: „Die Abschiebung wurde unter völliger Missachtung internationaler Rechtsstandards vollzogen.” Die Organisationen weisen weiter darauf hin, dass gegen Friederike Müller ein siebenjähriges Einreiseverbot verhängt wurde, mit der Begründung sie würde geheimdienstlichen Informationen zufolge „die nationale Sicherheit, die öffentliche Ordnung, die öffentliche Gesundheit, den sozialen Frieden und die öffentliche Sicherheit gefährden”.
Poonal

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