Nicaragua | Nummer 197 - November 1990

“Concertación” und Gewalt

Bernd Pickert

“Concertación” mal mit, mal ohne sandinistische Gewerkschaften

Nachdem die “Konzertierte Aktion” auf Einladung der Regierung am 20. September ohne die Anwesenheit der sandinistischen Gewerkschaften und Organisationen begonnen worden war (siehe LN 196), hatten sich zunächst die rechte Regierung mit den rechten Unternehmern, den rechten Gewerkschaften unter Aufsicht der rechten katholischen Amtskirche allein konzertiert; dementsprechend langweilig war diese Veranstaltung, deren Choreographie von Propagandaminister Danilo Lacayo geleitet und im staatlichen Fernsehen direkt übertragen wurde. Interessant wurde es für die langsam wegdämmernden Jour­nalistInnen erst, als sich mit einigen kräftigen Böllerschüssen die Anwesenheit der ArbeiterInnen der FNT (Nationalen ArbeiterInnenfront) vor den Türen des Kongreßzentrums ankündigte. die FNT lehnte den von der Regierung verkün­deten Wirtschaftsplan komplett ab und rief stattdessen zu einer Woche des “Nationalen Protests gegen Hunger und Arbeitslosigkeit” auf, die am 1. Oktober beginnen sollte.
Aus Angst vor einer neuen Ausweitung der Proteste – es schien sich ein neuer Generalstreik anzukündigen – trat die Regierung bereits vor Beginn der Aktion in Gespräche ein: Daniel Ortega traf sich mehrmals mit Antonio Lacayo, dem “Präsidialamtsminister” der Regierung Chamorro und eigentlichen Regenten des Landes. Als Ergebnis dieser Unterredungen wurden einige Zugeständnisse und Erleichterungen bekanntgegeben, so zum Beispiel ein vorläufiger Entlassungs­stop im staatlichen Bereich (bis darüber Einigkeit bei der “Concertación” erzielt sei), Erleichterungen in der Bezahlung der überhöhten Wasser- und Stromrech­nungen und ein Sofortprogramm für die von der Trockenheit in Teilen des Lan­des verheerend betroffenen Nordregionen. Die Protestwoche verlief daraufhin glimpflich, und die FNT erklärte schließlich, daß sie unter diesen Bedingungen an der “Concertación” teilnehmen werde.
Die Verhandlungen liefen auch an, Arbeitskommissionen wurden gebildet, um die verschiedenen Bereiche der “wirtschaftlichen und sozialen Konzertierten Aktion” abzudecken. Als die Regierung jedoch offen gegen die vorher gemachten Erklärungen verstieß und auch weiterhin Entlassungen stattfanden, verließ die FNT erneut den Verhandlungstisch und kündigte weiteren Druck von außen an. Bei Redaktionsschluß wurde in den Reihen der FNT ein Wiedereintritt diskutiert.

Terrorakte häufen sich

Dieser Poker um die “Concertación” findet statt vor dem Hintergrund zuneh­mender Gewaltakte. Nachdem im Zuge des Juli-Streiks das rechte Hetzradio “Radio Corporación” durch einen Anschlag zerstört worden war, traf es Anfang Oktober, pünktlich zum angekündigten Beginn der “Nationalen Protestwoche gegen Hunger und Arbeitslosigkeit”, das pro-sandinistische Radio “La Primerí­sima”, dessen Einrichtungen durch einen Sprengstoffanschlag fast vollständig zerstört wurden. Am 14. Oktober explodierte ein Sprengsatz in der Garage des Privathauses von Jaime Cuadra, dem Beauftragten des Innenministeriums in der Region Matagalpa. Während dieser Anschlag wie auch die vorangegangenen gegen die Radiosta­tionen von allen Medien und politischen Kräften einschließlich der FSLN verur­teilt wurde, beschuldigte Cuadra die SandinistInnen als Urheber des Attentats: “Der einzige Feind, den ich habe, ist die FSLN.”
Nur zwei Tage später, am 16. Oktober, zerstörte eine Granate fünf Busse auf einem Busbahnhof der staatlichen Transportgesellschaft ENABUS. Um ENABUS wird nun schon seit Mitte September ein heftiger Konflikt geführt, seit Wochen verkehren die Busse so gut wie gar nicht mehr. Die der FNT angeschlossenen ArbeiterInnen streiken für die Entstaatlichung des Betriebs und seine Umwand­lung in eine Kooperative. Die ArbeiterInnen des betroffenen Busbahnhofs hatten sich nicht an diesem Streik beteiligt. ArbeiterInnen der FNT und der Rechts­gewerkschaft CUS beschuldigen sich gegenseitig der Urheberschaft für den Anschlag. Kardinal Obando y Bravo forderte in seiner Predigt vom 14. Oktober auf, “gegen den Terrorismus zu beten”. Wenn das nutzt…
Vor allem in den ländlichen Gebieten gehen derweil auch die Angriffe der “außer Dienst gesetzten” Contras weiter. Nachdem es bereits zuvor bei einem Überfall auf die Kooperative La Dalia in San Juan del Río Coco im Norden Nicaraguas zu einem dreistündigen Gefecht und Toten gekommen war, stürmten am 1. Oktober rund 200 mit Gewehren, Granaten und Messern bewaffnete (Ex-?)Contras die kleine Ortschaft Waslala in der Region Matagalpa. Nach mehreren Tagen mit Geiselnahmen, Entführungen und Verhandlungsversuchen brachten am 5. Oktober das Sandinistische Volksheer und die Polizei die Situation wieder unter Kontrolle.

