Deutschland | Dossier 21 - Das Gleiche in Grün | Kolumbien

Bloß nicht zurückschauen

Ohne historische Verantwortung keine Just Transition bei den Kohlekonzernen

Der deutsche Energiekonzern Uniper möchte einen Beitrag zum „gerechten Übergang“ in den Kohlegebieten Kolumbiens leisten. Dass es ihm wirklich Ernst ist, bezweifelt Tilman Massa von den Kritischen Aktionär*innen.

Von Tilman Massa
Blutkohle aus El Cesar Der US-Konzern Drummond hat mutmaßlich paramilitärische Gruppen finanziert (Foto: Leonard Mikoleit)

Uniper hat das Thema just transition für sich entdeckt. Diesen Eindruck vermittelt der Konzern zumindest in einer Pressemitteilung zur Veröffentlichung seines aktuellen Nachhaltigkeitsberichts Ende April 2024. Uniper – eine Abspaltung von E.ON und seit 2022 fast vollständig in der Hand des deutschen Staates – sei „davon überzeugt, dass der Übergang zu einer kohlenstoffarmen Zukunft für möglichst alle Betroffenen gerecht sein muss.“ Dabei bezieht sich der Konzern in erster Linie auf die eigenen Beschäftigten der fossilen Kraftwerke, die geschlossen oder umgenutzt werden sollen.

Doch bleibt der Konzern nicht bei diesem engen Verständnis einer just transition, eines „gerechten Übergangs“ beim Ausstieg aus fossilen Energien, stehen: „Darüber hinaus ist Uniper aktiv an der Unterstützung von Programmen zur wirtschaftlichen Diversifizierung in Kohlebergbauregionen beteiligt, wie beispielsweise an der Initiative von Bettercoal in Kolumbien“, heißt es in der Pressemitteilung weiter. Was das konkret bedeutet, scheint Uniper selbst noch nicht sagen zu können. Auf der Webseite von Uniper wird vage der Aufbau einer „Finanzierungsstruktur“ in Aussicht gestellt, um „die Entwicklung einer alternativen regionalen Wirtschaft zu fördern.“

Ausgerechnet Uniper will Nachhilfe in wirtschaftlicher Diversifizierung geben. Dabei dürfte es kaum ein Energieunternehmen aus Deutschland geben, das darin selbst mehr Nachhilfe nötig hat, besteht doch sein Geschäftsmodell weiterhin maßgeblich auf dem Handel mit fossilem Gas. Und dann auch noch via „Bettercoal“, jenem erfolglosen Versuch der hiesigen Kohlekonzerne, Verbesserungen bei Sozial- und Umweltstandards entlang der globalen Steinkohle-Lieferketten durch Minen-Audits und Dialoge zwischen Konzernen, Regierungen und lokalen Gemeinschaften anzuregen. Seit über zehn Jahren führt „Bettercoal“ nicht zu einer substantiellen Verbesserung der Lebensbedingungen der vom Kohleabbau betroffenen Gemeinden. Es sind also Zweifel angebracht, wenn Uniper ankündigt, an einem „Just Transition Framework“ zu arbeiten.

Dabei ist ein wirklich sozial- und klimagerechter Kohleausstieg entlang der Lieferketten bitter nötig. Genauso nötig: ein Blick zurück, um die ganzen Schäden und Ungerechtigkeiten durch den Kohleabbau zu erfassen, vor allem in Kolumbien.

„Bettercoal“ hat keine substantielle Verbesserung der Lebensbedingungen der Gemeinden zur Folge

Mit dem in Deutschland politisch beschlossenen Kohleausstieg bis spätestens 2038 haben auch die Steinkohleimporte ein klares Enddatum. Jene aus Kolumbien dürften dabei noch schneller zurückgehen. Kein Konzern möchte länger als nötig in direkter Verbindung zu den Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen beim Kohleabbau in Kolumbien stehen. Uniper meidet schon jetzt Langzeitverträge mit dem Schweizer Rohstoffkonzern Glencore bzw. Cerrejón, dem Betreiber der größten Kohlemine in Kolumbien, im Departamento La Guajira. Doch darf mit dem Ende von Lieferverträgen nicht auch die Verantwortung enden, wenn Uniper eine just transition verspricht.

Die Indigene Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin Jakeline Romero der Organisation Fuerza de Mujeres Wayuu, die Ende Februar 2024 unerwartet verstorben ist, hatte die Folgen der Wasserknappheit in La Guajira so beschrieben: „Tausende von Wayuu-Kindern sind in den letzten zehn Jahren gestorben.“ Die Behörden sprächen von Todesfällen aufgrund von Mangelernährung, verschwiegen aber die eigentliche Ursache, nämlich den Diebstahl des Wassers der Wayuu. „Früher gab es Brunnen in La Guajira. Jeder hatte Tiefen von 30 bis 40 Metern, selbst in den trockensten Gebieten. Aber der Bergbau hat dazu geführt, dass der Grundwasserspiegel gesunken ist.“

Ein überstürzter Ausstieg aus der Kohleförderung ist auch keine Lösung, wie Glencores Agieren in El Cesar, neben La Guajira das wichtigste kohlefördernde Departamento, zeigt: 2020 hat der Konzern unabgesprochen zwei Tagebaue geschlossen und die Bewohner*innen der Region, die extrem vom Bergbau abhingen, in eine schwere soziale Krise gestürzt. Seinen Verpflichtungen, wie soziale und ökologische Kompensationsmaßnahmen durchzuführen, ist Glencore nur unzureichend nachgekommen.

