Besessen vom Wachstumsfetisch
Was die zweite Amtszeit von Luis Inácio Lula da Silva erwarten lässt
In einer Resulution des Vorstands der regierenden Arbeiterpartei PT nach den Wahlen heißt es: „Wir haben eine linken Wahlkamf gemacht, in Einklang mit unseren Mitgliedern und unser kämpferischen Tradition.“ Maria do Rosario vom linken PT Flügel ist ebenfalls begeistert: „Mit dieser PT, die mit den sozialen Bewegungen verbündet ist, hat Lula die Wahlen gewonnen. Die negativen Handlungen einiger PTistas hatte fast zu seiner Niederlage geführt. Die Parteibasis war stärker, und sie muss nun der PT einen neuen Weg weisen.“
Die sozialen Bewegungen selbst sind nicht ganz so euphorisch, freuen sich aber über den Sieg über die Rechten: „Lula wird nicht unsere Probleme lösen, aber wir besiegen die Rechte. Lula zu wählen bereitet das Vergnügen, den Rechten eine Niederlage zuzufügen, die Bourgeoisie am Boden zu sehen, das hat schon den symbolischen Wert eines Sieges“, versichert João Paulo Rodriguez vom MST.
Mehr vom Alten
Aber nun ist die Begeisterung oder wenigstens Erleichterung der Tage unmittelbar nach den Wahlen verflogen, und schon zeichnet sich ein anderes Bild ab, als es die Linken wünschen können. Lula sieht sich und seinen Kurs bestätigt, es waren nur einige unglücklichen Handlungen von irregeleiteten Genossen, die ihm Schwierigkeiten bereitet haben, meint er. In der Bilanz der Regierung hat sich die Wirtschaftspolitik genauso bewährt wie die Sozialpolitik. Damit wird eher die Perspektive „mehr vom Selben“ als ein Kurswechsel wahrscheinlich. Nur in einem Punkt signalisieren die Erklärungen Lulas und des „harten Kerns“ der Regierungs – PT eine reale Änderung. Die Kritik, dass die Wachstumsraten Brasiliens im internationalen Vergleich lächerlich seien – 2005 wuchs nur Haiti in Lateinamerika weniger als Brasilien! – war eines der wenigen Felder, in der die Opposition punkten konnte. Hier verspricht nun die Regierung tatsächlich einen Kurswechsel.
Wachstum statt Umwelt
Tatsächlich geistert der Wachstumsfetisch durch alle politischen Diskurse. Während die erste Amtzeit Lulas eher durch Stabilitätspolitik plus Sozialprogramme geprägt war, soll nun endlich das „Wachstumsspektakel“, das Lula bereits 2004 versprochen hatte, Wirklichkeit werden. Die Regierung versichert zwar, dass eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik keineswegs zu Lasten der Stabilitätspolitik gehen soll, aber was das genau heißt, ist unklar. Zweifelsohne hat die Regierung einen gewissen Spielraum, die Hochzinspolitik zu lockern. Den wird sie wohl auch nutzen, aber ob dies reicht, um einen neuen Wachstumsschub zu provozieren, ist fraglich. Denn neben der Hochzinspolitik ist die geringe Anteil der staatlichen Investitionen ein weiteres Entwicklungshemmnis. Der Bundeshaushalt lässt aber wenig Spielraum zu, da fast alle Einnahmen durch Schuldendienst, Erhaltung des Staatsapparates und gesetzlich vorgeschrieben Ausgaben kompromittiert sind. Da die Steuerlast im letzten Jahrzehnt kontinuierlich gestiegen ist, sind weitere Steuererhöhungen politisch nicht durchsetzbar. Die Regierung müsste also irgendwo massiv einsparen, um die staatlichen Investitionen deutlich zu erhöhen. Aber auch dies ist politisch kaum möglich. So spricht alles für die Fortsetzung einer gradualistischen Politik, die die Zinsen vorsichtig senkt und die staatlichen Investitionen leicht anhebt – kaum ein Szenarium für ein Wachstumsspektakel, aber auch nicht für Katastrophen.
Präsidentalamtsministerin Dilma Rouseff hat in der Woche vor den Wahlen angekündigt, die brasilianische Regierung werde unmittelbar nach den Wahlen die Entscheidung treffen,das umstrittene Atomkraftwerk Angra 3 fertig zustellen und sechs (!) weitere kleinere Atomkraftwerke in Auftrag zu geben. Dies sei, so Dilma, ein Zeichen, für die „Wachstumsbesessenheit“ der neuen Regierung. Für ökologische Komponenten der Politik ist jedenfalls nichts Gutes zu erwarten. Die Regierung steht unter Druck, Großprojekte, die bisher in der Planungsphase stecken geblieben sind, nun ernsthaft anzugehen. Dazu gehören in erster Linie der Staudamm am Rio Madeira im Amazonasgebiet und die Umleitung des Rio São Francisco, zwei Mammutprojekte, die von brasilianischen und internationalen Umweltschützern massiv kritisiert werden. Auch wenn viele angekündigte Investitionsvorhaben, die Umweltschützer in den letzten Jahren in Alarmbereitschaft gesetzt haben, wegen Geldmangel nicht umgesetzt wurden lässt die Wachstumsbesessenheit der Lula Regierung für die Umwelt nichts Gutes erwarten.