Guatemala | Nummer 299 - Mai 1999

Chronik eines Ermittlungsskandals

Wie die Aufklärung des Mordes an Bischof Gerardi verhindert wird

Ein Jahr nach dem Mord an Bischof Juan Gerardi gibt es offiziell keine Tatverdächtigen. Die Ermittlungspraxis des guatemaltekischen Staates erinnert an eine ausgeklügelte Verschleierungsaktion des CIA – Operationsziel: Die Tatbeteiligung von Militärs ist zu vertuschen. Für Verwirrung sorgt jedoch auch die Rolle einiger anderer Beteiligter.

Michael Krämer

Eine treffende Übersetzung des Sprichworts „Jemand ist bekannt wie ein bunter Hund“ wäre in Guatemala: „Jemand ist bekannt wie Balú.“. Der ist zwar nicht bunt, aber ein Hund, der in den dortigen Medien monatelang größte Aufmerksamkeit erfuhr und dessen Name so geläufig ist wie der des Präsidenten, der in dem zu berichtenden Fall ebenfalls eine wichtige und noch dazu recht undurchsichtige Rolle spielt.
Es ist kein einfaches Unterfangen, diese Geschichte zu berichten, und kann auch nicht in allen Details geschehen: Immer wieder wurden neue Gerüchte gestreut und falsche Fährten gelegt. Eine der wenigen Konstanten besteht in dem Versuch staatlicher Behörden, die mögliche Täterschaft von Armeeangehörigen am Mord von Bischof Juan Gerardi zu vertuschen.
Unbestritten ist, daß Juan Gerardi in der Nacht des 26. April 1998 in Guatemala-Stadt ermordet wurde, nachdem nur zwei Tage zuvor der Menschenrechtsbericht „Guatemala: Nie wieder!“ veröffentlicht wurde. Als Leiter des Erzbischöflichen Menschenrechtsbüros ODHA zeichnete Gerardi für diesen Bericht verantwortlich. „Guatemala: Nie wieder!“ war ein wichtiger Zwischenschritt des Projekts „Wiedererlangung des historischen Gedächtnisses“ (REMHI), das sich zum Ziel gesetzt hat, die Gewaltgeschichte des 36jährigen Bürgerkriegs in Guatemala aus der Sicht der Opfer nachzuzeichnen und ihnen dadurch und durch zahlreiche begleitende Maßnahmen ihre Würde zurückzugeben (siehe ausführlicher LN 287).
Unbestritten ist auch, daß in diesem Bericht die überwältigende Mehrzahl der Menschenrechtsverletzungen dieses Krieges der Armee und anderen staatlichen und parastaatlichen Repressionseinheiten zugewiesen wurde. Der Bericht fordert die Entlassung der an schweren Menschenrechtsverletzungen beteiligten Offiziere aus der Armee sowie die Auflösung des besonders belasteten Generalstabs des Präsidenten – über den noch zu berichten ist.

