Dossier | Dossier 22 - Letzte Ausfahrt Belém?

Brasiliens Führungsanspruch

Zwischen Amazonas, Erdöl und Gegenwind aus den USA

Für die Regierung von Luiz Inácio Lula da Silva ist die COP30 eine Gelegenheit, sich als Stimme des Globalen Südens und als Verteidigerin des Amazonas international zu profilieren. Die offizielle Linie verspricht eine „inklusive COP“, die die Belange der Amazonasregion und ihrer Bevölkerungen ins Zentrum stellt. Doch zwischen ambitionierten Ankündigungen, internen Widersprüchen und einer veränderten geopolitischen Lage – allen voran einem klimapolitischen Blockadekurs der USA – steht Brasilien vor einer doppelten Bewährungsprobe.

Luiz Ramalho
Zur COP30 Viele Menschen, auch aus dem Amazonasgebiet, wehren sich gegen die exklusive Klimakonferenz (Foto: Neil Palmer/CIAT (CC BY-NC-ND 2.0))

In den ersten beiden Regierungsjahren Lulas hat Brasilien sichtbare Fortschritte vorzuweisen: Die Abholzung im Amazonasgebiet ging 2023 deutlich zurück, internationale Finanzierungen wie der von Norwegen und Deutschland gespeiste Amazonien-Fonds wurden reaktiviert, auch die USA leisteten wieder Beiträge. Umweltministerin Marina Silva wirbt für eine internationale Roadmap zur geplanten und gerechten Abkehr von fossilen Energien.
Gleichzeitig aber sendet die Regierung widersprüchliche Signale. Das staatlich dominierte Ölunternehmen Petrobras drängt auf die Erschließung neuer Offshore-Ölfelder vor der Mündung des Amazonas („Equatorial Margin“). Die Umweltbehörde IBAMA hatte 2023 eine erste Lizenz abgelehnt, die Debatte ist jedoch nicht beendet. Im Parlament versucht die mächtige Agrarfraktion zudem, Umweltgenehmigungen zu lockern. Lula hat einzelne Gesetzesänderungen per Veto gestoppt, die Auseinandersetzung bleibt aber offen.


Dieser Spagat zwischen dem Anspruch, Klimavorreiter zu sein, und der fortgesetzten Abhängigkeit von fossilen Exporten ist der zentrale Glaubwürdigkeitstest für Brasilien in Belém. Hinzu kommt, dass der Anspruch einer „inklusiven COP“ sich an den Partizipationsräumen der Zivilgesellschaft, der Indigenen und der sozialen Bewegungen messen lassen muss und nicht zuletzt an der Ermöglichung der repräsentativen Teilnahme auch kleinerer Länder des Südens.

USA auf Klimarückzug

Für die internationalen Verhandlungen kommt erschwerend hinzu, dass die Vereinigten Staaten 2025 erneut den Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen eingeleitet haben. Parallel dazu arbeitet die US-Regierung daran, zentrale klimapolitische Grundpfeiler zurückzunehmen: Die Entscheidung „Endangerment Finding“ der Umweltbehörde EPA, die Treibhausgase als Gefahr für die öffentliche Gesundheit einstuft, soll gekippt werden. Geplante CO23-Standards für Fahrzeuge werden ausgesetzt, Programme wie „Solar for All“ (7 Mrd. US-Dollar) gestrichen. Auf Regierungswebseiten verschwinden wissenschaftliche Klimainformationen oder werden abgeschwächt.
Die Folgen für die COP30 sind gravierend: Ohne die USA als konstruktiven Akteur sinkt der Druck auf andere große Emittenten, die Zusagen zur Emissionsminderung zu verschärfen. Auch die ohnehin umstrittene Klimafinanzierung für ärmere Staaten könnte weiter ins Stocken geraten. Das verschiebt die diplomatische Verantwortung stärker auf die EU, auf Schwellenländerkoalitionen und auf das Gastgeberland Brasilien.

Rechte Klimaskepsis als transnationales Phänomen

Erschwerend wirkt die ideologische Allianz rechter und rechtsextremer Kräfte in Nord- und Südamerika, die Klimawissenschaft in Zweifel ziehen oder die Dringlichkeit politischer Maßnahmen bestreiten. In Brasilien hat der Bolsonarismus über Jahre ein Narrativ etabliert, das Klimaschutz als Bedrohung für die nationale Souveränität darstellt. Auch in Argentinien vertritt Präsident Javier Milei ähnliche Positionen. Und in den USA bilden solche Sichtweisen das ideologische Fundament für regulatorische Rückschritte.
Diese Strömungen beeinflussen nicht nur den politischen Diskurs, sondern auch die Verhandlungsspielräume auf multilateraler Ebene, etwa wenn einzelne Länder Koalitionen gegen ehrgeizige Klimaziele bilden.

Chancen und Risiken für Brasilien

Trotz dieser widrigen Umstände hat Brasilien die Möglichkeit, in Belém eigene Akzente zu setzen: Die Glaubwürdigkeit im Amazonas-Schutz zu sichern, etwa durch konsequente Feuerprävention und Stärkung Indigener Schutzgebiete; klare Leitplanken für fossile Projekte zu formulieren, um zu zeigen, dass Öl- und Gasinteressen nicht Vorrang vor Klimazielen haben; Koalitionen jenseits der USA zu stärken, etwa durch Zusammenarbeit mit der EU, mit Amazonasanrainerstaaten und mit afrikanischen Partnerländern, um ein gemeinsames „Just Transition“-Narrativ zu entwickeln und Finanzierungsinitiativen auszubauen, etwa durch Aufstockung des Amazonien-Fonds und die Schaffung neuer Instrumente und Finanzierungsquellen für Waldschutz.


Die COP30 wird zu einer Bewährungsprobe für Brasiliens Anspruch, globaler Taktgeber beim Klimaschutz zu sein. Die innenpolitischen Widersprüche, die Abwesenheit konstruktiver US-Beteiligung und der Gegenwind von Klimaleugnern setzen enge Grenzen. Umso mehr wird es darauf ankommen, dass Brasilien seine Gastgeberrolle nutzt, um eine glaubwürdige, ambitionierte Agenda voranzutreiben – und dabei zeigt, dass Klimaschutz und eine gerechte Entwicklung im Globalen Süden kein Widerspruch sein müssen.

Luis Ramalho ist Vorsitzender des Lateinamerika Forums.


Hola!

Wenn Dir gefällt, was du hier liest, dann unterstütze unsere ehrenamtliche Redaktion doch mit einem Abo! Das gibt's schon ab 29,50 Euro im Jahr. Oder lass uns eine Spende da! Egal ob einmalig 5 Euro oder eine monatliche Dauerspende – alles hilft, die LN weiter zu erhalten, Gracias ❤️

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren