Boden unter die Füße
Guatemala-Solidaritätsbewegung vor neuen Aufgaben
Die Guatemala-Solidaritätsbewegung war innerhalb des Mittelamerika-Spektrums immer die kleine Schwester, hatte das Land doch in der deutschen internationalistischen Linken nie ähnliche Konjunkturen wie etwa Nicaragua oder El Salvador. Nach wie vor gibt es eine kleine, aber aktive Szene: Eine Gruppe erarbeitet den wöchentlichen Guatemala-Infodienst fijate!, die Projektgruppe CAREA entsendet Freiwillige nach Guatemala, die die vom Krieg entwurzelte Bevölkerung begleiten, in verschiedenen Städten gibt es Guatemala-Solidaritätskomitees “klassischen Musters”. Daneben arbeitet in unterschiedlicher Art und Weise eine beträchtliche Zahl von einzelnen AktivistInnen und anderen Gruppen. Zudem ist die Infostelle Guatemala in Bonn mit derzeit zwei Hauptamtlichen eine zentrale Anlauf- und Koordinierungsstelle.
Wie weiter?
Mit dem Friedensschluß in Guatemala stand diese Szene vor der Frage des “Wie weiter?”. Daß die Solidaritätsarbeit auch in Zukunft wichtig bleibt, war und ist für alle AktivistInnen klar. Es stellte sich aber die Frage nach dem Selbstverständnis und der politischen Ausrichtung der Soliarbeit. Denn in Zeiten der Globalisierung ist das Konzept der “Nationalen Befreiung” obsolet geworden, weltweite Lösungen sind gefragt. Gleichzeitig verschärfen sich die sozialen und politischen Probleme in Deutschland, so daß der Blick nach Guatemala fast als politischer Luxus erscheint. Dagegen stehen die politischen und persönlichen Bezüge, die die Einzelnen zu dem mittelamerikanischen Land haben, sowie die Einsicht, daß es fatal wäre, über das Engagement vor der eigenen Haustür die internationalen Zusammenhänge und die internationalistische Perspektive zu verlieren. Ähnlich wie andere Soligruppen machte sich daher auch die Guatemala-Szene auf, ersteinmal die eigene Geschichte zu verarbeiten, um
daraus neue Ansätze zu entwikkeln.
Soliarbeit in Kriegszeiten
In den letzten Jahren stand die Guatemala-Soliarbeit unter den Vorzeichen des Krieges und massiver Menschenrechtsverletzungen, denen die Bevölkerung ausgesetzt war (und ist). Soziale Ungerechtigkeit und fehlende politische Handlungsspielräume in Guatemala machten internationalen Druck notwendig und durch die Kriegssituation in der deutschen Öffentlichkeit vermittelbar. Die bundesdeutsche Entwicklungshilfe war als Unterstützung des guatemaltekischen Machtapparates schnell entlarvt. Kampagnen gegen die Polizeihilfe des Innenministeriums Ende der 80er Jahre oder den Bau der Petén-Straße im Rahmen der Aufstandsbekämpfung, der vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit unterstützt wurde, konnten erfolgreich durchgeführt werden.
Auf der Gegenseite zu den Unterdrückern stand neben den Volksorganisationen die Guerilla, die über lange Zeit diejenige Akteurin in der guatemaltekischen Politik war, die ein alternatives nationales politisches Projekt formulierte, bzw. mit einem solchen identifiziert wurde. Über Jahre bot sie sowohl für die innerguatemaltekische Opposition als auch für die deutsche Solidaritätsbewegung eine wichtige politische Orientierung, obwohl sie nie eine so zentrale Bedeutung hatte wie lange Jahre die FMLN für die El Salvador- oder die FSLN für die Nicaragua-Solibewegung.
Auch wenn die deutschen SoliaktivistInnen in Guatemala schon lange den Ruf genießen, kritisch zu sein, so hielt sich das Politikmuster doch im Schema des “Gut-Böse”: Hier die guten Guerilleras, Campesinos und Opfer der Menschenrechtsverletzungen, dort die bösen Militärs und Großgrundbesitzer, unterstützt von der deutschen Regierung. Dieses Muster, das über lange Jahre seine Berechtigung hatte, bekam allerdings Risse: Die URNG verlor im Friedensprozeß die ein oder andere (politische) Sympathie, Konflikte innerhalb der guatemaltekischen Opposition machen eine eigene Positionierung notwendig. Gleichzeitig änderte sich der Regierungsdiskurs, seitdem sich die neoliberale Politik auch in der guatemaltekischen Machtelite durchgesetzt hat: Ein Präsident, der anscheinend gegen Militärs zu Felde zieht, sorgte in Guatemala – und in der hiesigen Solibewegung – erst einmal für Irritationen. Protestaktionen hier konnten nicht mehr unter dem Leitspruch des Anprangerns der offenen oder verkappten Militärdiktatur laufen.
Orientierung im neoliberalen Dschungel
Mit der neoliberalen Regierungspolitik kommt das Land aber vom Regen in die Traufe. Die guatemaltekische Menschenrechtlerin Lucia Quilá brachte es während eines Deutschland-Besuches Ende 1995 auf den Punkt: “Früher erschossen sie uns, heute hungern sie uns aus.” Dieser Satz gilt nach wie vor. Die neoliberale Politik, unter der allerdings noch althergebrachte Machtstrukturen fortbestehen, provoziert ein explosives Konfliktpotential im Land, das durch den Friedensschluß nicht gemildert wird.