Ein Schuldiger wird benötigt

Weiterhin ist unbestritten, daß auf Juan Gerardi zu Beginn der 80er Jahre als engagierter Bischof der Diözese Quiché bereits einmal ein Mordanschlag verübt wurde und er aufgrund des damals grenzenlosen Staatsterrors für einige Jahre das Land verlassen mußte.
Der REMHI-Bericht und der Mord an Bischof Gerardi hatten national wie international große Aufmerksamkeit erfahren. Die guatemaltekische Regierung war mit dem Bericht überhaupt nicht zufrieden und schwieg zu seinen Ergebnissen und Empfehlungen. Präsident Alvaro Arzú hat sich die neoliberale Modernisierung des Landes zum Ziel gesetzt, die Beschäftigung mit der Vergangenheit hat in seiner Agenda keinen Platz. Doch der Mord an einer so angesehenen Persönlichkeit wie Bischof Gerardi paßte nicht so recht in das Bild eines reformierten Guatemalas, das Präsident Alvaro Arzú zu verbreiten nicht müde wurde. Ein erneuter und noch dazu sehr prominenter Fall von Straffreiheit durfte nicht sein, es galt also möglichst schnell einen Schuldigen zu präsentieren.
So wurde nach nur wenigen Tagen ein Mann namens Carlos Enrique Vielman Viani als Täter präsentiert. Der hatte zwar kein Motiv und statt dessen ein stichhaltiges Alibi, doch Anklage wurde trotzdem erhoben. Er blieb mehr als zwei Monate im Gefängnis.
Die zwischenzeitliche Selbstbezichtigung des seit Anfang der 80er Jahre agierenden Todesschwadrons „Rächender Jaguar“ kam recht ungelegen, wies sie doch auf den – von anderer Seite von Beginn an vermuteten – politischen Hintergrund der Tat hin. Schließlich hatte der jaguar justiciero sich zu einigen weiteren Morden vor einigen Jahren bekannt, darunter an einem Präsidentschaftskandidaten und einem Verfassungsgerichtspräsidenten. Es sollte nicht sein, was nicht sein durfte, und so entließ man Vielman erst, nachdem die Ermittler ihren nächsten Coup gelandet hatten.
Der neue Schuldige war eine wirkliche Besonderheit und so ließ man ihn am 22. Juli mit einem Großaufgebot von rund 70 schwerbewaffneten und mit kugelsicheren Westen ausgestatteten Polizisten verhaften – unter Anwesenheit der vorher informierten Medien, denen inoffiziell und vorab eine spektakuläre Story verkauft worden war. Die Tat war demnach ein crimen de passión, ein Mord aus Leidenschaft. Der Beschuldigte war Pfarrer Mario Orantes, der im Zentrum von Guatemala-Stadt in der Pfarrei San Sebastián wohnte, genau dort, wo auch Gerardi gelebt hatte und ermordet wurde. Beide seien homosexuell und hätten sich wegen eines Liebhabers gestritten – oder so ähnlich. Hauptsache, dem Mord lag kein politisches Motiv zugrunde.
Dieses Tatmotiv hatte General Marco Tulio Espinosa, der Chef des Generalstabs des Präsidenten (EMP), im kleinen Kreis in einer Regierungsbesprechung bereits am Tag nach der Ermordung des Bischofs zum besten gegeben. Die Minister und der Präsident streuten die Geschichte nach und nach bis hin zu Diplomatenkreisen. Ende Juni hatte das Gerücht, Gerardi sei homosexuell gewesen, erstmals Einzug in die guatemaltekischen Medien gehalten.*

Der Bericht geriet in Vergessenheit

Hatte schon die Beschuldigung von Vielman nicht allzu sehr überzeugt, so wirkte die Verhaftung von Mario Orantes noch weniger glaubwürdig. Damit ging ein Ziel der Regierung in Erfüllung: Es wurde über den Mord gesprochen, nicht mehr jedoch über den REMHI-Bericht. Die katholische Kirche und die MitarbeiterInnen des Erzbischöflichen Menschenrechtsbüros ODHA konnten diesen neuen Fall von Straffreiheit noch so sehr anprangern, sie erreichten weder dessen Aufklärung noch eine Umsetzung der Empfehlungen des Berichts „Guatemala: Nie wieder!“.
Doch auch der Präsident konnte nicht recht zufrieden sein – noch immer war der Mord Tagesgespräch in Guatemala. Im August löste er die hochrangig besetzte Untersuchungskommission auf, die er aufgrund des öffentlichen Drucks unmittelbar nach dem Mord eingesetzt, aber mit geringen Ermittlungskompetenzen ausgestattet hatte. Zugleich ging er auf Konfrontation zur katholischen Kirche, die wiederholt die schleppende Umsetzung der Friedensvereinbarungen vom Dezember 1996 kritisierte und aktuelle Menschenrechtsverletzungen öffentlich machte. Im September erklärte er in einer Rede vor Militärkadetten, daß jene „Gruppen, die im Ausland Menschenrechtsverletzungen anklagen“, „fast Vaterlandsverräter“ seien – und meinte damit natürlich auch die Kirche.

