Cárdenas in den Startlöchern
Nach ersten Umfragen liegt Cárdenas vorne – Wird die PRI seinen Sieg verhindern?
Der 6. Juli verspricht ein interessanter Tag zu werden. Zum ersten Mal wird der Bürgermeister der 20-Millionen Metropole México DF, der größten Stadt der Welt, direkt gewählt. Außerdem stehen zahlreiche weitere Wahlgänge auf dem Programm. In den nördlichen Bundesstaaten Sonora und Nuevo León soll ein neuer Gouverneur bestimmt werden zudem werden mexikoweit 25 Prozent der Senatoren in die erste Parlamentskammer und 300 Deputierte in die zweite Kammer gewählt.
Lange Zeit waren Wahltage in Mexiko äußerst langweilig, da die Gewinner schon vor der Stimmabgabe feststanden. Seit den 30er Jahren kontrolliert die Staatspartei PRI mit ihren mächtigen Tentakeln in Form verschiedener Massenorganisationen das Volk. Und während des langwährenden Nachkriegsaufschwungs ließen sich die Mexikaner von der popu-listischen PRI auch ganz gerne regieren, denn diese befriedete soziale Konflikte meist mit materiellen Zuwendungen aus den reichlich strömenden Staatseinnahmen. Nur selten mußte das PRI-Regime auf die Repressionskeule zurückgreifen, um Unruheherde zu ersticken, wie 1968, als in der Hauptstadt mehrere hundert protestierende Studenten erschossen wurden oder Anfang der 70er Jahre bei der Niederschlagung einer Guerillabewegung im Bundesstaat Guerrero. Wahlen waren im PRI-System immer nur ein formelles Ritual zur öffentlichen Absegnung des PRI-Kandidaten für das Bürgermeisteramt, den Gouverneursposten oder den Präsidententhron. Damit die Parteieinlandschaft nicht gar zu fade erschien, kreierte die PRI einige Satellitenparteien, die ein kümmerliches Dasein fristeten, nicht ganz unähnlich dem der “Blockparteien” in der ehemaligen DDR.
6. Juli 1988 – der erste Versuch
Erst Ende der 80er Jahre setzte eine Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse in Mexiko ein. Cuauhtémoc Cárdenas, Sohn des populären Ex-Präsidenten Lázaro Cárdenas, der von 1934-1940 das Land regierte, spielt in dem seit zehn Jahren währenden Transformationsprozeß eine Hauptrolle. Er gründete 1987 im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen eine PRI-interne Oppositionsströmung, die sich gegen die Kandidatur von Carlos Salinas de Gortari aussprach. Der Hintergrund der PRI-internen Auseinandersetzung war die seit 1982 verfolgte neoliberale Politik, die Cárdenas, zuvor Gouverneur von Michoacán, heftig kritisierte. Cárdenas’ “corriente democrática” innerhalb der PRI schwoll schnell zu einer dynamischen Oppositionsbewegung an. Eine Kandidatur von Cuauhtémoc Cárdenas für die Präsidentschaftswahlen 1988 wurde plötzlich zu einer möglichen Option. So kam es, daß 1988 zum ersten Mal seit dem Ende der Revolution 1917 zwei ernsthafte Kandidaten um das Präsidentenamt konkurrierten: Salinas als offizieller PRI-Kandidat mit einem neoliberalen, technokratischen Modernisierungsprogramm und Cárdenas als Gallionsfigur einer Oppositionsplattform, die von PRI-Dissidenten, linken Organisationen und sozialen Bewegungen gestützt wurde.
Als nach den Präsidentschaftswahlen, die auch 1988 am 6. Juli stattfanden, die Stimmen ausgezählt wurden, zeichnete sich schnell ein Wahlsieg des oppositionellen Cárdenas ab. Trotz massiver Einschüchterungen und Manipulation durch den PRI-Apparat hatte sich der Unmut der Bevölkerung mit der korrupten, undemokratischen Staatspartei und der neoliberalen Politik der sozialen Grausamkeit Luft gemacht. Trotzdem hat Cárdenas nie in den Präsidentenpalast einziehen dürfen, denn in der Wahlnacht fiel vor lauter Schreck über den Protest der Wähler das zentrale Computersystem der Wahlbehörde aus. Carlos Salinas de Gorari wurde zum Sieger proklamiert. Einer Neuauszählung der Stimmen verweigerte sich die PRI konsequent bis die Wahlurnen durch einen unerklärlichen Großbrand vernichtet wurden.
