Kuba | Nummer 382 - April 2006

Café G

Der vielversprechende Versuch eines Kultur-Cafés in Havanna und sein vorprogrammiertes Scheitern

In Kubas Hauptstadt ist Kultur erwünscht und wird gefördert, solange sie in der richtigen Form stattfindet. Ein Anfang Februar eröffnetes Literatur-Café traf so sehr den Nerv des Publikums, dass der Andrang unkontrollierbar wurde – und die zahlreichen erstaunlich-schönen Details genauso schnell wieder verschwanden, wie sie aufgetaucht waren.

Johanna Abel

Warum verdient ein Literatur-Café in Havanna Aufmerksamkeit? Es wirft mikrokosmisch ein Licht auf einige von Kubas inneren Belangen. Ein unorthodoxes Licht zumal, das jenseits von außenpolitischen Diskursen eine Momentaufnahme alltäglicher Frustrationen und einer unstillbaren Gier nach Neuem liefert.
An der zentralen 23. Straße Ecke G, die das nach US-amerikanischem Vorbild quadratisch angelegte Viertel Vedado durchzieht, hat ein neues Café eröffnet. Das Café G, oder auch G Café. Auf dieser Kreuzung trafen sich traditionell die Rocker Havannas, auch roqueros oder frikis genannt. Rocker sind in Havanna junge Leute, die von Heavy Metall über Nirvana bis Marylin Manson so ziemlich alles hören, was nicht ,latino‘ ist, und sich schwärzer kleiden als der Durchschnittskubaner. In Scharen belagerten sie den begrünten Mittelstreifen der Straße G. Ihre nächtlichen Treffs strahlten immer ein provokatives Ambiente aus: Jugend, die öffentlich gegen das Versammlungsverbot verstößt, und das auch noch laut und freakig.
Dies wurde dann Ende vergangenen Jahres von staatlicher Seite unterbunden. Soviel subversive Energie auf repräsentativen Straßenkreuzungen wird auf Dauer nicht geduldet. Alle frikis haben nun Aufenthaltsverbot und ein kleiner Reigen blauer Polizisten fischt jeden, der ein bisschen zu unordentlich aussieht, und sich wohlmöglich setzen will, aus dem Passantenverkehr heraus. Scharfe Kontrollen aufmuckender Gegenkulturen sind im kubanischen Alltag nichts Neues.
An eben diesem Ort eröffneten nun, pünktlich zur Internationalen Buchmesse Anfang Februar dieses Jahres, die Vereinigung Junger Kommunisten (UJC) und das Kulturministerium ein literarisches Jugendcafé. Ihr Konzept zur kontrollierten Freizeitgestaltung geht auf. Der neue Ort einer cultura culta, sana y útil – ganz nach dem Leitspruch Fidels zu kultiviert nützlicher Unterhaltung – wird stürmisch angenommen.

Zu schön, um dauerhaft zu sein

Plötzlich gab es ein Café, in dem man sich Zeitschriften und Bücher aus einer kleinen Café-Bibliothek leihen, Bücher in Nationalwährung kaufen konnte, und wo noch dazu Musik gespielt wurde. Jeden Tag kamen neue erstaunliche Details hinzu. Die Wände sind mit grotesken Kohlezeichnungen à la Fabelo bemalt, mit mageren Don Quijotes und hybriden Jeanne d’Arcs. Die Bar ziert ein farbintensives Fresko expressionistischer Teufel und Engel beim Kaffeetrinken. Kurz, ein eklektisches Innendesign, das ob der kargen Inneneinrichtung sämtlicher staatlicher Restaurants und gastronomischer Einrichtungen ein Fest fürs Auge ist.

Freundlich, professionell

Erstaunlich war auch die freundliche, professionelle Bedienung, die schnell Bestellungen aufnahm und tatsächlich alles brachte, was auf der Karte stand. Normalerweise muss das Angebot in Kuba wegen der allgemeinen Mangelsituation erfragt werden oder steht auf Einschiebeschildchen auf einer Tafel. Es gab also eine Karte, auf der Kaffeevariationen und Cocktails standen. Die niedrigen Einheitspreise waren selbst im Vergleich zu anderen staatlichen Bars preiswert. So kostete ein Kaffee zwei Pesos und ein Mojito fünf Pesos fünfzig (25 kubanische Pesos sind circa ein Euro).
Ebenso verwunderlich waren die liberalen Öffnungszeiten. Anfangs öffnete das Café G bis drei Uhr früh mit Alkoholausschank bis Mitternacht. Für jemanden aus Havanna, und erst recht aus anderen peripheren Orten Kubas, sind das paradiesische Zustände.
Alternative Subkulturen, die Abwechslung bedeuten könnten, sind in Havanna ein heißes Pflaster. Alles was abweicht von der institutionell vorgeschriebenen Kulturnorm gilt als Systemunterwanderung. Es gibt kein Überangebot, nicht mal eine Auswahl an Orten der freien Entfaltung. Wenn man sich nicht bei jemandem zu Hause treffen kann oder an den Strand fährt, trifft man sich eben auf der Straße oder nach der Vorstellung vor dem Kulturkino Chaplin, am Malecón oder auf Konzerten. Man zieht zusammen durch die Straßen, auf der Suche nach inexistenten Orten, an denen man sich niederlassen könnte. Der winzige Kaffee wird zwischen zwei Worten hinuntergekippt, er ist mehr ein Energieschub, als ein Ruhepol. Sobald sich irgendwo eine Oase libertärer Andersartigkeit auftut, an der man mit seinen Freunden teilhaben kann, versammelt sich die gesamte farandula, die alternative Szene, an diesem Ort und baut sich die eigene Monotoniefalle – die der immer selben Gesichter und Inhalte. Schnell verpufft die anfängliche Hoffnung auf Veränderung.
Das kubanische Bildungssystem hat seine Kinder mit kulturellen Tugenden ausgestattet, die es selbst freiheitliches und kultiviertes Denken nennt. Viele dieser jóvenes cultos y libres haben nun wiederum das Bedürfnis, ihre revolutionären Werte mit dem eigenen Kopf umzusetzen – gegen ein System, das für sie längst zum verkrusteten Establishment geworden ist. Wohin mit kreativem Austausch, kritischem Denken und beflügelnden Kontakten außerhalb der einengenden Institutionen?
Das Café G lud förmlich dazu ein, ein Ort zu sein, an dem endlich eigene Unterhaltung stattfinden könnte, ein Epizentrum in der aufzehrenden Metropole. Leider ist es auch wieder nur eine Sternschnuppe gewesen.