Ein dubioser Staatsanwalt…

Eine zentrale Rolle bei der Verschleierung des Mordfalls spielte von Beginn an Staatsanwalt Otto Ardón, der früher für die Luftwaffe tätig war. Er weigerte sich, konkreten Hinweisen auf die Tatbeteiligung zweier Militärs nachzugehen. Die Spur deutete auf den Oberst im Ruhestand Byron Lima Estrada und seinen Sohn Byron Lima Oliva, Offizier des EMP. Ein Zeuge hatte sich ein Nummernschild gemerkt, das zu einem Auto der Militärbasis von Chiquimula gehörte, die Lima Estrada früher kommandiert hatte. Noch im Ruhestand gehörte er zu einer Gruppe von Offizieren, die sich regelmäßig mit EMP-Chef Espinosa trafen und gegen das Friedensabkommen waren.
Lima Estrada war vom Fach: Er hatte einige Zeit die geheime Militäreinheit G-2 befehligt, die neben dem EMP für die meisten Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist, wie dies kürzlich auch von der Wahrheitskommission der Vereinten Nationen bestätigt wurde. Lima Estradas Sohn wiederum gehörte innerhalb des EMP einer mit Geheimdienstinformationen ausgestatteten Spezialeinheit an. Den Hinweis auf die beiden hatten Mitarbeiter der ODHA erhalten und an Ardón weitergeleitet. Die ODHA stellte selbst Untersuchungen an, da sich die Staatsanwaltschaft weigerte, in sämtliche möglichen Richtungen, also auch beim Militär selbst, zu ermitteln. Sie fand heraus, daß Lima Oliva bei einer Befragung gelogen und für die Tatzeit ein falsches Alibi angegeben hatte.
Doch für Präsident Arzú ist das EMP tabu, gehört dieses innerhalb des Militär doch zu seinen zuverlässigsten Stützen. So meinte ein Mitglied der offiziellen Untersuchungskommission zum Anliegen der ODHA, auch beim EMP nachzuforschen: „Sie wissen, daß wir aus Gründen der Regierbarkeit die Präsidentengarde nicht untersuchen können.“ Was die Untersuchungskommission nicht wollte beziehungsweise durfte, dazu war Staatsanwalt Ardón erst recht nicht bereit.
Doch Ardón geriet in die Defensive. Ein kirchlicher Untersuchungsbericht listete zahlreiche Ermittlungsfehler bis hin zur Vernichtung wichtiger Beweismittel auf, und das Menschenrechtsbüro ODHA stellte wegen Begünstigung und Verletzung der Amtsgeheimnisse Strafanzeige gegen den Staatsanwalt.

… und ein zweifelhafter Gerichtsmediziner

Der Obduktionsbericht über den Mord an Juan Gerardi war eindeutig. Der Bischof wurde mit einem schweren Stein, der am Tatort gefunden worden war, erschlagen. An der Autopsie waren mehrere Gerichtsmediziner beteiligt. Doch wo Klarheit herrscht, kann auch Verwirrung gestiftet werden: Staatsanwalt Ardón wurde aktiv und schickte die Fotos der Untersuchung dem spanischen Gerichtsmediziner José Manuel Reverte Coma.
Vielleicht hatte Reverte Coma mit seinem Verhalten in El Mozote für den Staatsanwalt die nötige Befähigung bewiesen. Dort hatte das Elitebataillon Atlacatl im Dezember 1981 beim größten Massaker während des salvadorianischen Bürgerkriegs fast 1.000 Menschen hingeschlachtet. Nach Abschluß des Friedensabkommens in El Salvador wurde mit umfangreichen Exhumierungen begonnen, bei denen mehrere Hundert Leichen gefunden wurden. Ohne seine Behauptung begründen zu können, gab Reverte Coma damals an, es seien die Leichen von im Kampf gefallenen Guerilleros gefunden worden. Wegen seines unprofessionellen Verhaltens wurde er daraufhin aus dem Untersuchungsteam der Vereinten Nationen ausgeschlossen.
Im Gegensatz zum Bericht der guatemaltekischen Gerichtsmediziner glaubte der 76jährige Reverte Coma Bißwunden auf den Fotos von Gerardis Leichnam zu sehen. Ardón schloß daraus, daß Pfarrer Orantes der Täter sei, schließlich habe dieser einen Hund, welcher den Bischof vor oder nach dem Mord gebissen haben müsse. So wurde neben Orantes und der ebenfalls in der Pfarrei wohnenden Köchin Margarita López auch Balú, ein alter Schäferhund verhaftet. Sein Aufstieg zum Medienstar begann. Sieben Monate blieb der Hund in Untersuchungshaft.
Nach einigem Drängen konnte die ODHA im September eine Exhumierung von Gerardis Leichnam durchsetzen. Neben zwei der angesehensten Gerichtsmedizinern der USA nahm auch Reverte Coma an der erneuten Autopsie teil. Während dieser auf den Bißspuren beharrte, legten die US-Mediziner einen detaillierteren Bericht vor, in dem die Bißspuren erneut rundherum ausgeschlossen wurden.

