Bolivien | Nummer 327/328 - Sept./Okt. 2001

Boliviens neuer Präsident heißt „Tuto“

Der krebskranke Banzer überlässt vorzeitig seinem Vize das Amt

Bolivien blickt auf einen ereignisreichen Monat August zurück. Der überraschende Rücktritt von Präsident Banzer, fast zeitgleich mit dem 30. Jahrestag des Putsches des Oberst Banzer 1971,die Amtsübernahme des jungen Vizepräsidenten Jorge „Tuto“ Quiroga und dessen schnelle Einigung mit dem Führer der Landgewerkschaften, Felipe Quispe, sowie der Tod des legendären Minen-Gewerkschaftsführers Juan Lechín sind Ereignisse, die auf überraschende Weise Vergangenheit und Zukunft des Landes in den Geschehnissen der Tagespolitik spiegeln.

Marc Zackel

Es geht ein Aufatmen durch das ganze Land. Abgesehen von den engsten Banzer-Anhängern hatte die gesamte Bevölkerung mittlerweile genug von vier Jahren desgobierno, dem Nicht-Regieren der amtierenden Koalition.
Lediglich zwei Plakate, die anfang August in La Paz an den Hauswänden auftauchten, sind Ausdruck von zwei extrem entgegengesetzten Sichtweisen auf den ehemaligen Militärdiktator und Staatspräsidenten Banzer: „Mein General – das Vaterland grüßt dich mit Liebe“, heißt es da einerseits. „General: Wir Toten und Verschwundenen deiner Regierung erwarten dich“ wird dem geantwortet. Gemeinsam ist beiden jedoch die Verankerung in den 70er Jahren und die Tatsache, dass es sich jeweils um Meinungsäußerungen einer Minderheit handelt.

Banzer ein Demokrat?

Die große Mehrheit der BolivianerInnen sieht in Hugo Banzer weniger den Diktator der 70er Jahre, als vielmehr den demokratisch gewählten Präsidenten, der in seinem Amt weitgehend versagt hat.
Zurückzuführen ist dieses Versagen im Wesentlichen auf einen „Irrtum“ Banzers: nach seinem langersehnten Wahlsieg von 1997 hat er etwas verwechselt, nämlich den Tags des Amtsantritts mit dem Ende der Regierungsperiode. Mit der Schärpe des demokratisch gewählten Präsidenten geschmückt war der Ex-General Hugo Banzer am Ziel seiner Träume angelangt, wähnte er den Makel des Diktators ein für alle Mal getilgt. Danach gab es für ihn nichts sagt hat.
Zurückzuführen ist dieses Versagen im Wesentlichen auf einen „Irrtum“ Banzers: nach seinem langersehnten Wahlsieg von 1997 hat er etwas verwechselt, nämlich den Tags des Amtsantritts mit dem Ende der Regierungsperiode. Mit der Schärpe des demokratisch gewählten Präsidenten geschmückt war der Ex-General Hugo Banzer am Ziel seiner Träume angelangt, wähnte er den Makel des Diktators ein für alle Mal getilgt. Danach gab es für ihn nichts mehr, weder ein Regierungsprogramm noch eine politische Strategie.
Und nun, am Ende seines eigenen Lebens angelangt, geht Banzer ohne jede Reue. Keinerlei Entschuldigung für die unzähligen Opfer seiner Regierungen ist von ihm am vorzeitigen Ende der Amtszeit zu hören. Zumindest im Geiste bleibt der General das, was er war: ein Diktator. Oder, wie es der bolivianische Journalist Rafael Archondo formuliert: „Alles scheint darauf hinzudeuten, dass der größte Beitrag von Banzer für die bolivianische Demokratie darin besteht, den Regierungspalast verlassen zu haben.“
Ein kurzer Rückblick auf das 30-jährige politische Wirken von Hugo Banzer Suárez läßt jedoch auch eine andere Interpretation zu: Nach Ende seiner Militärdiktatur von 1971-78 gründete Banzer die ADN (Nationalistische Demokratische Aktion) und baute sie zu einer starken Mitte-Rechts-Partei auf, die sich seither an die Spielregeln der parlamentarischen Demokratie hält und eine wichtige Rolle im politischen Kräftespiel einnimmt.
Bereits in den Wahlen von 1985, nur drei Jahre nach dem Ende der blutigen Militärdiktatur von García Meza, landete Banzers ADN auf dem zweiten Platz und bildete mit dem Wahlsieger und Präsidenten Victor Paz Estenssoro die Regierungskoalition. In den Wahlen von 1989 belegte Banzer ebenfalls Platz zwei und machte den Drittplatzierten Jaime Paz Zamora zum Präsidenten. Auch wenn Banzer weniger Demokrat aus innerer Überzeugung, denn aus Einsicht in den Gang der Geschichte war und ist, so war er in den letzten 20 Jahren unbestreitbar ein Garant für den Erhalt der demokratischen Institutionen.

