Musik | Nummer 228 - Juni 1993

Beweg deinen Hintern!

Eine Busfahrt durch’s derzeitige Pop-Geschehen

Jeder Sommer hat seinen Hit, und jeder Hit hat seinen Tanz. Nur selten schwappt die Welle von Lateinamerika nach Europa über. Mit “Lambada”, dem Tanz zum Deo (s. LN 187) war das 1989 den Markting-Strategen gelungen. Mit der “Punta”, jenem recht schwierigen Tanz, den die honduranische Gruppe Banda Blanca 1991 in Lateinamerika bekannt machte, war es gar nicht erst versucht worden. Auch in den Weltmusikläden und Latinola-Diskotheken in Deutschland finden sich meist nur die Mega-Hits. Aber die kurzzeitigen Erfolge, die in Lateinamerika für ein paar Monate die Stimmung prägen und von den Radios ohne Pause gespielt werden, dringen trotz des Booms von Salsa-und Merengue-Tanzkursen kaum an hiesige Ohren.
Eine kurze subjektive Führung durch die derzeitigen Hits und Trends, Glanzpunkte und Abgründe.

Bernd Pickert

Der BUS von Quito nach Quevedo ist voll. Auf dem Dach stapelt sich das Gepäck, drinnen die Menschen. Schieflage in den Serpentinenkurven der ecuadorianischen Anden. De izquierda -Kurve links -a derecha -Kurve rechts -si tu quieres gozar -wenn du Spaß willst. Die Räder hängen über dein tiefen Abhang fast in der Luft, Männer und Frauen quietschen vor Schreck. Hilip! Aus den Lautsprechern im Bus singt einer, daß er zwar dick ist aber gut drauf. Gaby, der neue Rap-Star aus Panama fährt in diesen Monaten in fast allen Bussen von Mexico bis Venezuela mit und singt den Menschen seinen “Meneaito”. Muß man singen können, um mittelamerikanischen RapReggae zu machen, jene Mischung, die von Panama aus schon vor zwei Jahren ihren Siegeszug angetreten hat und inzwischen fast die Merengue-Welle
des dominikanischen Super-Stars Juan Luis Guerra verdrängt? Gaby, eigentlich Winston Alfaro Brown, beweist: Man muß es nicht können. Sein “Meneaito” ist gesprochener Text zur Rhythmusmaschine. Die wirft einen einzigen Rhythmus aus, und der Text weist darauf hin, daß eben ;jener Rhythmus richtig toll ist. Mueve tu mano, mueve tu cuerpo con el Meneaito! Beweg deine Hand, beweg deinen Körper mit dem Meneaito! Und die Masse folgt.
Juan Luis Guerra (s. LN 212) singt von Korruption und Inflation, vom Alltag der Armen. Gaby hat eine andere Message: Tanz, beweg dich, es ist geil. Und die Sache läuft. Wettbewerbe finden heraus, welcher Jugendliche den ultimativen Aufforderungen von Gaby am besten folgen kann: Tanz den Meneaito! Von links nach rechts, von rechts nach links, wackel mit der Hüfte und genieß es! Gaby aus Panama hat nichts zu sagen, singen kann er auch nicht, kurz: Der Mann ist zum Star geboren.
Immerhin hat der 27jährige die richtige Geschichte aufzuweisen: Geboren in Panama-Stadt als ältester von drei Geschwistern mußte er seine Sache “gut machen, sonst warst du das Schlagzeug für alle anderen.” Baseball-Spieler wollte er werden, wie sein Vater es war. Als eine Krankheit seine Sportler-Kamere beendete, was lag da näher, als auf den Reggae umzusteigen? Hat ihm doch schon immer “das Blut gekocht, wenn ich diese Rhythmen hörte. Außerdem habe ich den traditionellen Einfluß meiner Großeltem, die in Jamaica geboren wurden. Von da kommt nämlich der Reggae.” Mit derartigem Vor-wissen ausgestattet kann eigentlich nichts mehr schief- gehen. Und so ist seine Platte “100 % Indestructibles”, schon heute ein Verkaufsrenner.
Aber ein einziger Sommerhit reicht für keine Busfahrt durch die Anden, und so ist es nicht nur Gaby, der den Fahrer zum lustvollen Schunkeln anregt. Bei “Derroche” von Aldo Matta wippen alle Füße mit, Männer trommeln auf ihren Oberschenkeln. Gute populäre Salsa mit Anlehnungen an den kubanischen Son und eine rührend-traurig-entzückende Story von Liebe und Leid: Besos y ternura … que derroche de amor, cuanta locura! Der Fahrer dreht das Radio lauter, und trotz der von Serpentine zu Serpentine wechselnden Empfangsqualität ist doch Jerry Rivera zu hören, die neue junge Salsa-Hoffnung des Kon-tinents, der mit seiner letzten Platte
“Abriendo Puertas ” immerhin schon die goldene und die Platin-Schall-platte gewonnen hat. Ein Knabe, der auf dem Platten-Cover so aussieht wie ein achtzehnjähriger Lateinamerikaner bei der Einschulung ins College in Miami. Der singt über den Niedergang der Liebe im allgemeinen und die Besonderheit der eigenen im speziellen: Amores como el nuestro existen hoy ya menos… Und das kommt dann so gehölt daher, daß man
