Brasilien | Nummer 431 - Mai 2010

Bedrohen, vertreiben, verschmutzen

Scharfe Kritik am Bergbaukonzern Vale von den Betroffenen seiner Projekte

Der brasilianische Bergbaukonzern Vale zählt neben Rio Tinto und BHP Billiton zu den weltweit größten seiner Zunft. Er ist zudem einer der profitabelsten. Die Gewinne werden jedoch auf Kosten der lokalen Bevölkerung erzielt. Über deren Köpfe hinweg wird über ihr Schicksal entschieden. Betroffene aus Brasilien, Kanada, Chile, Argentinien, Neukaledonien, Peru, Ecuador und Mosambik protestierten vor dem Hauptsitz der Vale in Rio de Janeiro.

Christian Russau

José Lezma redet ruhig, doch ist ihm die innere Erregung anzumerken. „Sie waren bewaffnet, und sie wollten diese Waffen gegen uns einsetzen”, berichtet José in die Mikrophone des Saals. „Wir waren sehr überrascht, als wir sahen, dass Vale Kriminelle für den Sicherheitsdienst engagiert hatte”, fügt er hinzu. José ist aus der Region Cajamarca im Norden von Peru nach Rio de Janeiro gereist, um auf dem ersten Welttreffen der vom Vale-Konzern Betroffenen von seinen Erfahrungen mit dem Konzern zu berichten. José ist als Bauer tätig. Doch seit die Vale-Tochter Miski Mayo in seiner Heimat nach Kupfer erkundet, um es später ausbeuten zu können, hat sich sein Leben verändert. Miski mayo ist Quechua und bedeutet “süßes Wasser”. Es ist eine Anspielung auf den ursprünglichen Namen des Konzerns: Vale do Rio Doce – “Tal des süßen Wassers”. Doch in Cajamarca hat Miski Mayo von den Bauern genutzte Wasserläufe verschmutzt. Diese haben sich dagegen zur Wehr gesetzt. Die Bauern haben sich organisiert, gründeten die Front zur Verteidigung des Beckens des Flusses Cajamarquino. Sie haben Protestmärsche durchgeführt und Widerstand gegen das Bergbauprojekt geleistet. Im Februar 2007 wurde José von Sicherheitskräften der Mine mit Waffen bedroht. Das seien angeheuerte Milizionäre, berichtet der cajamarquiño, welche die AnwohnerInnen einschüchtern und die für Vale so wertvolle Mine schützen sollen.
Nachdem der Weltmarktpreis für Kupfer Anfang 2008 noch kräftig anzog, eröffneten sich für Vale glänzende Aussichten für seine Minen in den peruanischen Anden. Auch die Preise für Eisenerz stiegen enorm, angetrieben von der massiven Nachfrage aus China. Und als weltweit größter Eisenerz-Produzent – noch vor Rio Tinto und BHP Billiton – profitierte Vale davon. Die Aktienwerte des Konzerns an der brasilianischen Börse Bovespa in São Paulo verzeichneten einen kräftigen Zugewinn. Trotz der seit 2008 gärenden globalen Krise listete die Financial Times im Januar dieses Jahres den Vale-Konzern mit einer Marktkapitalisierung von 139,2 Milliarden US-Dollar auf Platz 24 unter den weltweit größten Konzernen. Vale expandiert zudem weiter und tut das nicht selten ohne besondere Rücksicht auf die lokale Bevölkerung, die unmittelbar von den Bergbauprojekten betroffen ist.
Jacques Sarimin Boengkih ist extra aus Neukaledonien nach Rio de Janerio angereist. Im Gespräch mit den Lateinamerika Nachrichten berichtet er von den Umweltschäden, welche die hundertprozentige Vale-Tochter, Vale Inco, in Neukaledonien angerichtet hat. “Es kam zu zwei großen Unfällen, bei denen hochgiftige Säuren ausgetreten sind. Das geschah direkt in der Zone, die zu den Gegenden mit der höchsten Biodiversität weltweit zählt”, berichtet der Aktivist. „Vale Inco baut dort in offenem Tagebau Nickel ab. In der angrenzenden Fabrik verarbeitet die Firma 16.000 Tonnen Nickel sowie fünf Tonnen Kobalt pro Jahr. Durch die Unfälle wurden Flora und Fauna an den betroffenen Orten vollends zerstört”, so Jacques Sarimin. Entschädigungen habe nie eine/r der AnwohnerInnen gesehen. „Doch das Schlimmste ist, dass sie mit der Natur auch unsere Kultur zerstören”, so Jacques weiter “und wir werden wohl unsere Heimat verlieren – und letztlich zu einer schlechten Kopie der westlichen Gesellschaft werden.”