Diskussion vor Ort
Innerhalb dieser Konstellation machte sich im Februar diesen Jahres eine Delegation der Guatemala-Solidaritätsbewegung auf die Reise, um mit Basisorganisationen vor Ort über die zukünftige Soliarbeit zu diskutieren. Es war klar, daß die Arbeit weiterhin der Vielfalt der in Guatemala anstehenden Probleme und den verschiedenen Volksorganisationen gerecht werden soll. Um aber nicht die Orientierung zu verlieren, hatte die Gruppe die Landfrage – einen der auslösenden Faktoren des Krieges – in den Mittelpunkt der Reise gestellt.
Während der Reise kam ein Teil der Gruppe nach El Tablero. Diese kleine Gemeinde liegt weit entfernt von der großen Küstenstraße der Südküste. Ein Finquero nutzte die Vertreibung der Bevölkerung in der Repressionszeit Anfang der 80er Jahre dazu, um deren Land seinem Großgrundbesitz einzuverleiben. Die 60 Familien lebten als Flüchtlinge im Gebirge. Vor einigen Jahren entschieden sie sich, nicht wie viele andere in die Hauptstadt zu gehen, um dort in einer Maquila oder im informellen Sektor ein Auskommen zu suchen. So begannen sie mit dem Kampf um die Rückeroberung ihres Landes. Ihnen gegenüber stand (und steht) ein ladinischer Großgrundbesitzer, der mit seinem Rassismus, seinem Reichtum und seiner Machtfülle den Rückhalt des guatemaltekischen Machtapparates genießt. In den folgenden Auseinandersetzungen haben die Menschen sich verändert: Nicht mehr geduckt stehen sie da, sondern treten selbstbewußt den staatlichen Autoritäten und dem Finquero gegenüber und fordern ihre Rechte ein.
Gruppen wie die von El Tablero gibt es viele in Guatemala. Sie haben keine großangelegten politischen Konzepte, sondern wollen vor Ort ihre Lebensverhältnisse verbessern. Sicherlich wäre es nun eine hoffnungslose Überfrachtung von Situationen wie der in El Tablero, hierin einen großartigen Kampf der Campesinas/os gegen den allgegenwärtigen Neoliberalismus sehen zu wollen. Worum es ihnen geht, ist ein selbstbestimmtes Leben, eine ökonomische Lebensgrundlage und politische Beteiligung. Vernetzt in landesweiten Organisationen versuchen sie, Druck von unten aufzubauen, um ihre unmittelbaren Interessen und Forderungen in die nationale Politik einzubringen und durchzusetzen.
Konkrete Schritte
“Boden unter die Füße” – Unter diesem Motto steht ein Seminar, auf dem die Delegationsgruppe Mitte Juni in Freiburg ihre Erfahrungen und Erkenntnisse mit allen Interessierten diskutieren möchte. Einig war sich die Gruppe aber bereits in Guatemala darüber, daß der Landkampf ein wichtiges Thema der zukünftigen Soliarbeit darstellen wird. Dieser soll aber nicht isoliert, sondern in seinem nationalen und internationalen Kontext betrachtet werden.
Diskussion daheim
Szenenwechsel – Wuppertal, im Dezember 1996: Solibewegte, die zu El Salvador, Nicaragua und Guatemala arbeiten, kommen zusammen, um sich über die Landfrage in “ihren” Ländern auszutauschen und Möglichkeiten einer gemeinsamen Solidaritätsarbeit zu diskutieren. Schnell ist klar – was nicht gerade verwunderlich ist: Die grundlegenden Probleme in den drei Ländern ähneln sich, auch wenn sie verschiedene Erscheinungsformen annehmen: Strukturanpassungsprogramme richten die Länder und deren Bevölkerung auf den modernen Kapitalismus zu, die ländliche Bevölkerung soll dazu verurteilt werden, für den Weltmarkt zu produzieren und still zu sein. Campesina/o-Gruppen kämpfen um Land oder die Absicherung ihres Landbesitzes, der von Großgrundbesitzern, staatlichen Institutionen oder durch angehäufte Schulden bedroht ist. In Wuppertal wird der Vorschlag gemacht, daß die Infostelle El Salvador, das Infobüro Nicaragua und die Infostelle Guatemala eine Form entwickeln, mit der gemeinsam die Landlosen und Kleinbäuerinnen/bauern in den drei Ländern unterstützt werden. Konkretes Ergebnis ist der Rechtshilfefonds, der in dieser Ausgabe der Lateinamerika Nachrichten auf Seite 39 erstmals vorgestellt wird. Mit diesem Fonds soll natürlich Geld gesammelt werden. Gleichzeitig soll er aber auch zum Anlaß genommen werden, gemeinsam die Probleme in Mittelamerika in die hiesige Öffentlichkeit zu tragen und zur Solidarität mit den dortigen Basisgruppen aufzurufen.
Ha, da haben wir es wieder, das alte Gut-Böse-Schema, hier die gute Campesina – dort der böse Finquero. Ganz von der Hand zu weisen ist dieser Einwand nicht. Vorsicht vor einer Romantisierung einer Situation wie der in El Tablero oder vor dem Projizieren eigener Utopien auf die “armen Campesinos” ist geboten. Doch: Eine Hinterfragung alter Schemata sollte nicht bedeuten, Macht- und Ausbeutungsstrukturen nicht mehr wahrzunehmen und sich selbst auf die “richtige” Seite zu stellen.