Kasten 1:

Carlos Nuñez gestorben
Comandante Carlos Nuñez, eines der Mitglieder der neunköpfigen Nationalleitung der FSLN, ist nach langer Krankheit am 2. Oktober in einem Krankenhaus in Havanna gestorben. Nuñez, der sich vor 20 Jahren als Student dem Untergrundkampf der FSLN-Guerilla anschloß, war seit den Parlamentswahlen 1984 bis zum Mai dieses Jahres Präsident der nica­raguanischen Nationalversammlung und in dieser Funktion führend an der Ausarbeitung der ersten freiheitlichen Verfassung Nicaraguas beteiligt.
Am 3. Oktober wurde der tote Carlos Nuñez nach Managua überführt, wo ihn eine große Menschenmenge am Flughafen erwartete. Ein vierstündiger Trauermarsch, in dem rund 50.000 Menschen “ihren Carlos” zum 15 km entfernten Revolutionsplatz trugen, wurde zu einer “kämpferischen Ehrung für unseren toten Bruder Carlos”, wie Daniel Ortega in seiner Ansprache sagte. Und gewandt an die nicaraguanische Rechte, die zum Tode von Nuñez die Chamorro-Zeitung Prensa triumphierend titeln ließ: Einer der neun ist tot “Sie merken nicht, daß wir nicht nur neun sondern Hunderttausende sind!”Berichtigung: Tinoco, nicht Tirado
In unserem Bericht über die Wahlen für die regionale Leitung der FSLN im Departamento Managua in den letzten LN ist ein vom unseligen Redigenten ver­bockter Fehler zu berichtigen: Nicht das Mitglied der Nationalleitung Victor Tirado ist dort zum Vize gewählt worden, sondern Victor Hugo Tinoco, der in der sandinistischen Regierung Vize-Außenminister war. So sorry, wir bitten um Entschuldigung.

Kasten 2:

Laßt Otmar und Harald wieder arbeiten!
InternationalistInnen verhaftet und von Ausweisung bedroht
Bei einem Empfang der deutschen Botschaft in Managua zum “Tag der Deutschen Einheit” am 3. Oktober protestierte vor den Toren des Veranstaltungs­saales eine Gruppe von Deutschen mit Plakaten und Flugblättern gegen die deutsche Einheit. Das Flugblatt wies – in recht dozierender Manier – auf die Folgen der deutschen Einheit für Nicaragua und andere Länder der “Dritten Welt” hin. Am Rande und von den OrganisatorInnen des Protestes nicht geplant, erkletterte eine Deutsche die Bühne und entriß dem Botschafter das Mikrophon. Daraufhin wurde sie von den Sicherheitskräften der Botschaft festgehalten, später aber wieder laufengelassen. Offenbar auf direkte Anordnung des nicara­guanischen Innenministers Carlos Hurtado wurden im Anschluß an die Veran­staltung drei Deutsche, eine Nicaraguanerin und eine Holländerin festgenommen unter dem Vorwurf, die öffentliche Ordnung gestört zu haben. Diejenige Deutsche, die auf die Bühne gesprungen war, und die Holländerin, die sich offenbar als Journalistin auf der Veranstaltung betätigte – sie war in Nicaragua akkreditiert – wurden bereits zwei Tage später wieder ausgewiesen, ohne eine Möglichkeit der juristischen Verteidigung. Während die Nicaraguanerin nach einem Tag wieder freigelassen wurde, kamen die beiden Deutschen – Otmar Jung, der als Ingenieur seit 1985 in der Kartonfabrik “La Cartonera” in Granada arbeitet und Harald Schöngart, Zimmermanns(und -fraus?)ausbilder in der Holzwerkstatt “Tonio Pflaum” in Monimbó / Masaya – erst fünf Tage später wie­der frei, mit der Auflage, binnen zehn Tagen das Land zu verlassen.
In Nicaragua arbeitende Nicht-Regierungs-Organisationen und Solidaritäts­gruppen sowie die ArbeiterInnen der Werkstätten der beiden protestierten gegen die drohende Ausweisung, auch der offizielle Deutsche Entwicklungsdienst DED setzte sich für sie ein. Nach einem Gespräch mit dem Innenministerium und der letztendlichen Intervention des deutschen Botschafters Boomgarden scheint der­zeit die Chance zu bestehen, daß die Ausweisungsdrohung aufgehoben und der Status der beiden als “Residentes” wiederhergestellt wird.
Unverständlich bleibt, warum diese Aktion überhaupt gestartet werden mußte, ist doch der Kampf um die deutsche Einheit / gegen die Annektion in Deutsch­land selbst, nicht in Managua auszufechten. Wenn Deutsche in Managua Auto­reifen verbrennen, wie bei dieser Aktion geschehen, so ist das eine Art der Anpassung an die Gepflogenheiten des Landes, bei der sich dem Beobachter die Haare sträuben, und: Was früher nur dumm und peinlich war, ist heute sogar gefährlich – deswegen aber nicht weniger dumm und peinlich.

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