Bruchlandung in der Vergangenheit
Die Reform der Polizei in Guatemala ist gescheitert
Sergio Morales, der Ombudsmann für Menschenrechte, machte am 5. Juli 2005 einen wahrhaft explosiven Fund, als er auf Anzeige der AnwohnerInnen hin wegen eines Munitionsdepots der Polizei im Wohnviertel San Antonio in Guatemala-Stadt ermittelte. Denn neben der Munition fand seine Behörde weiteres höchst Explosives: Akten der Polizei, deren Existenz nicht nur gegenüber den Wahrheitskommissionen der Vereinten Nationen und der katholischen Kirche immer wieder abgestritten und verheimlicht worden war. Der Fund umfasst rund 80 Millionen Polizeiakten aus den Jahren 1882 bis 1996, also einschließlich der gesamten Zeit der Repression und des Bürgerkriegs (1960-1996).
Die Behörde des Menschenrechtsombudsmanns (PDH) reagierte sofort und erlangte eine richterliche Ermächtigung für Ermittlungen wegen Menschenrechtsverletzungen, die ihr umfassenden und unbefristeten Zugang zu den Akten garantiert. Der Beschluss war neuartig für Guatemala und das schnelle Handeln des Ombudsmannes visionär und entschlossen.
Die PDH bearbeitet diese Akten seither, damit sie (digital und als Akten) öffentlich zugänglich gemacht werden können Sie sollen der Beginn eines modernen Archivwesens werden und als mögliches Beweismaterial in Prozessen wegen früherer Menschenrechtsverletzungen dienen können. Außerdem sollen sie Aufschluss über Logik, Strategie, Operationsmuster und Aufgabenverteilung der Polizei seit ihrer Gründung, besonders aber im Zusammenhang mit der Repression während des Kriegs geben.
Diese Aufgabe ist immens, da die Materialien in einem unvorstellbar schlechten Zustand gefunden wurden. Zurzeit arbeiten 200 Personen in dem Archiv, ein erster Zwischenbericht wird für Juni 2007 erwartet. Das Archiv hat schon jetzt viele Informationen freigegeben und einige Hoffnungen erweckt angesichts der in Guatemala allgegenwärtigen Straffreiheit, nicht nur für Verbrechen der Vergangenheit.
Enttäuschte Hoffnungen
Mit der Unterzeichnung der Friedensverträge Ende 1996 war die Hoffnung auf die Schaffung eines neuen und demokratischen
Sicherheitssystems entstanden Zwar waren von Anfang an Zweifel geäußert worden, dass dies gelingen werde, da der Entstehungsprozess der neuen Zivilen Nationalpolizei PNC nicht nur ein „Recycling“ des alten Personals nach Absolvierung bestimmter Kurse vorsah, sondern auch ihre Ausbildung ausgerechnet durch die berüchtigte spanische Guardia Civil.
Trotz allem waren in den ersten Jahren Fortschritte zu spüren. Die offensichtliche Korruption auf der Straße verschwand und die Ermittlungsarbeit wurde nach und nach professioneller. Es entstand ein gewisses Vertrauen im Umgang mit der Polizei, der nicht mehr nur von dem Gefühl der Ohnmacht und des Augeliefertseins geprägt war.
Dies änderte sich jedoch radikal in der Regierungszeit von Präsident Alfonso Portillo (2000 bis 2004). Die Polizei wurde erneut praktisch vollständig korrumpiert, ihre Führung mehrfach ausgetauscht und die Institution damit systematisch geschwächt; Strafermittlungen wurden immer zweitrangiger. Bereits 2002 war eine Durchsetzung des Staatsapparates und damit auch der Polizei mit sogenannten „geheimen Gruppen“ offensichtlich. Ehemalige Militärs, die organisierte Kriminalität aber auch verschiedene Kapitalgruppen verbündeten sich immer dann, wenn es auf der gemeinsamen Suche nach Bereicherung um die Zerstörung des ohnehin schwachen Justizsystems ging.
MenschenrechtsaktivistInnen und der Menschenrechtsombudsmann forderten eine internationale Kommission zur Verfolgung und Säuberung der öffentlichen Verwaltung. Die Schaffung dieser Kommission wurde später von den für die Überwachung der Friedensabkommen zuständigen Vereinten Nationen und der Regierung Portillo vereinbart. Mit der Amtsübernahme des derzeit regierenden Präsidenten Oscar Berger, der sich als demokratischer Neuanfang nach Präsident Portillo präsentierte, wurde dieser Ansatz jedoch mit einem politischem Trick wieder fallengelassen. Das Verfassungsgericht, das immer wieder als Komplize der Straffreiheit bezeichnet wird, wurde angerufen und erklärte Teile des Vorschlags erwartungsgemäß für verfassungswidrig. So wurden die kriminellen Strukturen innerhalb des Staatsapparates nicht angegriffen, sondern Korruption und geheime Gruppen noch mit einem zusätzlichen Element kombiniert: einer zunehmend repressiven Sicherheitspolitik.
Die Abwässer treten über die Ufer
Zurzeit werden in Guatemala durchschnittlich fünfzehn Morde täglich begangen. Nur in zwei Prozent der Mordfälle kommt es zu einer Verhaftung und Anklage der Beschuldigten. Von diesen wird noch die Hälfte freigesprochen.
