Befreiung aus einer Symbiose
Der Preis der Macht analysiert detailliert das Verhältnis von Intellektuellen und Staat in Mexiko
Über Jahrzehnte hinweg unterhielten Staat und Intellektuelle in Mexiko eine nahezu symbiotische Beziehung. In ihrem neuen Buch Der Preis der Macht. Intellektuelle und Demokratisierungsprozesse in Mexiko 1968-2000 geht die mexikanische Philosophin und Soziologin Martha Zapata Galindo nun dem Verhältnis von Intellektuellen und Politik in Mexiko auf den Grund. Dabei konzentriert sie sich auf die Veränderungen des intellektuellen Feldes insbesondere seit der blutigen Niederschlagung der Studentenbewegung 1968.
Das hierfür notwendige theoretische Instrumentarium findet Zapata Galindo in der Habitus-Feld-Konzeption von Bourdieu und Foucaults Diskursanalyse. Implizit wird darüber hinaus häufig auf Gramscis Konzeption der organischen Intellektuellen und deren Rolle in der Organisierung von Hegemonie rekurriert.
In ihrer Nachzeichnung von Genese und Struktur des intellektuellen Feldes im postrevolutionären Mexiko schlägt die Autorin eine aus drei Phasen bestehende Periodisierung vor. Die erste Phase umfasste die Jahre zwischen 1930 – 1970. Zwar verfügten die wissenschaftlichen und kulturellen Felder in dieser Zeit über einen gewissen Grad an Selbstbestimmung. Indem jedoch der mexikanische Staat der zentrale Ressourcen-, Auftrags- und Arbeitgeber in diesen Feldern war, setzte er der Feldautonomie Grenzen. So sollte die intellektuelle Produktion der Legitimierung staatlichen Handelns dienen. Die Intellektuellen haben in diesen Jahren zum einen „durch ihre Arbeit an der Produktion und Reproduktion politischer Diskurse die Zementierung des Machtblocks, die politische Konsensbildung und die Hegemoniegewinnung unterstützt. Zum anderen haben sie staatliche Politik implementiert und instrumentalisiert“, urteilt Zapata Galindo.
In den 1960er Jahren habe sich das Verhältnis von Intellektuellen und Staat verschoben. Als zentralen Wendepunkt stellt sie dabei die Konflikte von 1968 und die exemplarische Repression der Studentenbewegung am 2. Oktober 1968 in Mexiko-Stadt dar, bei der mehrere Hundert Demonstrierende von staatlichen Sicherheitskräften erschossen wurden. In diesem Zusammenhang ist laut Zapata Galindo die zweite Periode des Verhältnisses der Intellektuellen zum Staat eingeleitet worden (1970 – 1989). Die Ursache dieser Verschiebung erblickt sie in der ab diesem Zeitpunkt offensichtlich werdenden Fragmentierung der Staatspartei, welche den Verhandlungshorizont der Intellektuellen über die gestiegenen Zugangsmöglichkeiten zu unterschiedlichen Fraktionen in der Partei erhöht habe.
Reale Autonomie der Intellektuellen
Weiterhin seien durch die staatlichen Versuche, die mit 1968 offenkundig gewordene Hegemoniekrise zu bewältigen, nicht nur Versuche einer politischen Öffnung, sondern auch eine massive Ausdehnung des intellektuellen Arbeitsmarktes vorgenommen worden, welche ebenfalls die Handlungsspielräume der Intellektuellen erweitert hätten. „Die Intellektuellen vermochten jedoch nicht, ihre materielle Abhängigkeit vom Staat und die daraus resultierenden Zwänge zu überwinden, womit sie bald an die Grenzen der neu gewonnenen Freiheiten stießen“, resümiert die Autorin.
Erst mit der dritten Phase (1989 – 2000) sei es zu einer endgültigen Loslösung der Intellektuellen von einer exklusiv staatszentrierten Handlungsorientierung und damit zur Konstitution einer realen Autonomie des intellektuellen Feldes gekommen. Entscheidende Faktoren hierfür erblickt Zapata Galindo in einem weiteren Legitimitätsverlust der Staatspartei, der Globalisierung und Neoliberalisierung der mexikanischen Politik und Wirtschaft, einer Verstärkung zivilgesellschaftlicher Organisations- und Mobilisierungsprozesse sowie deren Rückwirkungen auf das intellektuelle Feld. Von entscheidender Relevanz sei in diesem Kontext der Aufstand in Chiapas 1994 gewesen. Denn dieser „stellte die Bedeutung der sozialen Bewegungen und zivilgesellschaftlichen AkteurInnen für den Demokratisierungsprozess in den Vordergrund, spaltete die verschiedenen intellektuellen Gruppen erneut und organisierte ein zivilgesellschaftliches Bündnis, das eine neue Auffassung von Demokratie auf die politische Tagesordnung setzte. Für viele Intellektuelle war dies der Zeitpunkt für die endgültige Befreiung aus der Vereinnahmung durch den Staat“, so ihr Fazit. Dadurch sei es zu einem Bruch mit der bloßen staatstragenden Funktion der Intellektuellen gekommen. Trotzdem weist die Autorin abschließend auf eine wichtige Tatsache hin: „Solange sich jedoch keine dauerhaften rechtsstaatlichen Strukturen in Mexiko gebildet haben und die Demokratie noch nicht konsolidiert ist, werden politische Faktoren zum Teil im intellektuellen Feld auch weiterhin unvermittelt wirksam bleiben“.
Das Buch von Zapata Galindo leistet einen wichtigen empirisch fundierten Beitrag zur Frage der Herstellung von Hegemonie in der lateinamerikanischen (Semi-)Peripherie und des hierin zu verortenden Verhältnisses von Intellektuellen und Staat. Allerdings dominiert in der Darstellung zumeist eine detaillierte Analyse der Kräfteverhältnisse, Akteurskonstellationen und Strategien innerhalb des intellektuellen Feldes. Die Einbeziehung einer entsprechend detaillierten Analyse der Prozesse innerhalb der Staatsapparate wäre an einigen Stellen wünschenswert gewesen. Dessen ungeachtet handelt es sich um ein Buch, das nicht nur für an Mexiko interessierte LeserInnen sehr interessant ist.
Zapata Galindo, Martha, Der Preis der Macht. Intellektuelle und Demokratisierungsprozesse in Mexiko 1968 – 2000. Edition Tranvia, Berlin 2006, 339 Seiten, 29,80 Euro.