Kuba | Nummer 441 - März 2011

Boom der Stadtgärten

Gemüseproduktion gegen die Mangelwirtschaft auf Kuba

Einkaufen quasi um die Ecke, zu niedrigen Preisen und garantiert ökologisch – die zahlreichen kleinen Plantagen in Kubas Städten machen es mittlerweile möglich. Doch bevor es zu der von der Regierung mit ihren Reformen beabsichtigten signifikanten Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion kommt, sind noch einige Hindernisse zu überwinden. Etwa der Nachwuchsmangel in der Landwirtschaft. Ein Beispiel aus der „Provinz“.

Ralf Ohm

Die Schlange ist keineswegs lang, für kubanische Verhältnisse eher ungewöhnlich kurz. Sechs Personen warten vor einem schlichten Verkaufsstand eines huerto intensivo (Gemüsegartens) darauf, bedient zu werden. Ohne Eile, stattdessen in angeregte Gespräche verwickelt. Lange anstehen müssen sie nicht. Elraida Gaitán Placeres, eine drahtige Frau, legt drei kleine Bündel Salat auf den Tisch, die sie gerade erst fünf Meter weiter links auf einem der vielen Beete der zwei Hektar großen landwirtschaftlichen Nutzfläche geerntet hat. „Macht sechs Peso“, sagt sie. Die Kundin gibt ihr zehn, nimmt noch etwas Knoblauch und einige grüne Tomaten dazu. Ebenfalls frisch geerntet, womit ein Weg vom Produzenten zum Verbraucher garantiert ist, der kürzer kaum sein könnte.
Es ist Salatzeit, der etwa vor etwa 40 Tagen wurde gesät wurde. Weiterhin gibt es Zwiebeln und Gurken. Im Februar können die EinwohnerInnen dann mit roten Tomaten, (grünen) Bohnen, Rettich, Rote Beete und Möhren rechnen. Etwas später mit Spinat und Kürbis. Insgesamt sind im Jahr sechs Fruchtfolgen vorgesehen, die das Angebot bestimmen. Sonnenblumen, stark von Gläubigen nachgefragt, gibt es das ganze Jahr, ebenso Kräuter, Knoblauch, und Paprika, deren Sträucher alle zehn Monate ersetzt werden müssen.
Ein Angebot, das die EinwohnerInnen von Nuevo Condado, einem Stadtteil im Süden von Santa Clara, der drittgrößten Stadt Kubas, gerne annehmen. Einkaufen quasi um die Ecke und das zu niedrigen Preisen, diese Möglichkeit besteht für sie seit April 2009. Die Idee zu einer kleinen Plantage mitten im Viertel entstand Anfang 2009 aus der dringenden Notwendigkeit einer besseren Versorgung der dortigen Bevölkerung mit Obst und Gemüse heraus. Insbesondere angesichts der verheerenden Folgen, die drei aufeinander folgende Zyklone im Jahr 2008 auf ganz Kuba hinterlassen hatten.
Die Eheleute Elraida Gaitan Placeres und Denio Roja Muro – Bauern, die seit über 40 Jahren in Nuevo Condado leben und beide mittlerweile in Rente sind – erklärten sich bereit, ein Terrain von zwei Hektar im südlichen Teil des Viertels zu kultivieren. „Auch“, so Elraida, „weil es sonst keiner machen wollte“, und beide darüber hinaus an harte Arbeit auf dem Land gewöhnt sind. Sie als ehemalige Arbeiterin in einer Tabakkooperative und er als langjähriger Viehhirte.
Hilfreiche PartnerInnen waren und sind zum einen die granja urbana (städtische Farm), eine staatliche Einrichtung, die in Kuba Gärten dieser Art verwaltet. Konkret bedeutet das, dass sie entsprechenden Personen das Recht verleiht, auf eigene Rechnung für einen bestimmten Zeitraum Staatsland landwirtschaftlich zu bearbeiten. Sie half zu Beginn des Projekts mit Werkzeugen und Materialien etwa für Zäune und zahlte die ersten vier Monate ein bescheidenes Gehalt an die BetreiberInnen. Zum andern leistete die ACTAF (Kubanische Vereinigung von Agrar- und Forstexperten), eine Nichtregierungsorganisation, die auch eigene Gärten betreibt und ansonsten die verschiedenen staatlichen Programme zur Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktion anschieben soll, technische Hilfe.
Sie erstellte im September 2009, fünf Monate nach Beginn des Projekts, eine schonungslose Bestandsanalyse unter Hinweis auf zahlreiche Probleme hinsichtlich des Gartens und speziell seiner Beete. Ebenso verbesserungsbedürftig: die Düngung und Bewässerung der angebauten Pflanzen sowie deren Schutz vor Plagen. Trotzdem war es nicht die Absicht der ACTAF, die ArbeiterInnen des Gartens zu kritisieren. „Wir wollen dabei helfen, dass dieses Projekt im Sinne eines nachhaltigen Wachstums verwirklicht wird. Dazu bieten wir unsere Kenntnisse, Erfahrungen und konkrete Lösungen für die vorhandenen Probleme an“, erklärt Grisell Díaz Martínez, Präsidentin der ACTAF in der Provinz Villa Clara. Dazu gehören beispielsweise die vorgeschlagenen Maßnahmen zu einer effektiveren Arbeitsorganisation und zur allgemeinen Verbesserung des Zustands der kleinen Plantage.