In Kanada hat Vale Inco gerade keinen guten Namen. 400 Kilometer nördlich des Firmensitzes in Toronto streiken seit nunmehr neun Monaten die Arbeiter der Nickelproduktion in Sudberry (siehe dazu Interview mit Jamie West in dieser Ausgabe der LN). Auch der Umwelt soll es in Kanada an den Kragen gehen. Nach aktuellen Plänen der Vale Inco sollen in Neufundland und Labrador großflächig die giftigen Reststoffe der Nickelproduktion in die angrenzenden Buchten verklappt werden. Bergbau ist ein äußerst schmutziges Geschäft, wie die Zahlen der Vale aus dem Jahre 2008 belegen. Bei einer Jahresproduktion von 348 Millionen Tonnen Erz fielen 657 Millionen Tonnen metallischer sowie teils hochgiftiger Reststoffe an.
Einen süßen Beigeschmack haben die Bergbauoperationen der Vale auch in Brasilien nicht. In Piquiá, einer kleinen Gemeinde in Açailândia im Bundesstaat Maranhão, wurde durch ein Projekt der des Konzerns zunächst die Gemeinde zerschnitten und dann alles verschmutzt. „Vor Jahren baute Vale eine Eisenerzbahnlinie direkt durch unsere Gemeinde mit 360 Bewohnern. Nun fliegt der Erzstaub direkt auf die Menschen”, beklagt Edvard Dantas Cardeal aus Piquiá. „Der Erzstaub, die Holzkohle und all die anderen Reste bewirken eine enorme Verschmutzung”, so Edvard im Saal des Parlaments des Bundesstaates von Rio de Janeiro, wo ein umfassendes Dossier erstellt wurde zu den Vorwürfen der Umweltverschmutzung, der Vertreibung von Menschen und Ausbeutung von Arbeitskräften durch Vale. Das Dossier wurde von den Gruppen der Betroffenen länderübergreifend zusammen gestellt und im Landesparlament vorgetragen.
Um in Rio de Janerio zu berichten, reiste Jeremias Vunjanhe aus Mosambik zum Treffen. Er erzählt von der Situation in Moatize, das im Norden Mosambiks nahe der Grenze zu Malawi liegt. Dort plane Vale die Ausbeutung von Kohle im Tagebau. Doch um das Projekt durchzuführen, müssten 1.100 Familien zwangsumgesiedelt werden, berichtet Jeremias. Noch wehren sich die BewohnerInnen, hoffen auf Verhandlungen und Entschädigungen. Doch Jeremias ist skeptisch: „Wir kämpfen, aber es ist schwer”, so Jeremias gegenüber den Lateinamerika Nachrichten.
Seine Landsleute, die mit ihm nach Brasilien und durch die nördlichen Bundestaaten Pará und Maranhão gereist sind, wollen klarstellen, dass Vale als brasilianischer Konzern wahrgenommen wird, aber dass sie nichts gegen Brasilianer hätten. „In unserer Heimat fangen die Leute an, die Brasilianer zu hassen, wegen der Vertreibungen, die Vale vornimmt. Aber hier auf der Karawane, als ich die Tränen der Menschen in Brasilien gesehen habe, da begriffen wir, dass diese Firma unsere Verachtung verdient.” Diese Worte fielen nach dem Besuch in Barcarena (Pará) und der dortigen Gemeinde Vila do Conde. Sie ist eine wichtige Industrieregion im Bundesstaat Pará, auf den Export ausgerichtet setzt sie die lokalen Gemeinden unter erheblichen Druck. Vale ist dort unter anderem an den Firmen Alunorte, Albrás, Pará Pigmentos sowie einem neuen Kohlekraftwerk beteiligt. Die Gemeinden klagen über unmittelbare und indirekte Vertreibungen, über Verschmutzung und mangelnde Perspektiven für sich und ihre Familien. Von Vertreibung berichten auch die BewohnerInnen von Anchieta, gelegen im Süden des Bundesstaates Espírito Santo, wo Vale ein Stahlwerk bauen will. Doch dafür müssten die dort lebenden indigenen Familien zwangsumgesiedelt werden.