Im Norden Kolumbiens kämpft die betroffene Bevölkerung schon längst nicht nur mit den direkten Folgen des Tagebaus, sondern mit Dürren, unregelmäßigen Regenfällen und extrem hohen Temperaturen in Folge der Klimakrise. Für Indigene, wie die Wayuu in La Guajira oder die Yupka in El Cesar, ist es eine weitere zerstörerische Folge der kolonialen Ausbeutung der Ressourcen ihres Landes. Treffend spricht Yukpa-Aktivist Juan Pablo Gutiérrez nicht von einer Klimakrise, sondern einer kolonialen Krise.

Ein Blick zurück rückt auch die Verwicklung der Bergbaukonzerne in paramilitärisch Gewalt in den Fokus. Neben Glencore ist der US-Konzern Drummond der größte Kohleförderer der Region. Dessen aktueller und ein früherer Geschäftsführer sind von der kolumbianischen Justiz wegen der mutmaßlichen Finanzierung paramilitärischer Gruppen angeklagt.

Konzerne haben von der billigen Blutkohle aus Kolumbien profitiert

Deutsche Energiekonzerne wie Uniper haben zwischen 2004 und 2023 fast 110 Millionen Tonnen Steinkohle aus Kolumbien bezogen. Die deutschen Importeure haben damit maßgeblich das desaströse Geschäftsmodell des Kohleexports ermöglicht, mit seinen fortgesetzten Menschen- und Umweltrechtsverletzungen in Form von gewaltsamen Landvertreibungen und Zwangsumsiedlungen in den Kohleregionen Kolumbiens.

Kolumbianische Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen wie Censat Agua Viva oder Cinep fordern auch von deutschen Energiekonzernen, sich an fairen Prozessen zu Reparationen und Entschädigungen zu beteiligen. Das schließt die Opfer paramilitärischer Gewalt mit ein.

Nicht nur Uniper, sondern alle Konzerne, die von der billigen Blutkohle aus Kolumbien profitiert haben, müssen sich ihrer Verantwortung stellen. Dazu zählen neben EnBW, RWE und Vattenfall selbstverständlich in erster Linie Glencore, Drummond und alle anderen Unternehmen, die Kohleminen betreiben und betrieben haben. Der Verantwortung müssen sich aber auch jene Staaten stellen, welche die Konzerne gewähren ließen.

Die Opfer paramilitärischer Gewalt dürfen nicht vergessen werden

Die bittere Botschaft zwischen den Zeilen von dem, was über Unipers „Just Transition Framework“ bisher bekannt ist: Bloß nicht zurückschauen auf die vielschichtigen Dimensionen der historischen Verantwortung, aufgrund des jahrelangen Profits aus dem Bezug kolumbianischer Steinkohle.

Für eine just transition, die diesen Namen verdient, braucht es eine umfassende Unterstützung der Regionen und Gemeinden, die am stärksten unter den Folgen des deutschen Energiehungers nach Steinkohle leiden mussten. Dabei dürfen weder die Opfer paramilitärischer Gewalt vergessen werden, noch die Personen, die langfristig an gesundheitlichen Problemen wegen des Kohlestaubs leiden. Es geht um mehr als nur die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Die Betroffenen in den Kohleregionen müssen selbst entscheiden können, welche Form des Wirtschaftens und welche Arbeitsplätze sie nun schaffen möchten. Nicht zuletzt geht es auch um eine faire Verteilung der absehbar steigenden Kosten klimakrisenbedingter Schäden. Ohne Beachtung dieser vielschichtigen Aspekte wird es keinen klimagerechten Übergang geben.

Tilman Massa ist Co-Geschäftsführer beim Dachverband Kritischer Aktionär*innen

Koloniale Kontinuitäten: Energie- und grüner Kolonialismus

Kolonialismus ist zwar größtenteils formell beendet, dennoch setzen sich koloniale Praktiken wie Ressourcenausbeutung oder Landaneignung bis heute fort. In den letzten Jahrzehnten geschieht dies häufig unter dem Deckmantel vermeintlich „grüner“ Initiativen wie Naturschutzprojekten, die Indigene Gemeinschaften vertreiben oder ihre Praktiken erzwungenermaßen verändern, zum Beispiel durch den Raub und die Privatisierung von Land im Dienste der Herstellung von Biokraftstoffen oder die Errichtung von Megaprojekten wie Solar- und Windanlagen.

Dieses Phänomen wird auch als grüner Kolonialismus oder, wenn es konkret um Energieprojekte geht, als Energiekolonialismus bezeichnet. Die beiden Begriffe umschreiben die Art und Weise, wie der Globale Süden weiterhin den Interessen und Bedürfnissen des Globalen Nordens untergeordnet wird, wobei ökologische Ziele oft als Rechtfertigung dienen. Investor*innen und Unternehmen aus Ländern des Globalen Nordens, die auch bislang vom kapitalistischen, kolonialen und extraktivistischen Wirtschaftsmodell profitierten, verlagern ihre Tätigkeiten im Rahmen der Energiewende oft auf „grünere“ Investitionszweige – mehr Schein als Sein, weshalb dafür auch der Begriff des Greenwashing genutzt wird.

Gleichzeitig werden die negativen Folgen der bisherigen und weiterhin bestehenden Ausbeutung von Mensch und Natur wiederum in die ausgebeuteten Länder verlagert. Produktions- und Konsumverhältnisse sowie Profiteur*innen bleiben somit gleich, nur die Energieform ändert sich – eine koloniale Kontinuität der Ausbeutung.

// Johanna Fuchs


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