Ein altersschwacher Hund als Mittäter

Auch die Tatsache, daß Balú an einer altersbedingten Knochenkrankheit leidet und sich kaum noch auf den Beinen halten kann, somit als Mittäter kaum in Frage kommt, konnte weder den Staatsanwalt noch den Untersuchungsrichter beeindrucken – Orantes und Balú blieben in Haft.
Am 21. Oktober präsentierte Ardón schließlich seine Anklage gegen Orantes. Der Mord sei mit Hilfe von Balú ausgeführt worden, „der für so einen Angriff dressiert worden war“. Ein Motiv hatte aber auch der Staatsanwalt nicht ausfindig gemacht. Regierung und Militär konnten zufrieden sein, ein politischer Hintergrund der Tat wurde vom Staatsanwalt ausgeschlossen.
Im Dezember gab Ardón den Fall jedoch ab. Vielleicht wollte er einer Ablösung zuvorkommen – was ihm ein Jahr zuvor schon einmal widerfahren war. Damals hatten Angehörige der Opfer eines Massakers, bei dem mehr als 300 Menschen ermordet worden waren, gegen sein eindeutig parteiisches Verhalten zugunsten der angeklagten Soldaten Beschwerde eingelegt. Der neue Staatsanwalt Celvin Galindo beklagte sich über seinen Vorgänger: „So viele Beweise und Informationen sind verloren gegangen. Acht Monate wurden verschwendet. Ardón hat mich ohne Fall gelassen.“

Wachsende Verwirrung

In der Tat waren zwischenzeitlich eine ganze Reihe neuer Informationen aufgetaucht, die es einerseits immer wahrscheinlicher machten, daß Militärs am Bischofsmord beteiligt waren – und die allermeisten Spuren deuteten auf das EMP, den Generalstab des Präsidenten hin, andererseits besteht der Verdacht, daß Mario Orantes mehr weiß, als er auszusagen bereit ist.
Auch die Personen, die auf Orantes’ Benachrichtigung hin zuerst am Tatort erschienen, sind ins Zwielicht geraten: Der Kanzler der Kurie, Monseñor Hernández, ist mittlerweile vorzeitig in Ruhestand gegangen, und Ana Lucía Escobar, die Tochter von Hernández’ Haushälterin, war Ende 1997 wegen des Verdachts verhaftet worden, einem Entführungsring anzugehören. Außerdem seien Angehörige von Hernández in Kunstraub in Kirchen verwickelt. Dies habe Hernández gewußt, und Gerardi habe davon erfahren. Deswegen sei er ermordet worden. Doch es blieb bei Spekulationen, die vermeintlichen Spuren verliefen im Sande. Im Februar ordnete Untersuchungsrichter Henry Monroy die Freilassung von Mario Orantes an. Auch nach sieben Monaten Haft lagen keine Beweise für eine Tatbeteiligung vor.
Für Ärger sorgte wenig später allerdings die Erklärung von Bischof Mario Ríos Montt, dem Nachfolger Gerardis als Verantwortlicher des Erzbischöflichen Menschenrechtsbüros ODHA, die Kirche habe bereits im November ein Angebot erhalten, daß Orantes unverzüglich freigelassen werden könne, wenn die Kirche Regierung und Armee von jeder Schuld in diesem Fall freispräche.

