Gewerkschaften | Nummer 323 - Mai 2001

Das bisschen Haushalt …

Vom „kleinen Unterschied“ in der Gewerkschaftsarbeit der Landarbeiterinnen und Hausangestellten Brasiliens

Die Diskriminierung von Frauen in der brasilianischen Gesellschaft macht auch ihre Gewerkschaftsarbeit zu einem harten und langwierigen Kampf gegen die von Männern dominierten ArbeitnehmerInnenvertretungen. Dabei fällt den ausgegrenzten Berufsgruppen der Hausangestellten und Landarbeiterinnen die Durchsetzung ihrer Rechte besonders schwer.

Tina Kleiber, Nina Frank

Die Geschichte gewerkschaftlicher Organisierung brasilianischer Frauen ist eine Geschichte des Ausschlusses. Lohnarbeitende Frauen werden als Teil der erwerbstätigen Bevölkerung bis in die 70er Jahre kaum wahrgenommen. Sie werden lediglich als Reservearmee betrachtet, die temporäre Bedarfslücken füllt. Als gleichberechtigte Beschäftigte oder gar als Familienvorstände sind sie nicht vorgesehen – weder aus Sicht des Staates noch aus Sicht der Gewerkschaften. Die arbeitsrechtlichen Mindeststandards, die die ersten brasilianischen Gewerkschaften seit 1907 erkämpfen, orientieren sich bis in die 60er Jahre an der Realität männlicher fest angestellter Fabrikarbeiter und Angestellter städtischer Unternehmen.
Dementsprechend ist der Ausgangspunkt für die Organisierung von Frauen lange Zeit nicht die Gewerkschaft. Obwohl 1956 in Rio de Janeiro die 1. Nationale Konferenz der Arbeiterinnen stattfindet und 1963 auf dem Nationalen Treffen der Arbeiterinnen gleicher Lohn sowie die Geltung der Arbeits- und Sozialgesetzgebung für Frauen gefordert werden, vollzieht sich der Aufbruch für die wenigsten Frauen über ihre Identität als Lohnarbeiterin. Rechtlich sind Frauen zu diesem Zeitpunkt zu Bürgerinnen zweiter Klasse degradiert. Noch 1962 waren Frauen rechtlich gesehen nicht geschäftsfähig – ebnso wie Nachfahren indigener Völker, geistig Behinderte und Minderjährige.
Erst der feministische Aufbruch der 70er Jahre zwingt auch die Gewerkschaften dazu, die Arbeit von Frauen und deren Doppelbelastung wahrzunehmen und sich gegenüber frauenspezifischen Forderungen sowie der Beteiligung von weiblichen Delegierten zu öffnen. In der Euphorie der Redemokratisierung Brasiliens der frühen 80er Jahre nähern sich zunächst alle aktiven sozialen, kirchlichen und gewerkschaftlichen Bewegungen. Bis dahin weit gehend tabuisierte Themen – sexuelle Gewalt, häusliche Gewalt, das Recht auf freie Entscheidung übers Kinderkriegen und das Recht auf eine erfüllte Sexualität – können nicht länger ignoriert werden. Die Verankerung wichtiger Forderungen der Frauenbewegung in der neuen brasilianischen Verfassung von 1988 bleibt der vorläufige Höhepunkt dieses Prozesses. 1993 erreichen die Frauen nach einer zweijährigen Auseinandersetzung im Dachverband der Gewerkschaften, CUT (Central Unica dos Trabalhadores), die Festlegung von Mindestquoten für Frauen.Von einer Gleichstellung der Frauen in der Gewerkschaftsarbeit kann jedoch auch heute noch keine Rede sein.
Von Diskriminierung betroffen sind besonders Berufsgruppen, deren Arbeitsplatz im Bereich der reproduktiven Arbeit angesiedelt ist: Hausangestellte müssen weiterhin gegen das Stigma ankämpfen, keinen richtigen Beruf auszuüben. Ihre rechtliche Gleichstellung mit anderen Berufsgruppen steht immer noch aus. Die Grenzen zwischen produktiver und reproduktiver Arbeit sind auch bei den Landarbeiterinnen fließend und führen dazu, dass die Frauen oft als „Nur-Hausfrauen“ und als „Hilfskräfte in der Landwirtschaft“ eingestuft werden.
Eine erfolgreiche gewerkschaftliche Organisierung dieser Berufsgruppen findet erst seit Mitte der 80er Jahre statt.

