Gewerkschaften | Nummer 323 - Mai 2001

Chemiegewerkschaften in Brasilien

Mit internationaler Unterstützung setzen die brasilianischen Chemiegewerkschaften auf Vernetzung um mehr Rechte durchzusetzen

Chemiekonzerne wie BASF agieren seit Jahrzehnten weltweit und können so nationale Belegschaften gegeneinander ausspielen. Das Beispiel der brasilianischen Chemiegewerkschaft CNQ zeigt, wie dem etwas entgegengesetzt werden kann.

Doris Meißner

Der 29. Juni 1999 markiert für die CNQ (Confederação Nacional dos Químicos), die brasilianische Chemiegewerkschaft in der CUT (Central Unica dos Trabalhadores), ein wichtiges Ereignis, das sowohl ein Meilenstein für die Gewerkschaftspolitik in Brasilien als auch für die Zusammenarbeit mit der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) in Deutschland darstellt: An diesem Tag begann bei São Paulo ein 3-tägiges Treffen der Gewerkschaftsvertreter aus den wichtigsten Standorten des deutschen Chemiekonzerns BASF in Brasilien und anderen südamerikanischen Ländern.
Die CNQ hatte dieses Treffen mit Unterstützung der ICEM (Internationale Föderation der Chemiegewerkschaften) geplant und vorbereitet, um auf regionaler Ebene mit den ArbeitnehmervertreterInnen des wichtigsten ausländischen Chemiekonzerns in Brasilien über die jeweiligen Probleme zu diskutieren und eine gemeinsame Politik gegenüber dem Unternehmen abzustimmen. Bemerkenswert ist dabei auch, dass nicht nur die der CUT angeschlossenen lokalen Gewerkschaften eingeladen wurden, sondern auch diejenigen ohne CUT-Mitgliedschaft.
Große Bedeutung kommt dem Treffen aus zwei Gründen zu: Zum einen zeigt es das Selbstbewusstsein der Gewerkschaften, die mit gebündelter Kraft ihre Probleme angehen. Zum anderen ist bemerkenswert, dass entsprechend der Hierarchie-Strukturen im Konzern von vornherein das Treffen nicht nur auf brasilianische Standorte konzentriert wurde, sondern die Standorte in den anderen südamerikanischen Ländern einbezogen wurden.
Das Treffen war ein voller Erfolg. Dank sorgfältiger Vorbereitung konnte ein gemeinsames Strategiepapier verabschiedet und eine Koordinationsgruppe gebildet werden, die sich seither zum fünften Mal mit der südamerikanischen Geschäftsleitung zu Gesprächen getroffen hat.

Betriebsräte der BASF- Ludwigshafen zu Besuch

Eingeladen und anwesend waren im Juni 1999 auch VertreterInnen des Betriebsrates der BASF Ludwigshafen, Konzernsitz der BASF, und Vertreter der IG BCE. Diese deutsche Öffentlichkeit hat den Kontakt zur südamerikanischen Geschäftsleitung, die das Ereignis vielleicht ignoriert hätte, sicher gefördert. Die Zusammenarbeit der ArbeitnehmervertreterInnen aus Deutschland mit den brasilianischen KollegInnen, die über die Koordinationsgruppe den Kontakt zu anderen Ländern herstellt, ist mitttlerweile kontinuierlich. Vertreter der Koordinationsgruppe waren im November 2000 für eine Woche auf Einladung des Betriebsrates in Ludwigshafen und haben sowohl intensive Gespräche mit dem Betriebsrat als auch mit VertreterInnen der Geschäftsleitung geführt.
In Brasilien soll die Bildung solcher Netzwerke nicht auf die BASF beschränkt bleiben. Die Chemiegewerkschaft der CUT ist eine der Mitinitiatorinnen des Observatorio Social, einem Projekt, an dem aus Deutschland das DGB-Bildungswerk, die IG Metall und die IG BCE beteiligt sind. Dieses Projekt soll der Verbesserung der Arbeitsbeziehungen in brasilianischen Niederlassungen europäischer Konzerne dienen und in den nächsten Wochen starten.
Mit der Bildung von Netzwerken und der Benennung konkreter Ansprechpartner wird nicht nur die nationale, sondern auch die internationale Gewerkschaftsarbeit systematisiert und kontinuierlicher gestaltet.
Zwei Kennzeichen der brasilianischen Gesetzgebung zu Gewerkschaften sind die Abwesenheit der GewerkschaftsvertreterInnen im Betrieb – es gibt keine Struktur der innerbetrieblichen Arbeitnehmervertretung – und die Vereinzelung der Gewerkschaften, die lokal begrenzt sind. Beides keine Voraussetzungen, die starke Gewerkschaften fördern.
Not macht erfinderisch. Nachdem Vereinbarungen, eine Arbeitnehmervertretung im Betrieb zuzulassen und ihr gewisse Informations- und Beratungsrechte zu geben, in der Regel am Widerstand der Unternehmen gescheitert sind, versucht die Chemiegewerkschaft nun einen anderen Weg zu gehen. In den Betrieben müssen von allen ArbeitnehmerInnen Arbeitsschutzkommissionen, die CIPAS, gewählt werden – die einzigen gesetzlich vorgeschriebenen Organe mit Arbeitnehmerbeteiligung im Betrieb. Die Gewerkschaft versucht nun, diese gewählten Arbeitnehmervertreter mit mehr Rechten auszustatten. Rechte, die über den eng begrenzten Bereich des Arbeitsschutzes hinausgehen.
Zwar muss auch hier eine Vereinbarung mit den Unternehmen erzielt werden. Der Vorteil ist jedoch, dass auf ein schon bestehendes und gewähltes Gremium zurückgegriffen werden kann. Nach Aussage der brasilianischen KollegInnen wurden bei diesem Vorgehen schon einige Erfolge erzielt.
Die Verbesserung des Arbeitsschutzes stellt für die Gewerkschaften aller Branchen in Brasilien einen Schwerpunkt dar. Durch finanzielle Unterstützung der EU wurde 1998 in Zusammenarbeit mit dem DGB-Bildungswerk und Partnern aus Spanien und Schweden ein 4-jähriges Trainingsprojekt der CUT für brasilianische Kollegen im Arbeitsschutz gestartet. Dieses ehrgeizige und – wie man jetzt sagen kann – auch erfolgreiche Projekt wurde als weltweites Expo-Projekt anerkannt.
Auch das Problem der einzelnen lokalen und damit häufig schwachen Gewerkschaften wird angegangen. So haben sich vor einiger Zeit lokale Chemiegewerkschaften der CUT zu einem „Regionalverband“ im Bundesstaat Bahia zusammengeschlossen. Sie bilden jetzt nach Aussage eines Kollegen die größte Chemiegewerkschaft in der CUT CNQ. In São Paulo und den Satellitenstädten São André, São Bernardo und São Caetano ist ein solches Zusammengehen, wenn jetzt nicht schon vollzogen, so doch konkret geplant.

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