Kultivierte Erholung zur Einheitskassette

Der schleichende Verfall setzte unerbittlich ein. So wie zu Beginn die Qualität jeden Tag ein Treppchen mehr erklomm, stiegen plötzlich Einbußen und Qualitätseinbrüche. Die Öffnungszeiten verkürzten sich täglich, das Angebot nahm rapide ab und der Service verschlechterte sich innerhalb weniger Tage.
In den ersten Tagen der Eröffnungseuphorie war es im Café G noch möglich, zwischen den Art-Decó-Kaffeestühlen zu tanzen. Die netten Leute der Buchabteilung legten dazu die unterschiedlichste Musik auf, die gerade gewünscht wurde. Nur ein paar Tage später war die Musikanlage verschwunden, und die enttäuschte Café-Bibliothekarin gab zu, Anweisungen aus dem Ministerium zu haben, keine beliebige Musik mehr zu spielen. Die Musik kam jetzt von der Einheitskassette aus der Bar, und ein Ergänzungstext zur Speisekarte gab Auskunft über den wohlgesteuerten Musikgeschmack dieses Literatur-Cafés. Ein Ort der kultivierten Erholung, an dem man Bolero, Feeling, Jazz und Trova hören können sollte. Von Reaggetón, Salsa oder Hip Hop war ganz klar nicht die Rede; ihre Ausgrenzung gehörte offensichtlich zum Programm. Angesichts dieses eurozentristisch anmutenden Aufrufs zur Hochkultur, der vor allem harmlose Sitzmusik unters Volk bringen will, ist die Seifenblase von alternativer Populärkultur mal wieder geplatzt.
Das, was auf dem Weg in die langsame Versenkung noch fehlte, war die Einführung einer Karte für die so genannten yumas, die Ausländer. Diese enthält für dasselbe Angebot an Speisen und Getränken nun Preise in konvertiblen Pesos (dem Äquivalent zum Dollar) statt in Nationalwährung, um auch hier noch den größtmöglichen Profit aus dem Touristenverkehr zu schlagen. Ein Kaffee kostet für die ausländischen Freunde eines kubanischen Studenten nun das 25fache. Einladen kann er sie nun erst recht nicht mehr, und wieder ist die Spaltung der Gesellschaft vorprogrammiert. Das raubt natürlich den Charme. Und lässt vielleicht auch das Café G zu einem dieser morbiden Orte werden, an dem bald mehr ausländische Konsumenten anzutreffen sind als KubanerInnen.

Unkontrollierbarer Erfolg

Dass die Kulturplaner des Ministeriums mit dem Café G einen Nerv getroffen hatten, zeigte sich auch daran, dass bald die Stühle nicht mehr reichten, Tische gerückt wurden, Menschentrauben um Kaffeetrinkergruppen herumscharwenzelten und die Mojito-Bestellungen ins Börsenhafte stiegen. Der Erfolg des Cafés nahm unkontrollierbare Formen an. Die kulturelle Ordnungsbehörde sah sich also zum Eingreifen veranlasst. Um den Andrang kalkulierbar zu machen, wurde ein rotes Seil am Eingang angebracht. Zutritt versperrt! Bitte warten, Sie werden platziert. Schlangestehen. Warten. Es bilden sich lange Reihen.
Warum erscheint das Aufblühen solcher Orte so aussichtslos? Warum sind sie von Anfang an zum Scheitern verurteilt, ihr Untergang in der Mittelmäßigkeit bereits besiegelt? Ein junger Student der Psychologischen Fakultät aus Havanna nennt sie „bienestares ejemplarizantes y generalmente conyunturales”– konjunkturelle Vorzeigeobjekte des allgemeinen Wohlstands. Mit ganzen zwei weiteren Einrichtungen, die diesem Profil in der Stadt noch entsprechen, dem Café Habana und dem Cinecittà, bleiben es versprengte Versuche der alltagsfrustrierten Bevölkerung, einen zögerlich dekadenten Ausgleich zu schaffen.

Durchschaubare Intendiertheit

Vielleicht liegt es an der zu leicht durchschaubaren Intendiertheit des Café Gs, dass es auf Dauer seinen Reiz verliert. Vielleicht greifen auch deshalb die steten Mechanismen des geistig wie materiellen Herunterwirtschaftens um sich, weil es in ihm kein eigentliches Anliegen zur Förderung einer würdevollen Cafékultur für Jugendliche gibt.
Der Kontrollaspekt des Café Gs verliert an der gleichen Stelle schon wieder seine Bedeutung. Auf der Kreuzung 23 y G treffen sich neuerdings die Skater. Zwar ein Stückchen die Straße G herauf, aber sie sind mit ihren Boards und Parcours noch aggressiver als die Rocker. Die Polizisten am vorderen Straßenteil gucken selbstverständlich nicht nach hinten. In ihrem Dienstbereich sind Skater keine zu zähmende Kategorie. Noch nicht.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren