Bedrohte Opposition vor historischem Wahlsieg
Militärpolizei terrorisiert regierungskritische Aktivist_innen im Wahlkampf. Morde an linken Journalist_innen häufen sich
Die Wahlen 2013 sind historisch bedeutsam: Zum ersten Mal wird ernsthaft das Zwei-Parteien-System von Nationaler Partei (PN) und Liberaler Partei (PL) herausgefordert. Nach dem Putsch gegen den Präsidenten Manuel Zelaya von der PL im Juni 2009 bildete sich eine breite Widerstandsbewegung. Sie hat auch die Neuwahlen nach dem Putsch nicht anerkannt, aus denen der amtierende Präsident Porfirio Lobo von der PN hervorging. Dem Putsch vorausgegangen war eine Reformpolitik Zelayas zugunsten der armen und landlosen Bevölkerung und eine Hinwendung zum alternativen lateinamerikanischen Wirtschaftsbündnis ALBA. Dies war nicht im Sinne der herrschenden Oligarchie, die traditionell auch die Liberale Partei Zelayas dominierte.
Im November 2013 ist aus der Widerstandsbewegung gegen den Putsch eine neue Partei hervorgegangen, die Partei Freiheit und Neugründung (LIBRE). Ihre Präsidentschaftskandidatin ist Xiomara Castro, die Ehefrau von Ex-Präsident Zelaya. In den Meinungsumfragen liegt Xiomara Castro sogar vorne, wobei die verschiedenen Prognosen weit auseinandergehen: Manche Umfragen sehen nur einen Vorsprung von einem Prozent für Castro vor dem Kandidaten der PN Juan Orlando Hernández, andere sehen sie mit 25 Prozent vorne.
Neben LIBRE treten drei weitere neue Parteien zur Wahl an, darunter die Antikorruptionspartei (PAC) des Sportmoderators Salvador Nasralla. Nasralla liegt in den Umfragen an zweiter oder dritter Position, noch vor dem Kandidaten der PL Mauricio Villeda.
Selbst wenn Castro die Präsidentschaftswahlen gewinnt, könnte LIBRE der jüngsten Umfrage von TecniMerk zufolge im Kongress auf keine Mehrheit kommen. Sie würde mit der Nationalen Partei bei rund 28 Prozent etwa gleichauf liegen. Ebenfalls neu in den Kongress würde die PAC mit 9,6 Prozent einziehen. Was dies für die politischen Mehrheiten nach der Wahl bedeutet, bleibt völlig unklar. Jedenfalls dürfte eine Abkehr von der Politik des Neoliberalismus und der Militarisierung der letzten Jahre mit diesen Mehrheitsverhältnissen schwierig werden, die Handlungsspielräume für Xiomara Castro wären dadurch äußerst beschränkt.
Die sozialen Bewegungen in Honduras diskutieren derzeit aber nicht nur die Wahlprognosen. Es gab Morde an politischen Kandidat_innen und Kampagnenmitarbeiter_innen. Seit Anfang Oktober operiert die von der Regierung neu gegründete Militärische Polizei der öffentlichen Ordnung (PMOP). All dies deutet auf eine massive Einschüchterungspolitik gegenüber der Linken hin.
Am 21. Oktober veröffentlichte die nordamerikanische Menschenrechtsorganisation Rights Action eine unvollständige Liste von Kandidat_innen, ihren Familienangehörigen oder Kampagnenmitarbeiter_innen, die seit Mai 2012 getötet oder Opfer eines bewaffneten Angriffs wurden. Mitglieder aller größeren Parteien waren betroffen, doch überproportional häufig traf es Personen, die mit der Partei LIBRE verbunden waren: Nach den Angaben von Rights Action sind seit Mai 2012 mindestens 36 parteipolitisch Aktive oder deren Angehörige ermordet worden, davon gehörte die Hälfte der Partei LIBRE an. Rights Action wertet dies als Hinweis darauf, dass viele der Tötungen politisch motiviert waren.