Die Regierung stellt sich gegenüber der Kritik von allen Seiten taub. Trotz Hunderter von jugendlichen Toten, die mit „Gnadenschuss“ und Folterspuren aufgefunden wurden, sowie vielen Aussagen zur Verwicklung der Polizei in diese „Säuberungskampagnen“ wurde von offizieller Seite nichts unternommen. Auch als immer mehr ZeugInnen während der Strafermittlungen in bedeutenden Fällen der organisierten Kriminalität verschwanden oder umgebracht wurden, wurde stets abgestritten, dass Polizei und illegale Gruppen zusammenarbeiten.
Als der Menschenrechtsombudsmann nicht nur die Existenz dieser Phänomene, sondern außerdem zumindest deren Duldung durch die Behörden nachwies, reagierten diese nach dem Motto „die Reihen schließen“ und „Augen zu und durch“. Und selbst als wichtige FunktionärInnen und BehördenleiterInnen immer wieder mit hohen Bargeldsummen erwischt wurden, unternahm die guatemaltekische Regierung nichts. Die kriminellen Strukturen ließen schlichtweg nicht zu, neue FunktionärInnen mit sauberer Weste in diese Positionen zu setzen. Die Regierung warf den MenschenrechtlerInnen vor, Kriminelle zu schützen. Scheinbar hatte sie nicht begriffen, dass es hier längst nicht mehr um ideologische Probleme ging, sondern darum, dass der gesamte Staat zu kollabieren begann.
Der Staat vor dem Zusammenbruch?
Das bisher wohl deutlichste Anzeichen für diesen Zusammenbruch zeigte sich dann im Februar, als zuerst drei salvadorianische Abgeordnete des zentralamerikanischen Parlaments (Parlacen) und wenige Tage später vier Polizisten, die als mutmaßliche Täter galten, ermordet wurden.
Ein weiteres Symptom war zuvor im September 2006 die Aktion gegen das Pavón, das größte Gefängnis Guatemalas, das rund 25 Kilometer östlich der Hauptstadt liegt. Das Pavón stand seit über zehn Jahren unter ausschließlicher interner Kontrolle der Gefangenen und des organisierten Verbrechens. Der Staat wusste nicht einmal mehr sicher, wer in dem Gefängnis noch einsaß. Von hier aus wurden Morde und Entführungen organisiert und Überfälle geleitet. Sexueller Missbrauch, illegale Geschäfte bis hin zu Zellenzuweisungen und Matratzenvermietung waren an der Tagesordnung. Die Kapos hatten eigene Häuser im Gefängnis gebaut.
All dies wurde zehn Jahre geduldet. Dann wurde gehandelt. Mit einem Riesenaufgebot an Polizei und Militär wurde die Kontrolle über das Gefängnis übernommen. Merkwürdigerweise wurde bei der angeblichen Schießerei von zwanzig Minuten kein einziger Polizist verletzt.
Dem Menschenrechtsombudsmann wurde widerrechtlich nicht erlaubt, anwesend zu sein. Als Sergio Morales dann die Vorfälle nachträglich untersuchte, kam er zu einem ganz anderen Ergebnis. Demnach hatte es keine Schießerei gegeben. Vielmehr hatten sich alle Gefangenen friedlich ergeben und wurden in ein anderes Gefängnis gebracht. Erst dort beziehungsweise auf dem Weg dorthin wurden die Gefangenen identifiziert und sieben von ihnen ausgesondert, in das Pavón zurückgebracht und dann dort ermordet. Der Menschenrechtsombudsmann spricht eindeutig von außergerichtlichen Hinrichtungen und hat dafür auch Beweise, einschließlich der Aussagen anderer Gefangener. In einem Presseartikel am Tag vor dem Einsatz wurden eben diese sieben Gefangenen als die Hauptverantwortlichen der Zustände im Gefängnis benannt, die dann auch zufällig in der „Schlacht“ starben.
Victor Soto, Chef der Kriminalpolizei und direkter Vorgesetzter der des Mordes an den Abgeordneten verdächtigen Polizisten, wurde jetzt im März als eine der wenigen Personen identifiziert, die bei der Aktion im Pavón vermummt zugegen waren. Es sollen Vermummte gewesen sein, die die sieben ausgesondert und zurücktransportiert haben. Und es wurden noch zwei weitere Personen, die Brüder Henry Danilo und José Luis Benítez Barrios, identifiziert. Sie sind auf Bildern während der Aktion mit Präzisionsgewehren zu sehen, über die selbst die Polizei nicht verfügt. Und in Uniformen, die der der Polizei ähneln, aber eben doch anders aussehen.
Innenminister Carlos Vielmann erklärte dazu, dass alles seine Richtigkeit habe, da die Identifizierten seine Berater „ad honorem“ seien. Unbezahlt haben die „Helden“ aber wohl nicht gearbeitet. Sie tauchen als Berater des Polizeidirektors Erwin Sperissen auf den Gehaltslisten der PNC auf. Als sie dann noch am 10. März bei einem Anschlag verletzt wurden, klagte der Innenminister die Zeitung el Periódico an, die die Namen der zwei Verdächtigen veröffentlicht und sie beim Menschenrechtsombudsmann angezeigt hatte.
Die Polizei und ihre Paramilitärs
Sollten sich die Aussagen des Innenministers bestätigen, dass die Beiden im Pavón bewaffnet anwesend waren ohne ordentliche Mitglieder der Sicherheitskräfte zu sein, besteht laut Sergio Morales der Verdacht, dass es sich um Mitglieder paramilitärischer, illegaler Gruppen handelt, die an der Seite der Sicherheitsgruppen agieren.