Feuchtes Treffen

Die im Nordosten Brasiliens besonders stark vertretene MMTR (Movimento de Mulheres Trabalhadoras Rurais) ist eine nationale Bewegung, aber keine Gewerkschaft. Vanete Almeida, eine der ersten Frauen, die sich in die Männerwelt der Landarbeitergewerkschaften gemischt hat, erzählt wie alles anfing: „Mit einem Treffen 1984, das später das „feuchte Treffen“ genannt wurde. Dabei war es damals überhaupt nicht feucht, sondern noch trockener als sonst schon in der Dürreregion des brasilianischen Nordostens, dem Sertão. Vier Jahre hintereinander war selbst in den sonst schon kärglichen Regenmonaten kein Tropfen vom Himmel gefallen. Und diese seca, die Dürre, war der Anlass, dass Bäuerinnen und Tagelöhnerinnen der Region erstmals öffentlich zusammenkamen – etwas was sie sonst den Männern in der Landarbeitergewerkschaft überlassen hatten. Grund war die Verzweiflung der Frauen, während des Notstands nicht in die üblichen staatlichen Beschäftigungsprogramme aufgenommen worden zu sein. Während die Männer etwa beim Straßenbau wenigstens kleinste Summen zum Überleben verdienen konnten, gingen die Frauen leer aus. Das Treffen war ein voller Erfolg. Die Frauen ereichten es mit ihrem Protest, in die Programme integriert zu werden.“
Warum aber das „feuchte Treffen“? „Wir nannten es später so, weil die Frauen nicht mehr aufhören wollten, zu weinen und zu weinen. Es gab einen Workshop mit dem Titel „Wer bin ich?“ und sie entdeckten, dass sie von niemandem respektiert werden, dass sie noch nicht einmal das Recht haben zu denken, geschweige denn, sich zu äußern. Dass die Frauen es wagten, für solche Treffen das Haus zu verlassen, stieß auf heftigen Widerstand der Männer. Es war für viele Frauen ein großes Opfer, von zu Hause wegzugehen, denn so etwas hatte es noch nie gegeben. Die Ehemänner waren sehr skeptisch. Es gab Frauen, die standen um drei Uhr morgens auf, um das Haus mit Brennholz, Wasser und frischer Wäsche versorgt zu haben, bevor sie losgingen – damit der Mann und die kleinen Kinder bloß nichts machen mussten. Bisher waren die Frauen weder bei den Basisgruppen der Gewerkschaft noch bei den Mitgliederversammlungen dabei. Selbst wenn sich die Gewerkschaftsgruppe bei einer Frau zu Hause traf, bereitete sie zwar das Essen zu, kam aber zum Zuhören nur bis in den Flur und blieb dort stehen.“
1985 fand der 4.Kongress brasilianischer Landarbeiter in Brasília statt. Von den 5.000 teilnehmenden Delegierten waren damals nur 60 Frauen. Auf Druck der Frauen hat sich seit dem viel getan: Von den Frauen aus den Hunderten von lokalen Basisgruppen, die zusammen das MMTR bilden, ist ein beachtlicher Teil Mitglied der LandarbeiterInnengewerkschaft geworden. Seminare und Kampagnen führen das MMTR und die Gewerkschaft meist gemeinsam durch – die fraueneigenen Basisstrukturen und -treffen bleiben bestehen.
1991 bedurfte es einer aufwendigen Kampagne seitens der Bewegung der Landarbeiterinnen, damit sich in der Landwirtschaft tätige Frauen bei der Volkszählung nicht als Hausfrau (dona de casa) einstufen ließen, womit sie ihren Rentenanspruch verlieren. Wie jung die Bürgerrechte für Frauen noch sind, zeigt auch die wenig später folgende Aktion „Keine Landarbeiterin ohne Papiere“. Sie wurde initiiert, um mit dem unhaltbaren Zustand aufzuräumen, dass Landfrauen weder über Besitztitel für ihr Grundstück oder Häuschen noch über Nachweise über die von ihnen geleistete Arbeit verfügen.
Seine organisatorische Stärke demonstrierte das MMTR 1996 anlässlich des ersten Treffens lateinamerikanischer und karibischer Landarbeiterinnen aus 22 Ländern in Fortaleza. Unter dem Motto „2000 Gründe auf die Straße zu gehen“ demonstrieren im Jahr 2000 in Brasilia rund 20.000 Landarbeiterinnen gegen Hunger und Gewalt und für soziale Absicherung. Der im Gedenken an die 1983 ermordete Gewerkschaftsführerin Margarida Alves benannte „Marsch der Margeriten“ war ein Beitrag zum Weltmarsch der Frauen.