Aus der kraftvollen Wahlkampagne Cuauhtémoc Cardenas und der nachfolgenden wütenden Protestbewegung gegen den Wahlbetrug, die zeitweise zum Bürgerkrieg zu eskalieren drohte, entstand nach dem heißen Sommer 1988 die PRD als eine in ganz Mexiko verankerte linke Massenoppositionspartei. Die PRD schließt soziale Bewegungen wie unabhängige Bauernverbände oder feministische Gruppen ebenso ein wie altgediente PRI-Dissidenten und den Funktionärskorps der ehemaligen Kommunistischen Partei Mexikos (PCM). Dementsprechend vage und umfassend sind die programmatischen Aussagen der Partei.
1994 – der zweite Versuch
Als Cuauhtémoc Cárdenas, der bis heute unumstrittene Frontmann der PRD, 1994 zum zweiten Mal den Versuch startete, das PRI-Regime an den Wahlurnen zu stürzen, erreichte er gerade einmal offizielle 16 Prozent. Auch am 21. August 1994 waren die PRI-Wahlfälscher im Dauerstreß, darüber besteht kein Zweifel, aber die Wahlkampagne der PRD hatte längst nicht die explosive Kraft entfaltet wie noch 1988. Der Aufstand der EZLN und die PRI-internen Zerwürfnisse, die im Mord am ersten PRI-Kandidaten Luis Donaldo Colosio durch seine eigenen Parteifreunde im März des Jahres gipfelten, führten bei großen Wählerschichten zu einer tiefen Verunsicherung. Als der zweite PRI-Kandidat Ernesto Zedillo für den Fall eines Wahlsieges von Cárdenas auch noch unmißverständlich den Bürgerkrieg androhte, orientierten sich viele der verdrossenen WählerInnen an der rechtskonservativen PAN (Partei der Nationalen Aktion) und nicht an der zudem unentschlossen wirkenden PRD. Die PAN wurde gleichzeitig von den Medien und den PRI-Eliten durch eine massive Kampagne unterstützt, um den verbreiteten Unmut nach rechts zu kanalisieren. So wurde 1994 letztlich doch der PRI-Kandidat Ernesto Zedillo mit offiziell knappen 50 Prozent zum Präsidenten erkoren, während Cárdenas sich nach dem PANisten Diego Fernández de Cevallos mit Platz drei begnügen mußte.
Doch spätestens seit 1994 ist das Machtmonopol der PRI gebrochen. Zu stark sind mittlerweile die Oppositionsparteien PRD und PAN, aber auch linksorientierte soziale Bewegungen und nicht zuletzt die Rebellen der EZLN geworden. Bei zahlreichen Kommunalwahlen und sogar Gouverneurswahlen mußte die PRI herbe Wahlniederlagen hinnehmen. Aus dem faden Ritual im Einparteiensystem bis in die 80er ist der Wahlkampf in Mexiko heute zu einem realen Kräftemessen geworden. Dabei geht es mitunter rüde zu. Morde an den Kandidaten oder Aktivisten der Oppositonsparteien sind alltäglich geworden und nach wie vor bedienen sich die PRI-Bürokraten eines ausgefeilten Systems von Wahlbetrügereien und Manipulationen. Während die PAN meist verschont bleibt, ist die PRD das Ziel der Repression der PRI-Machthaber. Während der sechs Jahre der Salinas-Administration von 1988-1994 sind etwa 360 PRD-Mitglieder aus politischen Gründen ermordet worden oder verschwunden. In den ersten 18 Monaten der Regierungszeit Zedillos hat die PRD-Zentrale bereits 150 Opfer zu beklagen. Ungezählt sind die Gefolterten und politischen Gefangenen. Bis heute konnte die PRD im Gegensatz zur PAN keine Gouverneurswahl in einem der Bundesstaaten für sich entscheiden, dafür kontrolliert sie mittlerweile vor allem in den südlichen Bundesstaaten zahlreiche Landkreise und Kommunen. Die PAN ist dagegen hauptsächlich in den nördlichen Bundesstaaten verankert.