Für Elraida durchaus eine „nützliche Orientierung bei der Aufbauarbeit“, wobei die 67-Jährige allerdings zu bedenken gibt, dass sie zum Erreichen des angestrebten Ziels, nämlich die gesamten zwei Hektar zu kultivieren, Zeit brauchen. Und bis dahin gelte es, „sich auf das Wichtigste zu konzentrieren“. Ein „großer moralischer Antrieb“ war für sie und ihren Mann die Spende von „Cubanicay“, einer Nichtregierungsorganisation aus Kassel, die über zahlreiche Projekte seit Beginn der 1990er Jahre Kontakt zum Stadtteil hält. Ausdruck ihrer Dankbarkeit ist ein Schild am Eingang des huerto oberhalb der Verkaufstheke („Huerto Condado Amistad Kassel“) – eine der ersten Investitionen der beiden. Der angestrebte Erwerb von Arbeitskleidung und Werkzeugen wie Harken, Schaufeln, Macheten, Rechen, Zangen, Beilen, Sägen wurde erstaunlich schnell und ohne die gewohnten bürokratischen Probleme in Devisen über die ACTAF abgewickelt.
Trotzdem sind von den zur Verfügung gestellten konvertiblen 2.400 CUC (1,20 CUC entspricht einem Euro und 25 kubanischen Peso) immer noch 1.500 übrig, auch weil es nicht gelang, eine Turbine für die Bewässerung des gesamten Terrains zu beschaffen. Die aktuelle wird mit häufig knappem Öl angetrieben und reicht höchstens für ein Drittel des kultivierten Bodens. Eine Lösung könnte laut Elraida und Denio ein noch zu installierender Wassertank sein, der über eine kleinere elektrische Turbine mit Wasser aus dem Brunnen gefüllt wird und von dem aus über Schläuche und Fontänen die Pflanzen, Sträucher und Bäume je nach Bedarf bewässert werden. Ein Problem, das zwischen den Bauern und Bäuerinnen sowie den TechnikerInnen von ACTAF kontrovers diskutiert wird, weil diese auf eine Turbine mit ausreichender Kapazität für die gesamten zwei Hektar drängen.
Trotz dieser Anfangsschwierigkeiten konnte in den ersten vier Monaten nach dem Beginn des Projekts die Produktion mehr als versiebenfacht werden. Sie stieg von 283 auf 2.126 Kilogramm pro Monat. Der nötige Dünger wird noch von der ACTAF geliefert, doch die eigene Kompostierung hat bereits begonnen. Dazu trägt auch der Dung der Pferde der weit verbreiteten carretones bei, der von den Kutschern täglich abgeliefert wird.
Bislang wurde von Elraida und Denio knapp die Hälfte des Terrains landwirtschaftlich erschlossen. Ziel ist die Bewirtschaftung der gesamten zwei Hektar, wobei sie schon den Anbau von Guave-, Mango- und Avocadobäumen ins Auge gefasst haben. Der Steigerung von Produktivität und Ertrag steht das Fehlen weiterer Arbeitskräfte gegenüber. Es ist wie im gesamten Land auch in Nuevo Condado schwer, Leute für diesen harten Job zu finden. „Das Land ist für die Vögel“, gibt Elraida die weit verbreitete Antwort auf ihr Werben wieder. Trotzdem stehen sie und ihr Mann derzeit mit einer dritten Person in Verhandlungen, die sogar einen Ochsen mit einbringen würde, womit das Problem des Pflügens mit einem Schlag gelöst wäre.
Unabhängig davon ist und bleibt Denio laut des Vertrages, den er mit der granja urbana abgeschlossen hat, für fünf Jahre Besitzer der zwei Hektar Staatsland. Und ist damit für das gesamte Terrain, Maschinen, Werkzeuge, Produktion und den Verkauf verantwortlich. Kontrolliert wird er durch die Räte auf Gemeindeebene, die consejos populares, der granja urbana und der Kleinbauernorganisation ANAP, deren Mitglied er ist. Mit der Landvergabe strebt die Regierung eine Steigerung der seit längerer Zeit unbefriedigenden landwirtschaftlichen Produktion an, um mittelfristig eine Selbstversorgung der Provinzen und Gemeinden zu erreichen und knappe Devisen einzusparen. Derzeit muss weit über eine Milliarde US-Dollar für Nahrungsmittelimporte aufgewandt werden. Mehr Wettbewerb, mehr Produktion, niedrigere Preise lautet inzwischen die marktwirtschaftlich anmutende Parole im sozialistischen Kuba. Als Eigentümer oder gar als Unternehmer fühlt sich der 71-Jährige aber keineswegs. Eher auf Mission für die Revolution. „Ich gehe dahin, wo man mich braucht“, sagt er angesichts der angespannten Versorgungslage und den in den letzten Jahren steigenden Preisen für fast alle landwirtschaftlichen Produkte. Materiell lohnend ist diese Mission für ihn und seine Frau noch nicht. Da sich die Preise für ihre Produkte an den vom Staat subventionierten Märkten orientieren, sind sie entsprechend niedrig. Erschwinglich eben für die eher arme Bevölkerung von Nuevo Condado. Steigende Einnahmen sind also nur über eine steigende Produktion möglich. Verkauft wird, wann es die Leute wollen. Die VerbraucherInnen haben auch keine Scheu davor, beim Haus der beiden, was circa einen Kilometer vom Garten entfernt ist, anzuklopfen und nach Gemüse zu fragen.
So kommen Denio und Elraida derzeit auf ein monatliches Einkommen von jeweils 200 Peso, was ohne ihre Rente (Denio 270 Peso und Elraida 242 Peso) nie reichen würde. Denn davon müssen sie auch noch Steuern (30 Peso pro bearbeiteten und 75 Peso für brachliegenden Hektar Boden) und Sozialversicherung (60 Peso an die granja urbana) zahlen. Die beiden überzeugten KommunistInnen tragen es mit Fassung, denn materielle Gelüste sind ihnen fremd. Statt reich zu werden – für viele der neuen, privatwirtschaftlich produzierenden LandwirtInnen in Kuba durchaus ein Ansporn – hoffen sie darauf, mit ihrem nimmermüden Einsatz ein Projekt zum Wohl der Gemeinde anstoßen zu können. Um es sobald wie möglich in jüngere Hände zu legen. Auch wenn die noch nicht in Sicht sind.