Der Neue: Jorge „Tuto“ Quiroga

Seit dem 6. August hat Bolivien einen neuen Präsidenten: Jorge „Tuto“ Quiroga. Der bisherige Vizepräsident Quiroga tritt mit einem neuen, modernen Diskurs dynamisch aus dem Schatten von Banzer. Etwas schmunzeln ließen zunächst die Versatzstücke von Kennedy-Reden in seiner Regierungserklärung, doch mittlerweile zweifelt niemand mehr daran, dass es der 41-jährige Ingenieur ernst meint, wenn er sagt „wir machen zwei Jahre aus einem“. Für seine Regierungsmannschaft wurde der 12-Stunden-Tag deklariert und es wird zukünftig auch samstags gearbeitet. Die wichtigsten Punkte seines gut strukturierten Regierungsprogramms sind die ökonomische Stabilisierung; im politischen Bereich faire Wahlen, Transparenz und Kampf gegen die Korruption; im Sozialen neben der Armutsbekämpfung der Dialog und die Vermeidung von Konflikten. International stehen die regionale Integration und die Ausweitung der Erdgasexporte auf dem Programm.
Die ersten Erfolge kann er bereits innerhalb der ersten 30 Tage verzeichnen: Bei einem Besuch von Enrique Iglesias, dem Chef der Interamerikanischen Entwicklungsbank, wurde Bolivien umfangreiche finanzielle Unterstützung zugesagt. Innenpolitisch hat die Amtsübernahme erheblich zur Entspannung der sozialen Lage im Land geführt. Mit dem radikalen Aymará-Führer und Chef des Dachverbandes der Bauerngewerkschaften, Felipe Quispe, dem „Mallku“, konnte die neue Regierung in kürzester Zeit einig werden. Noch im August wurde in einer feierlichen Zeremonie im Altiplano-Städtchen Pucarani von mehreren Ministern ein entsprechendes Abkommen unterzeichnet.

Verjüngungskur

Das neue Kabinett hat einen deutlich niedrigeren Altersdurchschnitt, verzeichnet mehr Wirtschaftler als Politiker sowie einen höheren Anteil von Parteilosen und Fachexperten. Doch sind weiterhin etliche Vertreter der alten Garde dabei, was zeigt, dass die Auseinandersetzungen innerhalb der Regierungspartei ADN um den neuen Kurs keineswegs beendet sind. Auch den Parteivorsitz hat Banzer noch nicht abgegeben. Etliche der „Dinosaurier“, wie die Polit-Clique um Banzer in der Presse mittlerweile genannt wird, wurden auf Botschafterposten weggelobt und damit politisch neutralisiert. Sicherlich ein kluges Vorgehen, auch wenn es verschiedentlich auf Kritik stößt: So wird zum Beispiel der ehemalige Informationsminister Manfredo Kempff von der ADN Botschafter in Madrid – zu Beginn der 80er Jahre hatte er dort bereits dem Diktator García Meza gedient.
Trotz des frischen Windes, den „Tuto“ mitbringt, bleibt die Frage: Wird der neue Präsident die Kraft haben, seinen politischen Modernisierungskurs gegenüber den Vertretern der alten Garde, auch insbesondere innerhalb seiner eigenen Partei, durchzusetzen? Ein Jahr ist dafür wenig Zeit.

KASTEN:
Das Sterben der alten Männer

Nur wenige Monate nach dem Tod von Victor Paz Estenssoro (s. LN 325/326) verstarb am 27. August mit dem 87-jährigen Gewerkschaftsführer Juan Lechín Oquendo ein weiterer Protagonist der nationalen Revolution von 1952.
Etwa vierzig Jahre lang war Juan Lechín die zentrale Figur der bolivianischen Arbeiterbewegung. Die von ihm gegründete Minen-Gewerkschaft hatte maßgeblichen Anteil an der Verstaatlichung der bolivianischen Zinn-Minen, die vom damaligen Kampfgefährten Paz Estenssoro 1952 verfügt wurde. In dem anschließend von Juan Lechín gegründeten und ebenfalls geführten Gewerkschafts-Dachverband COB (Central Obrera Boliviana) war die Vorherrschaft „seiner“ mineros per Statut festgeschrieben.
Doch Lechín, der „Caudillo der Arbeiterklasse“, war mehr als ein Gewerkschaftsführer. Denn auch als Senator, Botschafter, Vize-Präsident und Führer einer kleinen Linkspartei (PRIN – Revolutionäre Partei der nationalistischen Linken) war er stets der Arbeiterklasse verpflichtet. Dabei war sein politisches Handeln verschiedentlich widersprüchlich. War Lechín einerseits Symbol des Arbeiterwiderstands in den Jahren der Diktatur, so verweigerte er sowohl dem linken General Juan José Torres als auch der linken Volksfrontregierung UDP Anfang der 80er Jahre seine Unterstützung. Als wenige Jahre nach der Einführung des neoliberalen Wirtschaftsmodells und der Privatisierung der Minen 1985 – durch eben jenen Victor Paz Estenssoro, der sie einst verstaatlicht hatte – die COB sich in den Schatten ihres einstigen Selbst verwandelt hatte, zog sich Juan Lechín zurück. Während des Wahlkampfs 1997 meldete er sich dann überraschend mit einem Wahlaufruf für Ex-General Banzers rechte ADN in der Öffentlichkeit zurück: jener hatte versprochen, die Privatisierungspolitik seines Vorgängers Sánchez de Lozada rückgängig zu machen. Ein Versprechen, das Banzer später nie einlöste. Doch immerhin scheint diese Unterstützungsgeste für den ehemaligen Militärdiktator und Gewerkschaftsgegner dankbar aufgenommen worden zu sein: Noch im vorigen Jahr wurde Juan Lechín von Präsident Banzer persönlich mit der höchsten bolivianischen Auszeichnung, dem „Kondor der Anden“, geehrt.
Marc Zackel

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