Mexiko | Nummer 432 - Juni 2010

Das Drama von San Juan Copala

Ein Hintergrundbericht über die aktuelle Gewalteskalation im Bundesstaat Oaxaca

Ende April beschossen Paramilitärs eine Friedenskarawane, die sich auf dem Weg in die von Paramilitärs belagerte Gemeinde San Juan Copala befand. Zwei MenschenrechtsaktivistInnen wurden erschossen, zahlreiche TeilnehmerInnen verletzt. Der Überfall ist der vorläufige Höhepunkt der Gewalt in der Region der Triqui-Indigenen. Die Hintergründe des Konflikts reichen zum Teil weit in die Vergangenheit zurück und lassen keine einfache Schuldzuschreibung zu. Die internationale Menschenrechtsarbeit in Mexiko muss nach dem Überfall ihre Konzepte grundsätzlich überdenken.

Philipp Gerber

„Ein Kugelhagel deckte uns ein“, erinnert sich eine Überlebende. Mit Schrecken denkt sie an die Umstände des Überfalls vom 27. April zurück. An jenem Tag befand sich eine deutlich als „Friedenskarawane“ gekennzeichnete Fahrzeugkolonne auf dem Weg in die von Paramilitärs belagerte Gemeinde San Juan Copala, um Lebensmittel und Medikamente zu bringen. Kurz vor ihrem Ziel geriet sie in einen Hinterhalt der paramilitärischen Gruppe UBISORT (Einheit für das Soziale Wohl der Region Triqui). Allein 21 Einschüsse wurden im vordersten Geländewagen gezählt, in dem Beatriz Cariño, 37-jährige Leiterin der lokalen sozialen Organisation CACTUS, und der 33-jährige finnische Menschenrechtsaktivist Jyri Jaakkola getötet wurden. Die zwanzig Überlebenden, darunter MenschenrechtsbeobachterInnen aus Deutschland, Belgien, Italien und Finnland, standen nach der kaltblütigen Attacke unter Schock, mehrere erlitten Schussverletzungen. Die meisten der TeilnehmerInnen gerieten auf der Flucht in die Fänge der Angreifer. „Die Paramilitärs prahlten, sie hätten die Rückendeckung des Gouverneurs Ulises Ruiz Ortiz (von der Revolutionären Institutionellen Partei PRI, Anm. d. Red.), luden ihre Gewehre durch und bedrohten uns“, erzählt die Augenzeugin weiter. Schließlich hätten sie die Gefangenen mit der Bemerkung, dass sie ihnen „für dieses Mal das Leben schenkten“ freigelassen.
Ein Krankenwagen, der sich in das Gebiet wagte, musste unter Beschuss umkehren. Die im Hauptort Santiago Juxtlahuaca stationierte Polizei wagte sich erst 24 Stunden nach dem Überfall kurz in die Region, um die Leichen zu bergen. Vier Vermisste harrten tagelang im Wald versteckt aus. Zwei Aktivisten des libertären Kollektivs VOCAL gelang schließlich die Flucht. Ihr Handy-Video mit Aufnahmen der beiden anderen Vermissten setzte die Behörden, die sich durch völlige Untätigkeit auszeichnen, unter Druck, doch noch eine Suchaktion zu unternehmen. Nach langen 60 Stunden ohne Nahrung wurden der verletzte Fotoreporter und die Journalistin von Contralínea gerettet. Fotos derselben Zeitschrift bezeugen, dass der Suchaktion Absprachen der Polizei mit dem Anführer der Paramilitärs vorausgegangen waren.