KASTEN:

Städtische Landwirtschaft auf Kuba

Organopónicos und huertos intensivos sind zwei ähnliche Organisationsformen der städtischen Landwirtschaft auf Kuba. Organopónicos werden auf unproduktiven, vorzugsweise ebenen Flächen angelegt, in räumlicher Nähe zu den AbnehmerInnen, um Transporte zu vermeiden. Es handelt sich um Hochbeete, die mit verschiedenen Materialien eingefasst und mit einem Substrat aufgefüllt werden, das aus einer Mischung aus organischer Substanz, Erde und anderen Materialien hergestellt wird.
Die huertos intensivos sind Gemüsegärten, die auf freiem Feld errichtet werden. Voraussetzung sind fruchtbare Böden, die Ent- beziehungsweise Bewässerung sowie eine gute Belüftung ermöglichen. Die Beete werden im vorhandenen Boden ohne Einfassungen angelegt und mit organischem Material angereichert. Die privaten ProduzentInnen dieser organopónicos und huertos intensivos sind in der „granja urbana“ zusammengeschlossen. An diese städtische Farm müssen sie beispielsweise ihre Sozialversicherung bezahlen. Weiterhin wird versucht, die städtische Landwirtschaft im Rahmen der angestrebten Selbstversorgung der Gemeinden in Hausgarten und auf kleinen, privaten hausnahen Grundstücken zu fördern. Allen Organisationsformen gemein ist die nachhaltige, ökologische Produktion von Lebensmitteln, das heißt unter anderem die Verwendung von organischem und Wurmkompost sowie ein integrierter Pflanzenschutz (Einsatz von Barriere- und schädlingsbekämpfenden Pflanzen statt chemischen Substanzen). In Santa Clara, einer Stadt im geografischen Zentrums Kubas mit 201.087 EinwohnerInnen und einer Fläche von 40,6 Quardratkilometern, gibt es 85 organopónicos und 72 huertos intensivos; im Bezirk Condado Sur (20.610 EinwohnerInnen) hingegen vier organopónicos und vier huertos intensivos (ohne den Huerto Condado Amistad Kassel).

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