Kultur | Nummer 471/472 - Sept./Okt. 2013

Ausgestellter Kulturraub

Postkoloniale Kritik am Humboldt-Forum im Berliner Schloss

Koloniale Machtverhältnisse bleiben auch im 21. Jahrhundert aktuell. Im Juni war Baubeginn für das Humboldt-Forum im Berliner Schloss, das als Herzstück die Sammlungen außereuropäischer Kulturen zeigen soll. Dass viele Exponate aus den Raubzügen europäischer Kolonialmächte stammen, verschweigen die Verantwortlichen gerne. Dagegen wendet sich die Kampagne „No Humboldt 21!“.

Armin Massing

Im Bericht über seine Südamerikareise beschrieb Alexander von Humboldt unumwunden, wie er die lokale Bevölkerung beraubte. Aus einer Grabhöhle entnahm er „mehrere Schädel, das Skelett eines Kindes von sechs bis sieben Jahren und die Skelette zweier Erwachsener von der Nation der Atures“.
Das Beispiel von Alexander von Humboldt zeigt deutlich ein grundlegendes Problem der Ethnologischen Museen: die Herkunft ihrer Sammlungsbestände. Der Großteil vieler Sammlungen wurde während der Kolonialzeit zusammengetragen und nach Europa gebracht. Dabei waren Raub und Gewalt an der Tagesordnung und wurden in Notizen und Tagebüchern für die Nachwelt dokumentiert. Und selbst in den Fällen, in denen es sich um Tauschgeschäfte handelte, ist die Freiwilligkeit im Nachhinein fraglich: Das Verhältnis zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten war durch Herrschaft und Gewalt geprägt. Die Debatte um die Herkunft und damit die Legitimität ethnologischer Sammlungen sowie die Art ihrer Präsentation kommt nun erneut auf die Tagesordnung: Im Juni war in Berlin die offizielle Grundsteinlegung für das „Humboldt-Forum“ im Berliner Schloss.
Das Projekt ist hoch umstritten: Die Mehrheit der Berliner_innen lehnt es ab, während seine Macher_innen es als „wichtigstes kulturpolitisches Projekt in Deutschland am Beginn des 21. Jahrhunderts“ bezeichnen. Die Ausstellung soll als Herzstück ethnologische Sammlungen zeigen, die von Berlin-Dahlem wieder in die Stadtmitte zögen. Diese „außereuropäischen Sammlungen“ sollen den europäischen Sammlungen auf der nahegelegenen Museumsinsel gegenübergestellt werden. Die Macher bemühen Stichwörter wie „Kosmopolitismus“, „interkulturelle Begegnungen“ und „Gleichberechtigung der Weltkulturen“. Sie halten die mit diesen Begriffen verbundenen Standards und Werte jedoch nicht ein, wenn es um die Herkunft der eigenen Bestände geht.
Im Nutzungskonzept schreibt Hermann Parzinger, Präsident der „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“, lapidar: „Die Berliner Museen sind rechtmäßige Besitzer ihrer Bestände.“ Damit verschweigt er viele gut dokumentierte Gegenbeispiele. So ist das ethnologische Museum Berlin etwa im Besitz von gut 500 Bronzestatuen aus dem ehemaligen Königreich Benin. Diese raubten Briten während eines Kolonialkrieges 1897 und sie müssten nach heutigem Rechtsverständnis zurückgegeben werden. Doch wirken die UN-Konventionen zum Umgang mit geraubten Kulturgütern nicht rückwirkend. Es handelt sich also heute um eine Frage von Legitimität, nicht von Legalität. Parzinger erwähnt die Benin-Bronzen zwar im Nutzungskonzept, verliert aber kein Wort über deren Herkunft. Es lassen sich zahlreiche andere Beispiele anführen, wie das eiserne Zepter der Bashilange im Kongo, dessen Herausgabe Hermann von Wissmann 1885 von einem Kolonisierten erzwang und es nach Berlin schickte.
Die Kritik am Verschweigen der Erwerbsgeschichte zeigt Reaktionen: Die Herkunft wird nun ansatzweise offengelegt. So wird im 2011 eröffneten Infozentrum „Humboldt-Box“ auf die Erwerbsumstände zwar eingegangen, diese werden jedoch nur oberflächlich thematisiert. Zum Beispiel beim Thron des Königs Njoya aus dem heutigen Kamerun – einem der absoluten Schmuckstücke der Sammlung. Die historisch rekonstruierbaren Fakten machen deutlich: Der König „schenkte“ seinen Thron dem deutschen Kaiser erst, nachdem er von deutschen Kolonialbeamten und -händlern unter Druck gesetzt worden war. Er erhoffte sich davon politisches Entgegenkommen der Kolonialmacht, doch alle seine Forderungen wurden nach der Schenkung abgelehnt. Das Fazit in der Humboldt-Box lautet hingegen, es habe sich um ein „strategisches Geschenk“ zwischen „Regenten auf Augenhöhe“ gehandelt.
In all diesen Fällen von erzwungenen Geschenken, Kulturraub und übervorteilendem Tausch wäre es dringend an der Zeit, dass deutsche und europäische Museen grundlegend umdenken. Der Verleih und auch die Rückgabe von Kulturgütern sollten erfolgen, wenn es von Seiten der Herkunftsländer entsprechende Anfragen gibt. Doch bisher sträuben sich die Museen, da sie befürchten, dass die Objekte nach Ausleihen nicht zurückgegeben werden könnten und sie Präzedenzfälle in puncto Rückgabe grundsätzlich verhindern wollen. So wird auch die Provenienzforschung nicht systematisch vorangetrieben – denn das genaue Wissen um die Herkunftsgeschichte wäre grundlegend für die Frage nach möglichen Rückgaben. Diese sind nicht nur aus ethischer, sondern auch aus entwicklungspolitischer Sicht wichtig. Der dauerhafte Verlust wertvoller und identitätsstiftender Kulturgüter hat negative Auswirkungen auf die Herkunftskulturen im Globalen Süden.
Gegen das Konzept des Humboldt-Forums regt sich nun Widerstand. Ein Bündnis von 80 migrantisch-diasporischen, entwicklungs- und kulturpolitischen Nichtregierungsorganisationen fordert in der Kampagne „No Humoldt 21!“ ein Moratorium für das Humboldt-Forum. Neben der Frage des Erwerbs werden weitere Teile des Konzepts kritisiert, etwa die Präsentation kolonialen Raubguts im Schloss der für den deutschen Kolonialismus verantwortlichen Hohenzollern. Im Oktober startet die Kampagne eine Reihe von öffentlichen Veranstaltungen, die in den folgenden Monaten in Berlin und anderen deutschen Städten auf die Thematik aufmerksam machen werden.

Webseite der Kampagne mit Infos und Online-Petition: www.no-humboldt21.de

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