Seit Ende 2009 befindet sich die Region, Stammgebiet der indigenen Triquis, im Würgegriff der Paramilitärs. Der Versuch einer indigenen Selbstverwaltung, gestartet 2007, wurde damals durch die paramilitärische Besetzung des Gemeindesitzes von San Juan Copala abgewürgt. Am schlimmsten ist die Situation in der Gemeinde San Juan Copala selbst. „Strom und Wasserzufuhr wurden gekappt, weder LehrerInnen noch medizinisches Personal sind noch im Dorf, und wenn die Frauen auf der Suche nach Wasser und Essen sich trauen, die Häuser zu verlassen, werden sie bedroht”, erzählt Jorge Albino Ortíz, Sprecher des autonomen Bezirks. Die mit schweren Waffen ausgestatteten Paramilitärs der UBISORT und der MULT (Bewegung der Vereinigung und des Kampfes Triqui) kontrollieren seitdem den Zugang zu der Gemeinde. Über 20 politische Morde, auch an Frauen und Kindern, wurden seit Ende des letzten Jahres verübt. Opfer haben alle Konfliktparteien zu beklagen. Die Karawane wollte diese unhaltbare Situation dokumentieren, den eingeschlossenen DorfbewohnerInnen helfen und auch die LehrerInnen an ihren Arbeitsplatz zurück begleiten. Noch am Vortag der Ankunft kündigte der Sprecher der UBISORT an, sie würden die Karawane stoppen. Er machte seine Drohung war – mit tödlichen Konsequenzen. Doch wie konnte die Situation überhaupt so eskalieren?
Es ist kein leichtes Unterfangen, die historischen Wurzeln der Auseinandersetzung sowie das aktuelle Konfliktfeld zu verstehen. Nur wenige Quellen sind einigermaßen zuverlässig, zudem handelt es sich meist um Beschreibungen von Außenstehenden. Tatsache ist, dass die politische Gewalt in der Triqui-Region bereits seit Jahrzehnten andauert. Die Triquis, wie auch die anderen indigenen Völker Mexikos, litten in den Jahrzehnten vor und nach der mexikanischen Revolution (1910 bis 1917) unter systematischer Landenteignung durch GroßgrundbesitzerInnen und mestizische Gemeinden. Die letzte größere Konfrontation der Triquis mit dem Staat datiert aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, als Militärs und Händler ein blühendes Tauschgeschäft Kaffeebohnen gegen Schnaps, Waffen und Munition betrieben. Militäreinheiten beschlagnahmten die Waffen, nur um sie dann den Indigenen erneut zu verkaufen. Eines Tages ermordeten erzürnte BewohnerInnen von San Juan Copala mehrere Soldaten. Als Antwort beschossen Militärflugzeuge die Hütten von Copala und der mexikanische Staat entzog Copala den Status des Bezirks. Seither sind alle Triqui-Indigenen auf die drei umliegenden mestizischen Bezirke aufgeteilt und nicht als eigenständige Verwaltungseinheit anerkannt. Die Entwicklung der letzten drei Jahrzehnte mit den zentralen Konfliktparteien MULT, UBISORT und MULTI (Bewegung der Vereinigung und des Kampfes Triqui Independiente), und deren Kampf um politische Macht sowie der Verteilung von staatlichen Unterstützungsgeldern ist nur vor diesem Hintergrund zu verstehen.
Die MULT entstand 1981 aus einer quasi informellen Kaffeekooperative, der einzigen Organisationsform, welche den Triquis zu dieser Zeit erlaubt war. Die MULT führt zwar einen linken Diskurs, fordert indigene Rechte und Landtitel ein, doch ist sie auch mit der in Oaxaca seit 81 Jahren autoritär herrschenden PRI verbunden. Aus ihren Reihen gründete sich 2004 die Partei der Volkseinheit PUP, die als eine Art simulierte Opposition der PRI half, bei den Gouverneurswahlen 2004 der Oppositionsallianz wichtige Stimmen abzunehmen. Der doppelbödige Charakter der MULT-PUP zeigt sich auch dadurch, dass sie sich 2006 zwar der „anderen Kampagne“ der Zapatistas anschloss, nicht aber der Volksversammlung der Völker Oaxacas APPO. Bei den diesjährigen Gouverneurswahlen ist die Spitzenkandidatin der PUP, die sich selbst als indigene Partei bezeichnet, eine Weiße, die früher der konservativen Partei der Nationalen Aktion PAN angehörte. Nach dem Aderlass durch die Abspaltung der MULTI im Jahre 2006 konsolidierte die MULT ihre Basis und verfügt heute über rund 7.000 Mitglieder in 22 Gemeinden.
