Aktuell | Editorial | Nummer 612 - Juni 2025

// Beharrlich gegen die Grausamkeit

Unser Editorial zu Solidarität und Organisierung im Angesicht der derzeit normalisierten Grausamkeit.

Die Redaktion

In Paramount, Kalifornien, gehen seit dem 7. Juni große Gruppen von Einwohner*innen auf die Straße und drängen Panzer der Einwanderungspolizei (ICE), des FBI und anderer Repressionsbehörden zurück. Zu Hunderten umzingeln sie die Einsatzfahrzeuge und verhindern zumindest, dass die Polizei einen Teil der Menschen, die sie verhaften will, mitnimmt – rund 70.000 Migrant*innen, wurden in diesem Jahr bereits abgeschoben. Vor kurzem hat die ICE in Donald Trumps verzweifeltem Bemühen, die Zahl der Abschiebungen früherer Präsidenten zu erreichen, die Strategie übernommen, Personen ohne Haftbefehl zu ergreifen. Verhaftet werden Eltern, die ihre Kinder gerade zur Schule bringen, Personen, die einen Termin in Bezug auf ihren Visumsprozess wahrnehmen, zur Arbeit erscheinen oder in die Kirche gehen. In Paramount, wo sich 80 Prozent der Bevölkerung als latino identifizieren, haben die Menschen unter dieser verschärften Verfolgung nichts mehr zu verlieren. Und sie haben genug.

Die Proteste sind zwar keine organisierte Kampagne, sondern entstanden relativ spontan, doch Zusammenhalt und Widerstand war in den migrantischen und rassifizierten communities der USA auch schon in den letzten Monaten zu beobachten. Seit Trumps Amtsantritt organisierte sich beispielsweise eine Koalition aus 60 Latino-, Schwarzen, asiatischen und jüdischen Organisationen, um ihre Gemeinden auf die Anwesenheit von ICE-Patrouillen aufmerksam zu machen und Migrant*innen ihre Rechte über Lautsprecher aus Handbüchern vorzulesen. Dem Zusammenschluss der Nachbar*innen gelang es, die Apathie zu durchbrechen, die ansonsten vielerorts um sich griff. Das steckt an: Die von Latinx Migrant*innen in Los Angeles angeführten Protestaktionen des zivilen Ungehorsams und der direkten Gegenwehr breiteten sich in wenigen Tagen auf 40 weitere Städte aus.

Auf der anderen Seite des Atlantiks wurden währenddessen die 12 Besatzungsmitglieder der Madleen Freedom Flotilla entführt. Die Flotilla ist ein Protestschiff, das die Blockade der humanitären Hilfe in der jüngsten Phase des völkermörderischen Besatzungskrieges Israels gegen Palästina durchbrechen wollte. Nachdem die israelische Armee das Schiff in internationalen Gewässern illegal gekapert hatte, wurden die Besatzungsmitglieder angeklagt, bei der Einreise gegen das Gesetz verstoßen zu haben, obwohl sie gegen ihren Willen nach Israel gebracht wurden. Nur wenige Tage später bereitete sich der Soumoud-Konvoi, eine massive Karawane von mehr als 1.500 Menschen, die von Tunis aus in Richtung der ägyptischen Grenze zum Gazastreifen startete, darauf vor, die Blockade auf dem Landweg zu durchbrechen, mit einer geplanten Ankunft am 15. Juni.

Überall auf der Welt mobilisieren sich insbesondere rassifizierte Bevölkerungsgruppen und durchbrechen die verkrusteten Schichten der Normalisierung der Grausamkeit. Die Migrant*innen in Los Angeles und im Rest der USA wissen, dass, wie in Warsan Shires Gedicht, niemand sein Zuhause verlässt, es sei denn, das Zuhause ist das Maul eines Hais. Doch was, wenn es keinen sicheren Ort mehr gibt, an den man gehen kann?

Nichts an der Gewalt, die wir dieser Tage sehen ist normal. Schiffe, Karawanen, Lautsprecheraktionen, Rechtsklagen und Mobilisierungen auf der Straße sind nur einige Arten, wie Menschen dies nach wie vor erkennen und sich dagegen in Bewegung setzen. Und wir brauchen noch viel mehr Formen der Solidarität mit widerständigen Völkern, der Kämpfe gegen die Entmenschlichung, der Gegenwehr angesichts zunehmend autoritärer Manöver. Wir müssen weiterhin beharrlich auf unser aller Menschlichkeit bestehen und angesichts von Grauen, Frustration und Schmerz Gemeinschaft organisieren.


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