Der wichtigste Zeuge flieht ins Ausland

Nur wenige Wochen vorher war der wichtigste Zeuge wieder aufgetaucht. Jorge Diego Méndez Perussina arbeitete als Taxi-Fahrer und hatte sich das Nummernschild jenes Fahrzeugs notiert, das er zur Tatzeit vor der Pfarrei San Sebastián gesehen hatte und das der Armee gehörte. Nach seiner ersten Aussage war ein Kollege, der sein Taxi übernommen hatte, von Unbekannten ermordet worden. Am Tag vor seiner Aussage vor dem neuen Staatsanwalt war er von zwei Männern in ein Auto gezwungen worden, konnte ihnen jedoch entkommen, als diese an einer Telefonzelle haltmachten. Nachdem sein Name erstmals in den Medien auftauchte, erhielt er von seinem Onkel, dem früheren Verteidigungsminister General Roberto Perussina die Warnung, man werde versuchen, ihn zu ermorden. Am 25. Februar, der Tag, an dem die Wahrheitskommission ihren Abschlußbericht „Die Erinnerung an das Schweigen“ veröffentlichte, ging Méndez Perussina außer Landes.

Die Lügen der Armee…

Nach und nach wurden immer neue Täuschungsmanöver und Lügen der Armee bekannt. So hatte sie zunächst abgestritten, daß das Nummernschild des Autos, das Méndez Perussina am Tatort gesehen hatte, zu einem Fahrzeug der Armee gehörte. Auch die Anwesenheit von EMP-Mitgliedern in der Mordnacht am Tatort, wo sie nichts zu suchen hatten, wurde lange Zeit von der Militärführung abgestritten. Nachdem deren Anwesenheit aufgrund eindeutiger Beweise nicht länger zu leugnen war, erdreistete sich Verteidigungsminister Héctor Barrios vor der Presse zu behaupten, diese seien auf Ersuchen von Helen Mack an den Tatort geeilt.

…und ihres Ministers

Helen Mack bemüht sich seit mehreren Jahren, die Verantwortlichen für den Mord an ihrer Schwester, der Anthropologin Myrna Mack, die 1990 vom Militär umgebracht wurde, vor Gericht zu bringen. Nachdem sie bereits die Verurteilung der unmittelbaren Täter erreicht hat, kämpft sie nun für eine Verurteilung der Auftraggeber und politisch Verantwortlichen des Mordes – zu denen unter anderem der damalige EMP-Chef General Edgar Godoy Gaitán zählt.
Entweder ist Verteidigungsminister Barrios ein skrupeloser Zyniker oder dümmer als das Militär erlaubt. Nach der Aussage von Mariano Rayo, einem Mitarbeiter von Präsident Arzú, der angab, er habe die EMP-Leute zur Pfarrei San Sebastián geschickt, gab Barrios an, er sei von der Presse falsch zitiert worden. Erst als Helen Mack auch diese Lüge aufdeckte, da sie eine Aufnahme besagter Pressekonferenz des Verteidigungsministers hatte, verstummte dieser ersteinmal. Daß er allerdings, wie von der ODHA gefordert, aufgrund „mangelnder ethischer Qualifizierung“ von seinem Amt zurücktritt, ist ziemlich unwahrscheinlich.
Zurückgetreten ist Mitte März statt dessen, nachdem er den Fall erst zwei Monate zuvor übernommen hatte, Untersuchungsrichter Henry Monroy. Nur wenige Tage zuvor hatte Staatsanwalt Celvin Galindo erklärt, er werde nun verstärkt die Hinweise untersuchen, die auf einen politischen Mord deuten. Als Gründe nannte Monroy, daß er bedroht wurde – unter anderem wurde ihm Mitte März eine Bombenattrappe in sein Büro geschickt –, sowie die mangelnde Unterstützung seiner Vorgesetzten für seinen Kampf gegen die Korruption im Justizapparat.

Die Interessen des Präsidenten

Zahlreiche Spuren führen zum Militär, immer wieder wird das EMP, der Generalstab des Präsidenten, im Zusammenhang mit dem Bischofsmord genannt. Frank LaRue, der Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation CALDH sagte kürzlich, er gehe davon aus, daß Arzú zwar nicht selbst in den Mord verwickelt sei, doch im präsidentialistischen Guatemala sei klar, „daß der Präsident früher oder später fast alles erfährt. Arzú weiß sicherlich, wer für die Tat verantwortlich ist, tut aber nichts für ihre Aufklärung.“ (siehe LN 298) Ein anderer Menschenrechtler, der anonym bleiben wollte, erklärte den möglichen Grund: Arzú sei zwar nicht selbst in die Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit verwickelt, wolle das EMP aber unbedingt schützen, da deren Chef General Espinoza dafür sorge, daß Arzú unbehelligt seinen schmutzigen Geschäften nachgehen könne. Bei der Privatisierung der Staatsbetriebe sei so manches Schnäppchen zu machen, und da würde auch der Präsident profitieren.