Die UBISORT ging 1994 aus einer PRI-Fraktion mit dem strategischen Ziel hervor, den zaptistischen Einfluss in der Triqui-Bevölkerung zu schwächen. Die Hauptforderung von UBISORT ist die erneute Militarisierung der Gegend. Inzwischen hat die Gruppe an Unterstützung verloren, hält sich aber in drei Gemeinden mit circa 300 UnterstützerInnen. Trotz ihrer geringen Größe ist sie einflussreich, da sie am besten bewaffnet ist und volle Rückendeckung der PRI genießt. So war ihr Anführer ein Schüler des derzeitigen Innenministers von Oaxaca an der Rechtsfakultät. Seit November 2009 scheint sich die UBISORT mit der MULT verbündet zu haben, um den autonomen Bezirk San Juan Copala zu belagern, was MULT jedoch bestreitet.
Die MULTI entstand während des Konflikts 2006 (siehe LN 427) aus Sektoren von MULT und UBISORT, die sich nicht länger vor den Karren der PRI spannen lassen, sondern als indigene Bewegung unabhängig sein wollten. Sie ist sowohl Teil der „anderen Kampagne“ als auch der APPO. Gemeinsam mit Teilen der UBISORT erklärte die MULTI im Januar 2007 San Juan Copala zum autonomen Bezirk. Der daraus resultierende blutige Konflikt mit der MULT konnte auch nicht durch verschiedene Vermittlungsbemühungen von außen beigelegt werden. Die Allianz der dissidenten UBISORT-Familien mit MULTI war allerdings stets instabil und zerbrach im Oktober 2009. Während Schätzungen davon ausgehen, dass sich zu Beginn rund die Hälfte der gesamten Triqui-Bevölkerung (15.000 in der Region, gleich viele in der Migration) dem autonomen Projekt angeschlossen hätten, schwanken die Zahlen zur aktuellen Unterstützung sehr. Je nach Quelle ist die Rede von einigen Hundert bis zu 3.500 UnterstützerInnen der MULTI, verteilt auf sechs Gemeinden.
Allen drei Organisationen ist gemein, dass sie eine Gruppe von Bewaffneten angestellt haben, was in Gemeinden Südmexikos keine Seltenheit ist. Die Organisationen beschuldigen sich gegenseitig, schwere Verbrechen begangen zu haben, unter anderen auch der Ermordung von Frauen und Kindern. Gerade die Gewalt an Frauen ist ein Thema für sich, beklagen doch Triqui-Frauen aller Gruppierungen, dass sie als Kriegsbeute behandelt würden. So sind zwei Frauen der MULT seit 2007 verschwunden, zwei junge Radiomacherinnen der MULTI wurden 2008 ermordet. Eine Delegation von mutigen Frauen aus dem belagerten San Juan Copala, die die Gemeinde verließen, um Lebensmittel zu beschaffen, wurde von UBISORT überfallen. 13 Frauen und Kinder befanden sich eine Nacht lang in der Gewalt der Paramilitärs und mussten Übergriffe erdulden.
Die Gründe, warum sich die einzelnen Gemeindemitglieder der einen oder der anderen Organisation anschließen, sind nicht unbedingt strikt politischer Natur. So äußert der universitäre Forscher Francisco López Bárcenas (dessen Buch San Juan Copala: Dominación política y resistencia popular unter www.desinformemonos.org erhältlich ist): „Der ideologische Diskurs existiert schon, aber er ist dem Klanwesen untergeordnet. Wenn ein Familienoberhaupt entscheidet, sich einer Organisation anzuschließen, dann macht er das zusammen mit den Familien seiner Söhne und sogar seiner Brüder. Deshalb schließen sich ganze Dörfer der einen oder anderen Organisation an.“ Laut den Aussagen von Angehörigen der MULTI hatte die Führungsschicht der MULT neue, junge Autoritäten ignoriert und so wichtige Familien von den Machtpositionen ferngehalten, was mit zur Abspaltung und des bis heute andauernden Konflikts beitrug. Eine der zentralen Forderungen der neuen Generation war die transparente Verteilung der föderalen Unterstützungsgelder, welche in den südlichen Bundesstaaten Oaxaca, Chiapas und Guerrero von enormer Bedeutung für die verarmten Gemeinden sind.
