Bolivien | Nummer 405 - März 2008

Cambas gegen Collas?

BOLIVIEN ZWISCHEN ZERFALL UND PLURINATIONALEM COMMON SENSE

Die bolivianische Opposition zieht sich in die von ihr regierten Departamentos zurück, nachdem sie die neue Verfassung nicht verhindern konnte. Dort wirbt sie um Unterstützung für ihre Autonomiebestrebungen. Währenddessen setzt die Regierung unter Evo Morales auf Dialog und die Wirkung ihrer Sozialpolitik zur Stärkung der eigenen Position

Thomas Guthmann

„Als ich klein war, zog mein Vater in den Krieg nach Santa Cruz, um gegen die cambas zu kämpfen“, erinnert sich Eguidio, ein auf die sechzig zugehender Bauer aus Cochabamba, einem jener bolivianischen Departamentos, die zwischen Hoch- und Tiefland liegen. Die HochlandbewohnerInnen Boliviens, die collas, so der Bauer, hätten damals den cambas im Tiefland das Arbeiten erst beigebracht, nachdem sie die Region bei Santa Cruz zur Räson gebracht hatten. Obwohl zwei Drittel des bolivianischen Territoriums im Tiefland des Amazonasbeckens liegen, war die bolivianische Identität lange Zeit auf die andine Kultur des Hochlandes beschränkt. Lange galt das Tiefland als entvölkert und wild. Bevölkerungsreich und kulturell entwickelt war nur das Hochland, in dem sich durch die Minenindustrie bereits im 16. Jahrhundert große Städte wie Potosí bildeten. Erst durch den Krieg im Chaco in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts kam das Tiefland in das Bewusstsein der HochlandbewohnerInnen. Camba galt bis dato als Schimpfwort für die unzivilisierten indigenen TieflandbewohnerInnen.

Durch die Entdeckung von Gas- und Ölvorkommen im Tiefland änderte sich die Bedeutung der marginalisierten Region. Heute ist Santa Cruz neben La Paz die wichtigste Stadt Boliviens und eindeutiges Handelszentrum des südamerikanischen Landes. Durch zunehmende Migration aus dem Hochland infolge des Zusammenbruchs der Minenwirtschaft, lebt in dem Tieflanddepartamento Santa Cruz heute zudem ein relevanter Teil der Gesamtbevölkerung des Landes. Trotz dieser rasanten Entwicklung existiert die Feindschaft zwischen den collas im Hochland und den cambas aus dem Tiefland bis heute.
Dieser alte Gegensatz stellt in der aktuellen Auseinandersetzung um die Macht in Bolivien den Resonanzboden zwischen Opposition und der MAS-Regierung dar. Nachdem die Opposition die Ausarbeitung einer neuen Verfassung nicht verhindern konnte, verabschiedeten die Tieflanddepartamentos am 15. Dezember vergangenen Jahres ihre Autonomiestatuten. Am gleichen Tag übergab die Verfassunggebende Versammlung in einem feierlichen Akt die neue Verfassung auf dem Plaza de Murillo in La Paz an Präsident Evo Morales. Die Opposition, die sich in der Form von zivilen Komitees als soziale Bewegung zu formieren versucht, pocht auf das Recht der Autonomie und sieht das Tiefland als ewig benachteiligte Region. Sie wollen, dass jedes Departamento über die eigenen Ressourcen selbst bestimmen kann und die Bevormundung durch die Zentralregierung in La Paz beendet wird.

Die Opposition pocht auf das Recht der Autonomie und sieht das Tief­land als
benachteiligte Region.

In der Tat war Bolivien lange Zeit ein zentralistisch regierter Staat. Die PräfektInnen der Departamentos wurden als StatthalterInnen direkt aus La Paz gesandt. Erst Gonzales Sánchez de Lozada, Evo Morales Vorgänger, verfügte, dass die PräfektInnen der Departamentos gewählt werden müssen. Momentan werden sechs der neun Departamentos von der Opposition regiert. So scheint es nur natürlich, dass sich die Opposition, nachdem das Scheitern der MAS Regierung bisher nicht erreicht werden konnte, in diese Regierungsbezirke zurückgezogen hat. Julio Prado, ehemaliger Berater von Evo Morales äußerte dazu, die Opposition suche dort nach neuen Möglichkeiten, weiterhin den bolivianischen Staat zu plündern. Die treibenden Kräfte hinter der Forderung nach departamentaler Autonomie sind in der Tat die alten Eliten. Nachdem ihnen die Felle in La Paz davongeschwommen sind, versuchen sie nun auf neuen Wegen, ihren Machtzerfall aufzuhalten oder gar die Macht zurückzuerobern. Es handelt sich um GroßgrundbesitzerInnen und UnternehmerInnen, die alte, nahezu ausschließlich weiße politische Klasse Boliviens.
Die stärkste Dynamik hat die Opposition bisher in den Departamentos Santa Cruz, Beni, Pando und Tarija entwickelt, wo sie geschickt versucht, mit einer Mischung aus Camba-Identität und sozialen Versprechungen einen Großteil der Bevölkerung für die Idee der Autonomie zu gewinnen. Denn hier besteht bis in die unteren sozialen Schichten hinein ein dumpfes Misstrauen gegenüber der Zentralmacht in La Paz.