Die Schwäche der Justiz

Guatemalas oberster kirchlicher Würdenträger, Erzbischof Próspero Penados del Barrio, erklärte Ende März, daß er mittlerweile davon ausgehe, auch der Mord an Juan Gerardi werde straffrei bleiben: „Zu viele Dinge müßten aufgedeckt werden, das werden die guatemaltekischen Autoritäten nicht zulassen.“
Tatsächlich spricht vieles für diese Befürchtung. Sowohl im REMHI-Bericht als auch im Bericht der Wahrheitskommission wird das Justizsystem als dringend reformbedürftig eingeschätzt. Mit Guatemalas Justitia ist tatsächlich kein Rechtsstaat zu machen. Dies sehen auch die Vereinten Nationen so. Seit Abschluß des Friedensabkommens gibt es zwar keinen speziellen UN-Menschenrechtsberichterstatter für Guatemala mehr, seit einigen Wochen aber einen gesonderten Berichterstatter zur Überprüfung der Unabhängigkeit des Justizsystems. Dies hat die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen in Genf im März auf Antrag von 40 Nichtregierungsorganisationen beschlossen. Diese präsentierten mehr als 800 Fälle von Straffreiheit, für die sie Guatemalas Richter und Staatsanwälte mitverantwortlich machen. Bezeichnenderweise hat sich Generalstaatsanwalt Adolfo González gegen diese Überprüfung ausgesprochen, da sie „eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes“ sei.

Werden die Täter nervös?

Seit einigen Wochen häufen sich die Drohungen und Übergriffe auf jene Kirchenmitarbeiter, die mit den Ermittlungen zum Fall Gerardi befaßt sind oder die Kirche dabei in der Öffentlichkeit vertreten. Sowohl Erzbischof Próspero Penados del Barrio als auch Gerardis Nachfolger Bischof Mario Ríos Montt haben Todesdrohungen erhalten. Rechtsanwalt Mynor Melgar, der die ODHA im Fall Gerardi vor der Justiz vertritt, wurde gleich mehrmals von Unbekannten verfolgt. Bisheriger Höhepunkt der Einschüchterungsversuche war der Überfall auf das Haus von ODHA-Direktor Ronalt Ochaeta am 16. April. Drei bewaffnete Männer waren während seiner Abwesenheit in sein Haus eingedrungen, hatten die Haushälterin und seinen vierjährigen Sohn bedroht und seine Unterlagen durchsucht. Beim Verlassen des Hauses hinterließen sie eine Bombenattrappe.
Niemand in Guatemala zweifelt ernsthaft daran, daß diese Taten in Zusammenhang mit dem Fall Gerardi stehen. Daß sie gerade jetzt so gehäuft auftreten, könnte darauf hinweisen, daß die Verantwortlichen für den Bischofsmord nervös werden. Sowohl Staatsanwalt Galindo als auch die neue Untersuchungsrichterin Flor de María García ermitteln in Militärkreisen. Dies ist nicht zuletzt dem Druck der katholischen Kirche zu verdanken. So wären die Drohungen der letzten Wochen auch eine Rache dafür, daß die Kirche verhindert hat, daß der Mord an Bischof Gerardi als ein weiterer der unzähligen Fälle von Straffreiheit zu den Akten gelegt wird.

Anmerkung:
* Diese und weitere Informationen entstammen dem Artikel „Murder comes for the bishop“ von Francisco Goldman aus der Zeitschrift „The New Yorker“ vom 15. März 1999.

Das Bischöfliche Hilfswerk Misereor hat eine sehr empfehlenswerte gekürzte Übersetzung des REMHI-Berichts veröffentlicht. REMHI (Hg.): Guatemala: Nie wieder!, Misereor Medienvertrieb, Aachen 1998, 382 Seiten, 28,- DM
(ca. 14 Euro).

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