dem Mann fast die tiefe Verzweiflung über die liebesunfähige Umwelt abnehmen würde, wären da nicht die spritzigen Bläsersätze und die Percussion, die auch diesen Titel zum tanzbaren Hit der Calsa-Diskotheken machen und den Fahrer zu weiterem kurvenreichen Mitswingen ermuntern.
Weniger philosophisch, dafür umso lebensnaher ergänzt die “Miami Band das Musik-Programm im Bus. Mit “Ponte el Sombrero” hat sie einen weiteren Treffer gelandet und ist derzeit gleich mit mehreren Rennern im Geschäft. “Setz dir den Hut auf’ klingt erstmal ziemlich einfältig und erinnert an jene Primitiv-Cumbia, die sich minuten-lang darüber ausläßt, daß dem Sänger der Kaugummi festgeklebt ist (“Se me pegó el chiclet, el chiclet se me pegó”), oder das neue Machwerk des Bahnbrechers der Rap-Reggae-Welle in Mittelamerika, des ebenfalls aus Panama stammenden “General”, der mit “Caramelo” eine Zote darüber singt, daß alle gerne Bonbons essen. Aber “Ponte el Sombrero” von der Miami Band ist anders: Eine Frau will, daß sich ihr Lover einen Präser überzieht. Der lehnt strikt ab -Baby,”no me vengas con eso! -und beruhigt sie -“vertrau mir!” -,woraufhin sie ihn als dummen Lügner beschimpft. Die Message ist klar: Mann, du bist schön, du bist geil, ich will dich, also
setz dir das Hütchen auf.
Die Sängerin -die einzige Frau in der Gruppe neben sieben Männern -präsentiert sich auf dem Cover in Reizwäsche. Die Miami Band hat auch in anderen Hits deutlich gemacht, daß sie mit Emanzipation oder Frauenbewegung nichts am Hut hat, so z.B. “Mini Mini” über den Mini-Rock, den sich “die Frauen anziehen, um die Männer zu provozieren”. Das Frauenverständnis könnte bei Erika Berger entlehnt sein, mit ‘nem Schuß Teresa Orlowski; die Frau ist sich ihrer Sexualität bewußt, deshalb will sie ständig Männer und macht halt das, was denen gefällt -aber mit Präser.
Der “Sombrero” ist schon der zweite Hit in den letzten Jahren, der sich mit Aids auseinandersetzt -zuerst war da die kolumbianische “Sonora Dinamita” mit ihrem Super-Cumbia “EI Sida” (Aids). “Que Se cuiden las mujeres … del Sida, del Sida … Que se cuiden los varones … del Sida, del Sida” Wenn man mal gesehen hat, wie das getanzt wird, nimmt man den Eindruck mit, daß dieses Aufklärungswerk allerdings ziemlich kontraproduktiv gewirkt haben dürfte …
Ruft die Miami Band also immerhin die heterosexuellen Männer zum Gebrauch von Präservativen auf, so gibt es auch klar reaktionäre Polit-Botschaften, die sich in die aktuelle Rap-Reggae-Welle eingeschlichen haben. “No queremos mariflor! ” -Wir wollen keine Schwulen! singt “Nando Boom”. Auch er ist mit mehreren Titeln in den Charts vertreten, liefert stumpfen Rap mit zum Teil höchst militanten Texten: “Kommt ein Schwuler um die Ecke, lade ich meine Kanone durch. Bummbumm, fällt er um, Wahnsinn, wie im Kino! Wir wollen keine Schwulen! Wir wollen keine Schwulen!” Und das Lied ist, als wär’s zum Anti-Schwulen-Gesetz (vgl. LN 217/18) geschrieben, ein Riesenhit in Nicaragua, und nicht nur
dort.
Richtig wohltuend nimmt sich dagegen Rude Girl aus, eine der wenigen Rap-Frauen-Gruppen unter lauter Männern. Ihr “Que es 10 que es” ist freilich kein Hit geworden, beschreiben sie doch die ganze Lächerlichkeit: “Ein Typ sieht dich, kommt näher, und schon geht die Scheiße los -Männer, nehmt Euch in acht, die Frauen machen das nicht mit, bald ist Schluß!”
Die Rap-Welle rollt weiter, der Bus auch. Seltsamerweise werden kaum Lieder vom neuesten Meisterwerk des Juan Luis Guerra gespielt. Sollte das daran liegen, daß der dominikanische Merengue-Sänger auf seiner neuesten Platte “Areito”, die in deutschen werden Weltmusikläden längst zum Verkaufshit geworden ist, noch politischer geworden ist? Pünktlich zum fünfhundertsten Jahrestag der Eroberung 1992 ist sein Aufmacherlied mit Anklagen an neokolonialistische Politik, an die Auswirkungen der Strukturanpassung, an die Korruptheit der Regierungen garniert (s. nebenstehender Text). Da kommen seine Liebeslieder schon besser an, und siehe da, “Frio Frio” tönt nun auch über die Bus-Lautsprecher, passend irgendwie: Frio frio, como el agua del rio -kalt kalt wie das Flußwasser; zieht doch am Fenster einer jener durch die ungeheuren Regenfälle in Ecuadors Hochland so angewachsenen, reißenden Flüsse vorbei. Es wird wärmer draußen, der Bus nähert sich Quevedo, Kälte und Höhenluft der Anden liegen hinter den Fahrgästen, der Fahrer stellt einen neuen Sender ein. Knrrrrschsttt-tüüüüülaaaaaitoelmeneaito, el meneaito, mueve tu cuerpo, mueve tu mano con el meneaito! OK, pues.