„Die Liste ist ohne Zweifel unvollständig“, betont Karen Spring, wissenschaftliche Autorin und Koordinatorin der Organisation für Zentralamerika. Es fehlten Hintergründe und Details zu den einzelnen Fällen. Außerdem würde eine unbekannte Anzahl von Angriffen und Bedrohungen gar nicht erst angezeigt oder anderweitig öffentlich gemacht, meist aus Angst vor weiterer Verfolgung. Von Seiten der honduranischen Ermittlungsbehörden geschehe wenig, um diese Morde und Übergriffe aufzuklären und die Schuldigen zu bestrafen, erklärt Spring. Dadurch ließe sich noch weniger klären, welcher Anteil der Verbrechen politisch motiviert war und welche als Teil der „Alltagskriminalität“ in dem ohnehin sehr gewalttätigen Land anzusehen seien, so die Rights-Action-Vertreterin.
Vier honduranische Menschenrechts- und Frauenrechtsorganisationen und eine Gewerkschaft haben sich einen Monat vor den Wahlen zu einem „Runden Tisch zur Analyse der Menschenrechtssituation vor, während und nach den allgemeinen Wahlen“ zusammen gefunden. Diesen Organisationen zufolge wird die neue Militärpolizei PMOP eingesetzt, um gegen die politische Opposition vorzugehen. Mit TIGRES hat die Regierung unter Präsident Porfirio Lobo zudem den Aufbau einer weiteren Militärpolizei beschlossen. Beide Militärpolizeinheiten sollen offiziell der Bekämpfung des organisierten Verbrechens dienen und vereinen polizeiliche, militärische und Geheimdienstaufgaben auf sich.
Am 23. Oktober drangen Mitglieder der PMOP unter dem Vorwand, Waffen und Drogen zu suchen, in das Haus von Edwin Roberto Espinal ein. Er ist Aktivist der Widerstandsbewegung. Am 11. Oktober war ebenfalls eine Einheit der PMOP ins Haus des Vizepräsidenten der Gewerkschaft SITRAPANI, Marco Antonio Rodríguez, eingedrungen ohne einen Durchsuchungsbefehl vorweisen zu können.„Diese Aktionen der Terrorisierung gehen mit einer Hasskampagne gegen die Mitglieder von LIBRE in der Presse, in sozialen Netzwerken und in Form von Graffitis einher. Die Oberste Wahlbehörde versucht nicht, dieser Kampagne Einhalt zu gebieten“, heißt es in der Presseerklärung des Runden Tisches.
Auch die Morde an regierungskritischen Journalist_innen gehen weiter. So wurde am 23. Oktober der Kameramann Manuel Murillo Varela erschossen aufgefunden. Murillo arbeitete 2008 für Manuel Zelaya, später für den linken Fernsehsender Globo TV und für einen Kandidaten von LIBRE. 2010 war er entführt und gefoltert worden, woraufhin der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof besondere Schutzmaßnahmen für ihn verfügte. Die honduranischen Behörden blieben untätig.
Genau vier Monate vor dem Tod Murillos war der ebenfalls für Globo TV tätige Journalist Aníbal Barrow entführt und ermordet worden. Angesichts der Morde und Übergriffe, der einschüchternden Einsätze der Militärpolizei und der Hasskampagne gegen die politische Opposition und soziale Bewegungen erklärte Bertha Oliva, Koordinatorin der Menschenrechtsorganisation COFADEH, dass in Honduras ein Menschenrechtsnotstand eingetreten sei.
Der Runde Tisch zur Analyse der Menschenrechtssituation wird weiterhin Informationen zu gewaltsamen und illegalen Aktionen der Militärpolizei zusammentragen. Die vertretenen Organisationen warnen auch davor, dass sich Honduras gegenüber internationalen Menschenrechts- und Wahlbeobachtungsdelegationen abschotten und die bereits im Land befindlichen Delegationen unter besondere Beobachtung stellen könnte. Neben einer fast 90-köpfigen Wahlbeobachtungsmission der EU planen auch verschiedene Menschenrechtsorganisationen zur Zeit der Wahlen vor Ort zu sein.