Die Gewerkschaft der Hausangestellten

„Sie behaupten zwar, ich wäre wie eine Nichte für sie, aber an ihrem Tisch lassen sie mich nicht mitessen. Ich muss ihnen Tag und Nacht ihre Wünsche erfüllen, und schlafe in der fensterlosen Kammer hinter der Küche. Aber beklagen darf ich mich nicht, sonst verliere ich meine Arbeit, und wo soll ich dann hin?“ Für die fast fünf Millionen Hausangestellten in Brasilien sind solche Abhängigkeitsverhältnisse typisch. Rund ein Drittel der empregadas domesticas wohnen in den Privathaushalten, in denen sie angestellt sind. Zwar haben sie im Gegensatz zu Frauen, die stundenweise in verschiedenen Haushalten arbeiten und gar nicht abgesichert sind, auf dem Papier einige Arbeitsrechte. In der Realität aber werden ihnen diese Rechte häufig verweigert. Ihre ArbeitgeberInnen lehnen es in vielen Fällen einfach ab, das Arbeitsbuch korrekt auszufüllen, das den Hausangestellten Sozialleistungen wie Rente oder Mutterschutz garantiert. Dazu kommt, dass die ArbeitgeberInnen vom ohnehin geringen Mindestlohn (160 DM) einen beliebigen Betrag für Kost und Logis abziehen können. Die Gewerkschaft berichtet von Lohnabzügen von bis zu 70 Prozent. Wegen der praktisch unbegrenzten Arbeitszeiten leben viele der Hausangestellten völlig isoliert, ohne eigene Familie oder einen Freundeskreis. Ihre sozialen Kontakte beschränken sich oft auf die arbeitgebende Familie.
Trotzdem haben sich seit den späten 50er Jahren Hausangestellte zusammengeschlossen, zunächst im Rahmen der Katholischen Arbeiterjugend, recht schnell aber in unabhängigen Vereinigungen. Denn ihre Anliegen stießen bei den männlichen Arbeitern auf wenig Interesse. Die brasilianische Gesetzgebung erkannte die bezahlte Hausarbeit nicht als Berufstätigkeit an, und so sahen das auch die sich organisierenden Arbeiter. Bis heute empfinden die Frauen ihr Verhältnis zum Gewerkschafts-Dachverband CUT als schwierig: „Sie helfen uns zwar mit ihren Erfahrungen bei den Arbeitsgerichten, oder wenn wir überlegen, wie wir uns am besten organisieren. Aber wir fühlen auch, dass sie uns nicht ernst nehmen. Wir sind eben fast nur Frauen, und dass wir uns anders organisieren wollen als sie, können sie nicht verstehen.“ Am Anfang stand deshalb der Kampf für die Anerkennung als Berufsstand. 1972 wurde ihre Arbeit erstmalig als Lohnarbeitsverhältnis anerkannt. Die Anerkennung als Berufsgruppe – und damit das Recht, sich in Gewerkschaften zusammenzuschließen – brachte aber erst die Verfassung von 1988. Andere, für LohnarbeiterInnen sonst geltende Rechte verweigert ihnen eben diese Verfassung aber auch. Denn, so wird argumentiert, sie seien durch ihre besondere Beziehung zur arbeitgebenden Familie sozial abgesichert. Und diese Beziehung dürfe nicht durch die exzessive Gewährung von Arbeitsrechten gefährdet werden.
In vierzig Jahren haben die Hausangestellten viel erreicht. Trotz ihrer schwierigen Lebenssituation, trotz des geringen Organisierungsgrads von nur etwa zwei Prozent, und obwohl ihnen klassische Formen des Arbeitskampfs wie der Streik oder die Wahl von Betriebsvertretungen nicht offen stehen, haben sie sich Rechte erkämpft, die sie mit Hilfe der Hausangestellten-Gewerkschaften auch gerichtlich einklagen können. Dazu gehört aber eine gehörige Portion Mut. Und deshalb konzentriert sich die Arbeit der Gewerkschaft besonders darauf, das Selbstbewusstsein der Frauen zu stärken. Dazu gehört die berufliche Fortbildung genauso, wie den Frauen in der Gewerkschaft ein Umfeld zu schaffen, in dem sie geachtet werden, Solidarität erfahren und sich einen eigenständigen Freundeskreis aufbauen können, der ihre (auch emotionale) Abhängigkeit von den ArbeitgeberInnen reduziert.