Milchbauern geht die Vale in Ourilândia do Norte (Pará) wirtschaftlich an den Kragen. „Früher haben wir jeden Tag fünfzehn Tausend Liter Milch produziert, heute sind es nur noch fünftausend”, berichtete ein Milchbauer den AktivistInnen der Karawane, als diese durch Pará zog. Der Bergbau frisst sich durch die Landschaft, so die Analyse: Die lokale Bevölkerung werde an den Rand gedrängt oder gleich ganz vertrieben.
„Wenn ich von vertriebenen Bauern höre, dann muss ich weinen. Diese Firmen schlagen unsere Wurzeln ab. Ich habe Angst, das uns in Pecém das Gleiche droht”. So lauten die Worte von Alexandre. Er gehört zur indigenen Gemeinde Anacé im Bundesstaat Ceará. In seiner Heimat Pecém werden ein Stahlwerk, ein Kohlekraftwerk sowie eine Raffinerie gebaut. Das grösste Stahlwerk Lateinamerikas bauen Vale und die deutsche ThyssenKrupp gemeinsam an der Bucht von Sepetiba.
Gemeinsam haben all diese Projekte – neben den negativen Auswirkungen – dass sie von der brasilianischen Bundesregierung massiv gefördert werden. Die Nationale Bank für wirtschaftliche und soziale Entwicklung (BNDES) vergibt Kredite auf Zinsbasis unterhalb üblicher Marktzinssätze, um die Projekte im Rahmen des Programms zur Beschleunigung des wirtschaftlichen Wachstums (PAC) voranzutreiben. Dies ist im anlaufenden Wahlkampf zur brasilianischen Präsidentschaft eine der zentralen Pfeiler der Politik der Regierung von Präsident Lula: Megaprojekte öffentlichkeitswirksam fördern – und gleichzeitig so genannte nationale Champions schaffen. Damit gemeint sind Unternehmen, die wie Vale oder die Erdölfirma Petrobras zwar an der Börse gehandelt werden, an denen der brasilianische Staat aber noch einen Anteil hält und sich selbst in Form einer Sperrminorität unternehmerischen Gestaltungsspielraum garantiert. Lulas Agenda setzt dabei auf massive Megaprojekte. Dies tut sie trotz aller Proteste aus der Zivilgesellschaft, von Indigenen, FlussanwohnerInnenn oder traditionellen Gemeinschaften.
Für Virgínia Fontes von der Bundesuniversität Fluminense (UFF) gesellt sich im Rahmen der weltweiten Expansion dieser nationalen Champions aber eine neue Dimension hinzu: „Der brasilianische Imperialismus wird da geboren. Brasilianische Konzerne fangen an, im Ausland Arbeitskräfte auszubeuten”, so Virgínia Fontes. Und der Parlamentsabgeordnete Chico Alencar, langjähriges führendes Mitglied der Arbeiterpartei PT, aus der er im Jahre 2005 austrat und in die Partei für Sozialismus und Freiheit (PSOL) eintrat, erklärt die besondere Rolle des Staates bei diesen nationalen Champions: „Der brasilianische Staat übt sich in seiner neuen Rolle, recht subtil, die Privatisierungen beizubehalten.” Denn der grösste Finanzier dieser Unternehmen sei eben die BNDES, so Alencar.
Da frage man sich doch, so einer der Demonstranten vor dem Hauptsitz der Vale in Rio de Janeiro, wo das „Soziale” im Namen der Bank geblieben sei. „Ist es sozial, die Menschen zu vertreiben, sie mit Waffengewalt einzuschüchtern?”, fragt der Demonstrant die ihn Umstehenden – um gleich darauf einzustimmen in die Protestrufe gegen den Vale-Konzern.
José Lezma wird wieder zurück nach Peru in seine Heimatregion Cajamarca reisen. Dort wird er weiter kämpfen, um sein Land, um sauberes Wasser, um pflanzen und ernten zu können. Immer dabei sein wird die Angst, dass die Milizionäre es weiter auf ihn abgesehen haben könnten. Aber eines weiß er: Die von ihm angebauten Früchte sind süß im Geschmack, der Bergbau hingegen sehr bitter.

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