Die Eskalation des Machtkampfs um San Juan Copala, dem historischen Kern der Triqui-Nation, begann schließlich im November 2009. Nachdem MULTI die Allianz mit UBISORT aufgekündigt hatte, wollte eine Karawane der „anderen Kampagne“ in jenem Monat dem autonomen Bezirk San Juan Copala einen Solidaritätsbesuch abstatten. Doch UBISORT verhinderte die Ankunft der Karawane, gleichzeitig attackierten Militante der MULT San Juan Copala, wobei ein Schulkind erschossen wurde. Seither wird San Juan Copala von UBISORT und MULT belagert, während die Mehrheit der AnwohnerInnen der MULTI zuzuordnen ist. Als am 8. Dezember ein UBISORT-Anhänger ermordet wurde, eroberte die Gruppe den Gemeindesitz mit Waffengewalt. Im März 2010 schaffte es eine Frauendemonstration von MULTI zwar, den Gemeindesitz zurückzuerobern, doch können die politischen RepräsentantInnen das Gebäude nicht mehr verlassen, ohne unter Beschuss zu geraten. Eine Reportage von drei Reportern der Zeitschrift Contralínea, die Mitte Mai auf abenteuerlichen Wegen den Belagerungsring durchbrechen konnten, zeigt, wie unmöglich das Leben in der Gemeinde ist. Kaum jemand traut sich auf die Straße, denn von den Hügeln und aus dem verlassenen Militärcamp gleich hinter dem Gemeindesitz beschießen die Paramilitärs die Gemeinde nach Belieben.
Lange Zeit schien es, die schwersten Auseinandersetzungen beschränkten sich auf die Gemeinde San Juan Copala, während andere Gemeinden, die sich ebenfalls in dem autonom Bezirk befinden, relativ in Ruhe gelassen wurden. San Juan Copala hat offenbar ein zu hohes politisches Gewicht, als dass die PRI-Regierung hinnehmen will, durch eine zapatistisch inspirierte indigene Autonomie die Kontrolle zu verlieren. So setzt sie die Zahlung von staatlichen Geldern aus, und setzt so die paramilitärischen Gruppen unter Druck, gegen die autonomen Autoritäten vorzugehen. Eine ähnliche Argumentation war auch schon in Chiapas zu hören, wo staatliche Institutionen in der Region der Montes Azules den Mitgliedern der paramilitärischen Opddic drohten, es gäbe keine Unterstützung, solange der Widerstand der Dörfer der „anderen Kampagne“ nicht gebrochen sei.
Inzwischen hat die Gewaltwelle jedoch auch andere Dörfer erfasst. Am 20. Mai wurden in der Gemeinde Yosoyuxi Timoteo Alejandro Ramírez und dessen Ehefrau Cleriberta Castro erschossen. Ramírez galt als „natürliche Autorität“ seiner Gemeinde sowie als Gründer und „politisches Hirn“ des autonomen Bezirks San Juan Copala. Laut Augenzeugen handelt es sich bei den Tätern, denen die Flucht gelang, um nicht-indigene Auftragsmörder aus dem Nachbarbezirk. Laut Aussage des Sprechers von MULTI, verkehrten die als Händler getarnten Mörder bereits seit eineinhalb Monaten in der Gemeinde, um Waren zu verkaufen. Dies lässt vermuten, dass der Mord schon vor der Karawane vom 27. April geplant wurde. Die MULTI bezeichnete die MULT als verantwortlich für den Doppelmord. Andere Stimmen wie Miguel Badillo, Chefredakteur von Contralínea, sehen darin ein klares „Staatsverbrechen“, um mit einer Person abzurechnen, welche sich als zu gefährlich für das PRI-System herausstellte: „Er kämpfte für den Frieden in der Region, forderte das Recht auf indigene Autonomie ein; bat dass die Politiker und Kaziken aufhörten, die öffentlichen Gelder zu stehlen und dass diese stattdessen den Gemeinden zugute kämen“. Der Mord an Ramírez lässt befürchten, dass die Gewaltspirale nochmals an Dynamik gewinnt.