Ob es der Opposition gelingen wird, mit dieser Strategie eine reale Spaltung des Landes herbei zu führen, ist noch offen. Als der Präfekt Rubén Costas in Santa Cruz im Dezember vergangenen Jahres die Autonomie verkündete, kam die Antwort von Präsident Evo Morales in Form von markigen Sprüchen und einem Aufruf zur Rebellion an die landlosen Bäuerinnen und Bauern in dem Tieflanddepartamento. Nach der ersten Aufregung kühlten die Gemüter vor dem anstehenden Weihnachtsfest aber wieder ab. Letztlich lud Evo Morales die Präfekten aller neun Departamentos zum Dialog über die strittigen Fragen. Nach anfänglichem Zögern willigten auch die oppositionellen Präfekten zu diesem Treffen ein. Insbesondere die drohenden Haushaltskürzungen der Präfekturen, die die Regierung im Haushalt für 2008 beschlossen hatte, verbesserten die Dialogbereitschaft. Morales hatte verfügt, dass 30 Prozent der direkten Steuereinnahmen aus dem Gas- und Ölgeschäft für eine neue Volksrente, der sogenannten Würdenrente, zur Verfügung gestellt werden soll. BolivianerInnen über 60 Jahre erhalten künftig eine Grundrente von rund 20 Euro im Monat. Geld, das vorher in die Haushalte der Präfekturen floss.

Ein Großteil der Bevölkerung will sich im Moment nicht in gewalttätige Auseinandersetzungen hineinziehen lassen.

So waren es die Kürzungen dieser Haushaltsmittel, die das erste Treffen im Präsidentenpalast beherrschten und zugleich deutlich machten, dass es trotz allem Geplänkel um Autonomie und Identität zumindest zwischen dem Präsidenten und den Präfekten zunächst um den schnöden Mammon geht. Dass es zwischen den Lagern bisher zu keiner Einigung kam, ist nicht verwunderlich. Anscheinend wollen beide Seiten den Machtkampf an den Urnen entscheiden. Mit drei Referenden erlebt Bolivien 2008 sein Superwahljahr. Evo Morales will seine politische Zukunft mit der neuen Verfassung verbinden. Die BolivianerInnen sollen 2008 abstimmen, ob sie ihn weiterhin als Präsidenten unterstützen. Des Weiteren soll über den strittigen Paragraphen in der neuen Verfassung abgestimmt werden, der den Landbesitz regelt. Hier geht es darum, ob zukünftig die Obergrenze von privatem Landbesitz auf 5.000 oder 10.000 Hektar pro Person beschränkt wird. Anschließend wird die gesamte Verfassung zur Abstimmung gebracht. Zeitgleich wollen die oppositionellen Tieflandprovinzen ihre Autonomiestatuten durch ein Referendum legitimieren lassen.
Bemerkenswert ist, dass es trotz der Befürchtung vieler BeobachterInnen und der unversöhnlichen Positionen zwischen MAS und Opposition bisher nicht zu größeren Spannungen oder gar gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen ist. Im Dezember gab es einige Attacken auf MAS-AktivistInnen in Santa Cruz und einen Bombenanschlag auf die Zentrale des Gewerkschaftsdachverbands in La Paz. Diese Provokationen, die wahrscheinlich auf das Konto rechter paramilitärischer Gruppen gehen, verpufften. Ein Großteil der Bevölkerung zeigt im Moment wenig Interesse, sich in gewalttätige Auseinandersetzungen hineinziehen zu lassen. So blieb es auch am Jahrestag der Zusammenstöße zwischen armer Landbevölkerung und städtischer Mittelschicht am 11. Januar in Cochabamba ruhig. Vergangenes Jahr verloren bei Auseinandersetzungen im Zentrum der zentralbolivianischen Stadt drei Menschen ihr Leben. Die Erinnerungsveranstaltungen in diesem Jahr hingegen verliefen friedlich.
Momentan machen dem Land zudem anhaltende Regenfälle zu schaffen. Das Tieflanddepartamento Beni steht zu fast zwei Dritteln unter Wasser. Präsident Evo Morales hat für die Region den Notstand ausgerufen und vorgeschlagen, den Dialog für die Zeit von 60 Tagen auszusetzen, um den Opfern der Hochwasserkatastrophe zu helfen. Die Regierung scheint darauf zu setzen, dass die Zeit für sie spielt. Und es kann gut sein, dass sie Recht behält. Schon jetzt gibt es eine Reihe von Maßnahmen, von der vor allem die armen Bevölkerungsschichten profitieren. So bekommt jede Familie, die ihre Kinder in die Schule schickt, seit einem Jahr pro Kind und Jahr 25 US-Dollar. Insbesondere für arme Familien, deren Jahreseinkommen zum Teil kaum 100 US-Dollar übersteigt, ist das ein guter Batzen Geld. Der Aufbau einer kostenlosen Gesundheitsvorsorge und die Einführung einer allgemeinen Rente sind weitere Maßnahmen, mit denen die Regierung vor allem die armen Bevölkerungsschichten zu überzeugen versucht. Neben den Armen will sich die Regierung nun auch verstärkt der Mittelklasse zuwenden und bei ihr für die neue Verfassung werben. Hier zeichnen sich Konturen einer Strategie ab, die die nationale Einheit über ethnische und Klassengrenzen hinweg betont, um damit eine weitere Zuspitzung der Frage um Autonomie zu vermeiden.

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