Neuer Anlauf
Den ersten direkten Bürgermeisterwahlen in der Hauptstadt am 6. Juli kommt nun eine entscheidende Bedeutung zu. In Mexkio-Stadt wohnen über 20 Prozent der mexikanischen Gesamtbevölkerung. Hier konzentriert sich das politische und kulturelle Leben im traditionell zentralistischen Mexiko. Wer die Hauptstadt kontrolliert, verfügt also über eine strategisch überaus einflußreiche Position im ganzen Land. Momentan sieht es ganz danach aus, als könnte Cuauhtémoc Cárdenas das Rennen machen. Nach einer Umfrage der Universität Guadalajara von Mitte März liegt Cárdenas mit 34,5 Prozent weit vor seinen Konkurrenten. Den PRI-Kandidaten Alfredo del Mazo, der dem Dinosaurier-Flügel der Staatspartei in Auflösung zugerechnet wird, würden nur 18,2 Prozent und Carlos Castillo Peraza von der PAN nur 16,3 Prozent wählen. Die “Chilangos”, wie die zahlreichen Einwohner Mexiko-Stadts genannt werden, liegen dabei voll im Trend.
Bereits am 16. März hat die PRI in Morelos, dem westlich der Hauptstadt liegenden Bundesstaat, bei Kommunalwahlen eine herbe Niederlage einstecken müssen. Hier gingen nur mehr 17 der Landkreise an die PRI, immerhin 14 an die PRD und einer an die PAN. Die Opposition regiert jetzt zwar nur eine Minderheit der Landkreise, dafür aber 67 Prozent der Bevölkerung, weil sie in den bevölkerungsreichen Regionen gewonnen hat. Außerdem entriß die PRD der PRI die Mehrheit im Landtag. Bereist vor einem halben Jahr verlor die PRI die Mehrheit der Landkreise des Estado de México, dem um den Hauptstadtdistrikt liegenden bevölkerungsreichen Bundesstaat. Mit der Wahl in Morelos schließt sich für PRI die Oppositionschlinge um die Haupstadt. Ein Wahlsieg Cuauhtémoc Cárdenas würde das Ende der unumschränkten PRI-Herrschaft im zentralen Hochtal von Mexiko, der politisch und wirtschaftlich bedeutendsten Region des Landes, besiegeln.
PRI-Schlappe bei Kommunalwahlen
Doch noch ist Vorsicht angezeigt, da Wahlprognosen in Mexiko nur eingeschränkten Aussagewert besitzen. Zu instabil sind die Verhältnisse, als daß nicht doch noch ein Umschwung möglich wäre. Das große Fragezeichen stellt insbesondere die Reaktion der PRI-Eliten auf den schwungvollen Wahlkampf der PRD dar. Wird die PRI einen Wahlsieg Cárdenas diesmal anerkennen? Zweifel sind angebracht, Beobachter befürchten ein Wahlbetrugsmanöver im großen Stil.
Gefahr droht auch von einer anderen Seite. In den letzten Monaten werden auf präsidentiale Anweisung hin die Polizeistrukturen in der Hauptstadt umstrukturiert. Eine massive Aufrüstung durch Fahrzeuge, Waffen und Personal wird begleitet durch die Einflußnahme hochrangiger Militärs auf die Polizeiführung. Bereits seit Mitte letzten Jahres ist der oberste Polizist ein Armeeangehöriger, der General Enrique Salgado. Die Ernennung bedeutet ein Novum in Mexiko und ist verfassungsrechtlich höchst bedenklich. In den nächsten Monaten sollen außerdem 2.600 Soldaten in die Polizeiuniformen schlüpfen.
Teresa Jardí, angesehene Direktorin des Studienzentrums für Menschenrechte, und regelmäßige Kolumnistin der kritischen Tageszeitung La Jornada kommentierte die Gefahr durch die Militarisierung folgendermaßen: “Wenn PAN oder PRD die Wahlen gewinnen, werden sie trotzdem nicht in der Lage sein zu regieren. Es formieren sich paramilitärische Gruppen, um den Machterhalt der PRI zu garantieren.”