Mexiko | Nummer 370 - April 2005

Chiapas wird die Paramilitärs nicht los

Menschenrechte sind im mexikanischen Bundesstaat Chiapas nicht einklagbar

Vor zehn Jahren startete der damalige mexikanische Präsident Ernesto Zedillo eine Militäroffensive, um die EZLN, Ejército Zapatista de Liberación Nacional, (“Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung”), zu bekämpfen. Paramilitärische Einheiten töteten und vertrieben seitdem Hunderte von DorfbewohnerInnen. Inzwischen ist erwiesen, dass sie mit dem Militär zusammengearbeitet haben. Es heißt, die paramilitärische Gruppe “Frieden und Gerechtigkeit” sei noch immer aktiv. Im Februar brachte eine Polizeiaktion und eine angekündigte Anklage gegen Zedillo wegen Völkermordes das Thema wieder an die Öffentlichkeit.

Dinah Stratenwerth

Nach dreißig Tagen durften sie endlich nach Hause. Fünf Mitglieder der chiapanekischen Organisation „Zivilgesellschaft im Widerstand” wurden am 16. Februar freigelassen, nachdem sie einen Monat lang unschuldig an einem unbekannten Ort festgehalten und misshandelt worden waren.
Doch es sind nur fünf der etwa fünfzig Menschen, im Februar in der nordchiapanekischen Stadt Tila festgenommen wurden. Einige von ihnen hatten seit dem ersten Januar das Rathaus besetzt, damit der neue Bürgermeister Juan José Díaz Solórzano von der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) sein Amt nicht antreten konnte. Zwei der wichtigsten Berater des neuen Stadtoberhauptes, Samuel Sánchez Sánchez und Marcos Albino Torres, sind ehemalige Kommandanten der paramilitärischen Organisation Paz y Justicia („Frieden und Gerechtigkeit”). Seit 1995 hat diese Gruppe an die hundert Morde zu verschulden und wird auch für das Massaker von Acteal im Dezember 1997 verantwortlich gemacht, bei dem etwa 45 Menschen in einer Kirche ermordet wurden. Sánchez Sánchez ist seit 1999 Kopf der „Union der Indigenen, Bauern und Waldarbeiter” (UCIAF), einer von zwei Abspaltungen von Paz y Justicia.
AnhängerInnen der Parteienkoalition PRD-PT (Partei der Demokratischen Revolution-Arbeiterpartei) zweifelten an der Rechtmäßigkeit der Wahl Solórzanos. Nur 57 Stimmen trennten ihn bei den Kommunalwahlen am 3. Oktober 2004 von seinem PRD-PT-Konkurrenten Domingo Cornelio Trujillo. Nachdem die staatliche Wahlbehörde in einer geheimen Abstimmung zunächst PRD und PT den Sieg zugestanden hatte, hob die übergeordnete föderale Behörde die Entscheidung auf und erklärte Solórzano zum Bürgermeister Tilas.
Angeblich ist Paz y Justicia, allerdings nach der Abspaltung der Indigenen-Union UCIAF dazu übergegangen, die PT zu unterstützen. Unter anderem in der linken Tageszeitung La Jornada wurde der Konflikt als ein Streit innerhalb von Paz y Justicia angesehen.
Für die Menschen in Tila machte es keinen Unterschied. Nach eineinhalb Monaten Widerstand eskalierte die Situation in dem besetzten Rathaus am 15. Februar. Am Morgen drangen PolizistInnen in die Häuser von angeblichen SympathisantInnen der Protestierenden ein und nahmen 19 Menschen fest. Am Nachmittag bat die Regierung angesichts der Spannungen den Priester Heriberto Cruz um Hilfe, doch er kam nicht mehr dazu, sie zu gewähren: 400 PolizistInnen fielen über das Rathaus her und nahmen unter Schlägen weitere PRD-PTSympathi-santInnen fest. Etwa fünfzig Menschen wurden in ein halboffizielles Gefängnis gebracht, von dem aus sie nicht kommunizieren konnten. Bei der Aktion gingen die Staatsbeamten wahllos vor. Vor dem Angriff ließen sie noch über Lautsprecher verlauten: „Wer nichts mit dem hier zu tun hat, sollte lieber gehen, denn wer gegen die Regierung ist, wird festgenommen.” Bei dem Vorgehen der Regierung wurden hunderte Menschen verletzt und mehrere Häuser und Autos gingen in Flammen auf.
Angesichts der Gewalt, mit der die Polizei vorging, befürchtet Priester Cruz ein Widererstarken der paramilitärischen Kräfte in Chiapas. „Diese Organisation, die so viel Schmerz und Tod über den Norden von Chiapas gebracht hat, wird wieder richtig stark, indem sie kommunale Regierungen übernimmt”, sagte er gegenüber La Jornada. Die Regierung des Staates hingegen ließ verlauten, dass bei der Aktion mehrere Paramilitärs festgenommen wurden, denen man eventuell den Prozess machen wolle. Dies bestritten wiederum vehement Angehörige der Festgenommenen. Sie erzählten allerdings, dass Mitglieder UCIAF während der Proteste mit Polizeiuniformen und Strumpfmasken alle angegriffen hätten, die nicht für den PRI-Kandidaten Solórzano waren. Sie wurden von der Menge festgehalten mit der Androhung, sie bei lebendigem Leibe anzuzünden, was die zweite Polizeiaktion auslöste, um, so ein Regierungsvertreter, “die Ordnung wieder herzustellen”.
Die neue Ordnung in Tila führte dazu, dass viele Familien ihre Häuser verließen, um im Wald zu übernachten, weil sie Angst vor neuer Verfolgung hatten.
Samuel Sánchez Sánchez wurde am 22. Februar unter anderem wegen Mord, Gründung einer illegalen Vereinigung und Veruntreuung öffentlicher Mittel festgenommen. Das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas aus San Cristobal, Chiapas ließ nur verhaltenen Jubel hören: „Es ist gut, dass er verhaftet wurde, aber das kommt viel zu spät”, so ein Sprecher. Andrés Carballo von der chiapanekischen PRI versicherte sofort, seine Partei werde den Festgenommenen juristisch unterstützen.
Das Menschenrechtszentrum hatte bereits am 9. Februar einen Bericht veröffentlicht, in dem es ankündigte den Ex-Präsidenten Zedillo wegen der Militäraktionen und wegen der Unterstützung der Paramilitärs des Völkermordes anzuklagen. Es beruft sich dabei auf Aussagen eines weiteren ehemaligen Chefs von Paz y Justicia, die bestätigen, dass das Miltär die Paramiltärs in jeder Hinsicht unterstützte. Man wolle “den Fischen das Wasser entziehen”, hieß es damals aus Regierungskreisen über den Kampf gegen die EZLN-nahen ZivilistInnen in Chiapas. In dem ausführlichen Bericht des Menschenrechtszentrums wird Zedillo als erster Verantwortlicher für die Morde genannt. Der Ex-Präsident, der inzwischen an der Yale-Universität Direktor des Zentrums für Globalisierungs-Studien ist, wies die Vorwürfe zurück. „Meine Regierung hat Menschenrechtsverletzungen immer verfolgt”, verteidigte er sich.
Doch eben das Fehlen juristischer Verfolgung ist es, was die BewohnerInnen Tilas und das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas kritiseren. Samuel Sánchez Sánchez etwa war schon zum 200sten-mal festgenommen worden, um einige Monate später wieder frei zu kommen, aus Mangel an Beweisen.
Dennoch geben die fünf Freigelassenen die Hoffnung nicht auf. Sie haben eine Klage gegen die PolizistInnen eingereicht.


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