Sexuelle Gewalt

Außerdem ist es den Hausangestellten gelungen, ihre gesellschaftliche Diskriminierung öffentlich zu machen. „Wir sind stolz auf unseren Beruf. Da wir das immer wieder laut gesagt haben, ist es uns gelungen, der Gesellschaft zu zeigen, dass die Hausarbeit einen sozialen Wert hat.“, formuliert ein Gründungsmitglied. Eine wichtige Etappe auf dem Weg dahin war der Kampf um die neue Verfassung, in dem die Hausangestellten zusammen mit anderen Frauenbewegungen die Forderung nach rechtlicher Gleichstellung und gegen die Diskriminierung von Frauen in die Gesellschaft trug.
Seitdem intensivierten sich die Kontakte zu feministischen Gruppen. Unterstützt von der Organisation SOS-Corpo hat beispielsweise die Gewerkschaft in Recife Treffen durchgeführt, in denen – zögerlich zwar – damit begonnen wurde, das totgeschwiegene Thema sexuelle Gewalt durch Arbeitgeber anzusprechen. „Für die meisten Frauen ist es schwer, über ihre Sexualität zu sprechen, vor allem, wenn sie vergewaltigt wurden. Die Frauen von SOS-Corpo haben uns sehr geholfen, die Angst zu überwinden, zu sprechen und uns zu wehren. Aber wir vergessen auch nicht, dass die Frauen in diesen Organisationen diese Arbeit machen können, weil sie selbst eine Hausangestellte haben, die ihnen diese Freiheit ermöglicht. Denn ich glaube nicht, dass ihre Männer die Hausarbeit machen!“

KASTEN

Veranstaltungen mit Vanete Almeida, Vertreterin der Landarbeiterinnenbewegung MMTR

Die Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt (ASW) unterstützt den Nationalen Rat der Hausangestellten, die Gewerkschaft der Hausangestellten von Recife sowie die Landarbeiterinnenbewegung MMTR des zentralen Sertão, in Serra Talhada. Im Mai und Juni wird Vanete Almeida, Vertreterin des MMTR aus Serra Talhada mehrere Veranstaltungen in Deutschland durchführen. Folgende Termine stehen fest: Göttingen, 21.5., Foyer Internationaler Begegnung um 20.00 Uhr, Burgstr. 51 (Nähe Wilhelmsplatz) * Osnabrück, 22.05., Lagerhalle, R 205 um 20.00 Uhr * Rolandsmauer 26 (Am Heegener Tor) * Celle, 23.5., Foyer des Gemeindehauses um 19.30 Uhr, An der Stadtkirche 8 * Erkrath-Hochdahl, 28.5., Haus der Kirchen um 19.30 Uhr, Hochdahler Markt 9 * Darmstadt, 29.5., Ev. Südostgemeinde um 19.30 Uhr, Herdweg 122 * Landshut, 30.5., Kleines Theater Landshut um 20 Uhr, Bauhofstr. 1 * Erlangen, 31.5., Caritas-Haus um 19.30 Uhr, Mozartstr.29 * Freiburg, 1.6., um 19 Uhr, Ort telefonisch zu erfragen unter 0761/2022329 (IMBRADIVA e.V.) * Heidelberg, 5.6., Institut für Übersetzen und Dolmetschen, 10:00-11.30 Uhr, Plöckstr. 57a * Berlin, Freitag 8.6., Landwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät der Humboldt-Universität, Hörsaal 11 um 19 Uhr, Invalidenstr. 42 (Quergebäude, 1. OG)
Alle Veranstaltungen finden in Kooperation mit verschiedenen Eine-Welt-Gruppen, Brasiliensolidaritätskreisen sowie gewerkschaftlichen und universitären Arbeitskreisen statt. Weitere Informationen unter Fon 030 251 02 65, Mail oeffentlichkeit@ASWnet.de oder bei der ASW, Hedemannstr. 14, 10969 Berlin.

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