Nummer 288 - Juni 1998 | Sport

Chiles Zwangspause ist vorbei

Sturmduo der Spitzenklasse

Sechzehn ewige Jahre. So lange dauerte es, bis Chile wieder die Endrunde einer Fußball-Weltmeisterschaft erreichte.

Martin Ziegele

Vor über acht Jahren hätten sich die Chilenen fast für die WM in Italien qualifiziert. Im letzten und entscheidenden Spiel gegen Brasilien lagen sie mit 0:1 zurück, als eine Rauchbombe in ihren Strafraum segelte. Torwart Roberto Rojas reagierte als erster. Er fiel einfach um. Scheinbar schwer verletzt wurde er mit einer Bahre vom Feld getragen, die Mannschaft erkannte die Gunst der Stunde, verließ ebenfalls den Rasen und Chile hoffte auf den Sieg am grünen Tisch. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, daß Wurfgeschosse von den Tribünen das Aus für eine Mannschaft besiegelt hätten. Dumm nur, daß auf Fernsehbildern und nach Zeugenaussagen klar zu ersehen war, daß Torhüter Rojas ob des rauchenden Etwas in seinem Strafraum vielleicht ein wenig erschrocken sein dürfte, das Corpus Delicti aber doch in einiger Entfernung von ihm auf dem Rasen einschlug. Seine Verletzung war also mitnichten eine solche, der Simulant als solcher überführt und die chilenische WM-Teilnahme damit futsch. Der Weltfußballverband FIFA ließ Strenge walten. Das Spiel wurde für Brasilien gewertet, Rojas auf Lebenszeit und die chilenische Mannschaft für die nächste WM-Qualifikation gesperrt.
Im November 1997 stand nun erneut eine letzte, entscheidende Partie an. Doch dieses Mal machten es die Chilenen sauber. Zu Hause in Santiago schlugen sie Bolivien mit 3:0 und lösten damit als Gruppenvierter der Südamerika-Qualifikation das Ticket nach Frankreich – nur aufgrund des wesentlich besseren Torverhältnisses gegenüber den punktgleichen Peruanern. 32 Tore hatten die Chilenen in 16 Spielen geschossen, mehr als jede andere Mannschaft. Einen Großteil der Treffer erzielte das gefürchteteste Sturmduo des ganzen Subkontinents: Ivan Zamorano, genannt Ivan El Terrible war zwölfmal erfolgreich und Marcelo Salas, genannt El Matador, elfmal.
Die Torgefährlichkeit ist nicht das einzige was die beiden verbindet. Beide sind kopfballstark und haben das, was Fachleute so gerne mit Torinstinkt und Spielintelligenz umschreiben. In einer ansonsten doch eher durchschnittlichen Mannschaft sind sie die unumstrittenen Stars. Während Zamorano mit seinen 31 Jahren in ein Alter kommt, in dem Stürmer an Schnelligkeit verlieren und dies mit Erfahrung und Schlitzohrigkeit kompensieren, steht der 23jährige Salas erst am Anfang einer vielleicht ganz großen Karriere. Argentiniens Coach Passarella meint, “Salas braucht den Vergleich mit Batistuta und Ronaldo nicht zu scheuen. Er ist ein kompletter Fußballer.” Nun ist es eine allgemein anerkannte Binsenweisheit des Fußballs, daß große Fußballer erst zu großen Fußballern werden, wenn sie auch bei großen Turnieren Großes leisten.
Das steht bei Salas noch aus. Zwar holte er mit Universidad de Chile zwei Mal in Folge die chilenische Meisterschaft und wiederholte dieses Kunststück nach seinem Wechsel nach Buenos Aires mit River Plate. Die Begeisterung um den kleinen Chilenen war riesig, 1997 wurde er gar zu Südamerikas Fußballer des Jahres gewählt und bei der Wahl zum Weltfußballer landete er auf dem 12. Platz. Doch wie sich an diesen beiden Ehrungen bereits ablesen läßt: die Fußball-Welt honoriert Leistungen in Südamerika bestenfalls als Gesellenstück, den Meister macht man in Europa. Dort sorgte Salas erstmals für Aufsehen, als er vor einigen Monaten quasi im Alleingang die englische Nationalmannschaft düpierte. Im altehrwürdigen Wembley-Stadion schoß er zwei Tore und nach neunzig Minuten hatte Chile mit 2:0 sensationell gegen England gewonnen.

Von Paris nach Rom

Ab der kommenden Saison nun kickt Salas in Rom bei Lazio. Schlappe 32 Millionen DM bekommt River Plate von Lazio für seinen scheidenden Star. Salas selbst strich bei dem Wechsel knapp 6 Millionen DM sogenanntes Handgeld ein. Sein Jahressalär bei den Himmelblauen soll bei 4,5 Millionen DM liegen – so wird sich der Ausflug über den Teich auf jeden Fall lohnen, auch wenn er sich in Europa nicht durchsetzen sollte. Hinter dem Transfer steht angeblich ein großer italienischer Lebensmittelkonzern, der Hauptsponsor von Lazio ist und mit Salas als Identifikationsfigur den südamerikanischen Markt erobern will. Am 11. Juni werden die fußballverrückten italienischen Tifosi ganz genau auf Salas schauen: Im ersten WM-Spiel seit 16 Jahren treffen die Chilenen auf Vizeweltmeister Italien.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren