Argentinien | Nummer 392 - Februar 2007

Aus Dollar wird Peso

Argentinien lehrt die Bankenwelt wie man verfassungskonform Dollar klaut

Der Oberste Gerichtshof in Argentinien erklärte im Dezember 2006 in letzter Instanz die Umwandlung aller Sparguthaben, die nach der Wirtschaftskrise 2001/2002 von US-Dollar in Peso umgewandelt worden waren, für verfassungskonform.

Jürgen Vogt

Argentiniens SparerInnen werden auch in Zukunft auf ihre Dollar verzichten müssen. Am 27. Dezember 2006 hat der Oberste Gerichtshof die Umwandlung aller Dollarsparguthaben in Peso während der Krise im Jahr 2002 in letzter Instanz bestätigt. Mit dem Urteil beendete das Gericht einen fünfjährigen Rechtsstreit, bei dem zuletzt 50.000 Klagen anhängig waren. „Mit dem Urteil wird die Verfassungsmäßigkeit der Peso-Umwandlung als allgemeine, wirtschaftliche Regel bestätigt“, so die Richter in ihrer Begründung. Vier Richter stimmten dafür, einer enthielt sich der Stimme.
Damit wird Recht was 2002 vom damaligen Präsidenten Eduardo Duhalde angeordnet wurde: Die Umwandlung von Sparguthaben in Höhe von 46 Milliarden US-Dollar in Peso, die durch den so genannten corralito bereits seit Ende 2001 bei den Banken eingefroren waren. Tausende waren damals vor die Bankfilialen gezogen und hatten sich massiv an den verrammelten und verbarrikadierten Eingängen zu schaffen gemacht.
Auf den corralito folgte der corralón: Die Regierung Duhalde ordnete eine Umwandlung der Guthaben von einem Dollar zu 1,40 Peso plus Inflationsausgleich und Zinsen an. Und das nachdem ein US-Dollar, infolge der Aufhebung der Peso-Dollar-Parität, bereits für drei Pesos gehandelt wurde. Erneute Proteste und eine Klagewelle der SparerInnen, die ihre Guthaben in US-Dollar zurückhaben wollten, waren die Konsequenz.

Heimliche Freude in den Banken

„Das Ziel des Urteils ist es, den sozialen Frieden zu suchen und zu zeigen, dass ein Konsens in einer so wichtigen Frage möglich ist“, so die Obersten Richter. Die betroffenen SparerInnen von Dollarguthaben sollen jetzt den Gegenwert in Peso mit einem Inflationsausgleich und einer Verzinsung von jährlich vier Prozent erhalten. Damit bekommen sie 3,08 Peso für einen eingezahlten US-Dollar, was dem aktuellen Wechselkurs entspricht. „Alle stimmen darin überein, dass das Eigentumsrecht der Sparer verteidigt und deshalb ein 100-prozentiger Gegenwert bei der Umrechnung der Dollareinlagen erbracht werden muss,“ so die Richter. Die Banken müssen nun innerhalb von 30 Tagen die Auszahlungen vornehmen.
Am Tag der Entscheidung hielt sich der Protest in der Bevölkerung in Grenzen. Wenige hundert warteten vor dem Gerichtsgebäude auf den Richterspruch. Nach fünf Jahren des juristischen Streits wollen viele einfach endlich ihr Geld. Es solle eine endgültige Entscheidung der Richter sein, so der vorherrschende Tenor. KritikerInnen haben jedoch ausgerechnet, dass die AnlegerInnen durch ihre fest gefrorenen Einlagen um die Möglichkeiten anderer Zinsformen gebracht worden sind, die ihnen in den letzten Jahren eine Rendite von 50 Prozent hätte einbringen können, hätten sie ihre Ersparnisse in US-Dollar zur Verfügung gehabt. Dagegen dürften in den Banken heimlich die Sektkorken geknallt haben: Fünf Jahre konnten sie mit den fremden Guthaben gute Geschäfte machen.
Auch Präsident Néstor Kirchner kann mit dem Urteilsspruch mehr als zufrieden sein. Denn schon einmal hatte sich das Gericht als unsicherer Kandidat gezeigt: Am 1. Februar 2002 hatte der Oberste Gerichtshof den corralito für verfassungswidrig erklärt. Hätten damals die Einlagen der argentinischen SparerInnen in US-Dollar ausgezahlt werden müssen, wäre das Bankensystem tatsächlich zusammengebrochen. Übergangspräsident Eduardo Duhalde setzte kurzerhand für sechs Monate alle richterlichen Entscheidungen in Sachen corralito außer Kraft und leitete die Pesifizierung der argentinischen Wirtschaft ein.

Lahmlegung des Obersten Gerichtshofes

Ein ähnliches Urteil wie 2002 hätte Präsident Kirchners wirtschaftspolitischen Kurs über den Haufen geworfen und ebenfalls drastische Maßnahmen zur Folge gehabt. Kirchner selbst hatte deshalb seit knapp zwei Jahren die höchstrichterliche Entscheidung blockiert. Was zunächst als Säuberung des Obersten Gerichtshofes galt, der mit Menem-treuen Richtern besetzt war, entpuppte sich gleichfalls als Lahmlegung des Organs. Zu Beginn von Kirchners Amtszeit im Mai 2003 gehörten dem Gremium neun Richter an, die mehrheitlich vom früheren Präsidenten Carlos Menem eingesetzt worden waren. Als der Oberste Richter Julio Nazareno im Juni 2003 von einem möglichen Urteil zugunsten einer Auszahlung in US-Dollar sprach, wurde er von Kirchner live über das Fernsehen angegriffen. Zwei Wochen später saß Nazareno nicht mehr im Obersten Gericht. Zwei nahmen freiwillig ihren Hut, ein dritter wurde hinausgeklagt. Dabei vermied Kirchner penibel den Eindruck, er würde ihm genehme Richter einsetzen. Von den drei freien Posten wurde letztlich nur einer besetzt, wodurch das Gremium in der Frage der Peso-Umwandlung entscheidungsunfähig blieb.
Da der Oberste Gerichtshof auf kurz oder lang jedoch wieder entschlussfähig werden musste, startete die Regierung die Diskussion, die Zahl der Richter kurzerhand auf fünf zu verringern. Die ursprünglich vorgesehenen neun Richterposten, von denen tatsächlich aber nur sieben besetzt waren, sollten schlussendlich um weitere zwei reduziert werden. Die entsprechende Gesetzesvorlage wurde von der Senatorin und Präsidentengattin Cristina Kirchner auf den parlamentarischen Weg gebracht. Als vor wenigen Wochen der Kongress zustimmte, war sich Kirchner seiner Sache sicher. Mit vier Stimmen wurde die Peso-Umwandlung für verfassungskonform erklärt. Richter Carlos Fayt hatte sich beim Urteil der Stimme enthalten. Er war zwar nach wie vor der Meinung, die Pesifizierung sei verfassungswidrig, hatte gegen seine vier Amtskollegen jedoch ohnehin keine Chance. Und mit seiner Enthaltung dürfte er seine Richterrobe gerettet haben.

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