Aztekischer Touri-Nepp in Berlin
Aztekischer Touri-Nepp in Berlin
Schon der Eintritt schreckte ab: Zehn Mark, und das sogar für Kinder, von Ermäßigungen für StudentInnen, Erwerbslose, RentnerInnen ganz zu schweigen. Nun gut, dachte ich mir, jetzt bin ich schon mal hier, jetzt will ich ihn auch sehen, den Sprecher der Azteken. Am Eingang Souvenir- und Bücherstände, wo mensch echte Federn, Federkronen, Aztekenschmuck und natürlich Bücher Xokonoschtletls kaufen konnte. Die Preise waren gepfeffert, dünne Taschenbücher gab es nicht unter dreißig Mark.
Unterschriften für die Kopilliketzalli
Eine letzte Hürde war noch zu nehmen. Dabei handelte es sich um zwei Unterschriftenlisten. Eine Unterschriftensammlung war für eine Petition an das österreichische Parlament gedacht, die die Rückgabe der Federkrone “Kopilli-ketzalli” des letzten Aztekenkönigs Mote-kuhzoma Yokoyotzins (Montezuma) ermöglichen soll. Die Krone wurde nach der Ermordung des Königs von den Spaniern geraubt und Karl dem Ersten in Wien geschenkt. Die “säuerliche und feurige Kaktusfeige” (Xokonotschtletl) hat nun von seinem Volk den Auftrag erhalten, die Krone aus dem Wiener Völkerkundemuseum zurück nach Mexiko zu bringen. Um seine Forderung vor das österreichische Parlament bringen zu können, benötigt er 200.000 Unterschriften. 130.000 hat er schon. Die zweite Liste war eine Art Beschwerdeliste. Bei seinem letzten Besuch in Wien hat Xokonoschtletl wohl etwas Ärger mit der Polizei bekommen und saß ungerechtfertigterweise einige Tage im Gefängnis.
Mehr Zeit, Liebe und Harmonie
Na gut, ich also rein, hatte dann erst mal Zeit; das merkwürdige Publikum zu betrachten. So gar nicht uniadäquat, lauter ältere Menschen und “Ottilie-Normal-BürgerInnen”. Mit einer Stunde Verspätung erscheint er endlich. Die Zeitungen, die im Vorfeld über ihn berichteten, haben nicht gelogen. Er sieht wirklich aus wie Winnetou aus den Karl-May-Filmen. Er spricht sehr gut Deutsch und hat mal eben für seine Mission schnell mehrere Sprachen gelernt. So spricht er neben Deutsch auch noch Französich und Portugiesisch. Und Spanisch spricht er ja sowieso oder Nahuatl oder gar beides? Dann fängt er an zu erzählen. Er spricht frei, und das macht er wirklich gut. Ihm fehlt oft das richtige Wort an der richtigen Stelle, aber gerade das macht seine Botschaft besonders prägnant- und ist wahrscheinlich auch beabsichtigt. So entschuldigt er seine Verspätung mit den Problemen “am Rand von einem Land in ein anderes”. Ja, und dann erzählt er und erzählt er, und es ist so schön, daß einigen Omis schon die Tränen in den Augen hängen, und einige Opis aus dem zustimmenden Kopfnicken gar nicht mehr herauskommen. Wir sind doch alle Brüder und Schwestern, und zwischen Mann und Frau gibt es keinen Unterschied, und wir sollten uns doch alle lieben und respektieren und in Harmonie zusammenleben und mehr Zeit füreinander haben und sowieso mehr Zeit haben und die Natur achten und ….
Aztekischer Tanz auf der Bühne
Das ist seine Botschaft. Als Erholung nach so vielen schönen Worten tritt nach etwa einer dreiviertel Stunde die Tanzgruppe “Tloke Nauake” auf. Xokonoschtletl erklärt vorher die Bedeutung des Tanzes für die Azteken. Tanz ist die Bewegung der Klapperschlange, und sie ist das Symbol für Weisheit. Tanzen bedeutet, sich bei der Sonne zu bedanken. Laut Xokonoschtletl tanzen die Azteken manchmal vier Tage ohne zu essen und ohne sich auszuruhen. Ein Anlaß für solche Marathontänze sei zum Beispiel eine Sonnenfinsternis. Da haben die Azteken aber Glück, daß es die nicht so oft gibt.
Penecillin aus Tortillas
Nach der Tanzeinlage, die im holzgetäfelten Auditorium der Universität mit dem Hintergrundflair einer ganz normalen Schultafel, merkwürdig wirkt, geht der Vortrag weiter. Die “säuerliche und feurige Kaktusfeige” klärt uns noch darüber auf, daß es bei den Azteken keine Menschenopfer gegeben habe. Das seien nämlich höchst komplizierte chirurgische Operationen gewesen, die die Azteken ausführten. Komisch, auch am Herzen haben die damals schon operiert? Wenn ich mich recht erinnere, gibt es eindeutige aztekische Bildschriften, wo ein Herz in der Hand gehalten wird. Na gut, vielleicht irre ich mich ja. Als Beweis führt er an, daß sein Volk ja schließlich auch schon vor 3000 Jahren das Penicillin gekannt habe. Es wurde aus den Pilzen der Maisfladen gewonnen. Penicillin aus Tortillas?! Warum machen sie das heute nicht mehr, schießt mir als Frage durch den Kopf. Auch war sein Volk friedfertig und lebte im Einklang mit den anderen am, im und um den See herum. Dazu malt er uns an die Schultafel ein Bild der Stadt Tenochtitlan und klärt uns darüber auf, wieviel mal größer und bombastischer die Stadt im Vergleich zu europäischen Städten der damaligen Zeit war. Die Spanier waren platt vor Staunen. 50 Millionen Menschen zähle sein Volk heute noch, und 5 Millionen sprechen Nahuatl. Da purzelt nun langsam alles bunt durcheinander. Wahrscheinlich meint er 50 Millionen Indígenas und nicht Azteken. Ich werde immer saurer – fast wie eine Kaktusfeige.
Die Kaktusfeige ein Winnetou?
Als er den Vortrag beendet, will ich mich mit meinen Fragen auf ihn stürzen. Doch ältere Herr- und Frauschaften haben ihn schon in Beschlag genommen. “Meine Frau schreibt auch, aber mehr Liebesromane, würden sie für uns diese Bücher signieren” – und ein Stapel Bücher wandert in seine Hände, und er signiert und signiert. Das ist einfach zu viel für mich. In Chiapas verändern die Indígenas das politische Selbstverständnis Mexikos und vielleicht ganz Lateinamerikas, und der Sprecher der Azteken gibt nur Allgemeinplätze von sich. Ich bin den ganzen Abend noch wütend. Da hat mir Pierre Brice im Fernsehen besser gefallen – der war wenigstens kein echter Indianer. Aber echte, die sich benehmen wie Winnetou, die ertrage ich nicht in der Realität, die sind mir einfach zuviel.