El Costo de la Vida

Text: Version von Juan Luis Guerra
Musik: D. Dibla

El costo de la vida sube otra vez
el peso que baja ya ni se ve
y las habichuelas no se pueden comer
ni una libra de arroz ni una cuarta de café
a nadie le importa qué piensa usted
será porque aquí no hablamos inglés
ah ah es verdad (repite)
do you understand?
do you, do you?

Y la gasolina sube otra vez
el peso que baja ya ni se ve
y la democracia no puede crecer
si la corrupción juega ajedrez
a nadie le importa qué piensa usted
sera porque aquí no hablamos frances
ah ah vouz parlez? (repite)
ah ah, non monsieur.

Somos un agujero en medio del mar y el cielo
500 años después
una raza encendida
negra blanca y taína
pero, quién descubrió a quién?
um es verdad (repite)

Ay! y el costo de la vida
pa’rriba tu ves
y el peso que baja
pobre ni se ve
y la medicina
camina al revés
aquí no se cura
ni un callo en el pie
ai-qui-i-qui-i-qui
ai-qui-i-qui-e
y ahora el desempleo
me mordió también
a nadie le importa,
pues no hablamos inglés
ni a la mitsubishi
ni a la chevrolet

La corrupción pa’rriba
pa’rriba tu ves
y el peso que baja
pobre ni se ve
y la delincuencia
me pilló esta vez
aquí no se cura
ni un callo en el pie
ai-qui-i-qui-i-qui
ai-qui-i-qui-e

Y ahora el desempleo
me pilló esta vez
a nadie le importa
pues no hablamos inglés
ni a la mitsubishi
ni a la chevrolet
um es verdad (repite)

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