Der Fall Ramírez zeigt, dass das unsägliche Gerede der Regierung, welche die Gewalt in der Region als Teil der Triqui-Kultur darstellen will, eine rassistische Ausrede ist. „Wir Triquis sind nicht von Natur aus gewalttätig, wie dies Ulises Ruiz Ortiz sagt“, meint Jesús Martínez Flores, der aktuelle Präsident des autonomen Bezirks. „Die Gewalt kommt von außen“, betonte auch ein Mitglied eines Triqui-Ältestenrates im Interview.
Der Zeitpunkt der Eskalation der letzten Wochen ist kein Zufall. Oaxaca befindet sich derzeit in der heißen Phase des Gouverneurswahlkampfs. Gabino Cué, charismatischer Kandidat einer parteipolitisch äußerst zweifelhaften Links-Rechts-Allianz, liegt laut Umfragen klar vor dem PRI-Kandidaten Eviel Pérez Magaña. Die Destabilisierung der Region liegt im Interesse der Regierung. So befürchtet die Plattform der lokalen NRO eine „Wahl der Angst“, was der PRI mit ihrer starken Stammwählerschaft zugute käme. Die Wahlen am 4. Juli in Oaxaca und in acht weiteren Bundesstaaten gelten als Testlauf für die gesamtmexikanischen Präsidentschaftswahlen von 2012, wobei der PRI derzeit die besten Chancen eingeräumt werden. Kein anderer als der eigentlich vollkommen diskreditierte Ulises Ruiz Ortiz will die Rückeroberung der Macht orchestrieren: Er kündigte an, nach dem Ende seiner Amtszeit als Gouverneur den Parteivorsitz übernehmen zu wollen.
Die Menschenrechtsarbeit sieht sich derweil vor größte Probleme gestellt. Für sie bedeutet der mörderische Angriff auf die Friedenskarawane am 27. April den GAU. Das bisherige Konzept, durch die Teilnahme internationaler BeobachterInnen den lokalen Menschenrechtsorganisationen einen größeren Spielraum und Schutz zu verschaffen, muss neu überdacht werden. Auf Unterstützung durch die Regierung kann die Menschenrechtsarbeit jedenfalls nicht hoffen. Während die Regierung Oaxacas durch ihre Unterstützung von UBISORT und MULT eine direkte Verantwortlichkeit für die ausufernde Gewalt trägt, zeichnen sich bundesstaatliche Stellen durch Untätigkeit und Ignoranz aus. Beispielhaft dafür ist, dass die mexikanische Botschafterin in Brüssel den Überfall als „Unfall“ bezeichnete. Präsident Felipe Calderón, der sich auf seiner Europareise mit zahlreichen Protesten von Solidaritätsgruppen konfrontiert sah, äußerte sich nach drei Wochen erstmals zu den Ereignissen. Gegenüber der finnischen Präsidentin versprach er, den Mord an Jyri Jaakkola aufzuklären, eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Doch Calderóns tatsächlicher Aufklärungswille ist höchst fraglich. So befinden sich auch die Mörder des US-Amerikaners Brad Will, der 2006 in Oaxaca erschossen wurde, weiterhin auf freiem Fuß (siehe LN 429). Von der Aufklärung der zahlreichen Morde an mexikanischen Menschenrechtsaktivistinnen erst gar nicht zu reden.
Die MULTI und mit ihr solidarische Organisationen wollen mit einer neuen, dritten Karawane am 8. Juni die paramilitärische Belagerung durchbrechen. Doch was als politisches Druckmittel Sinn macht, stellt die Verantwortlichen der Initiative gleichzeitig vor ein unlösbares Dilemma: An den lokalen Machtverhältnissen hat sich nichts geändert. Das bedeutet, entweder werden sie erneut beschossen, oder sie reisen mit dem Einverständnis oder gar in Begleitung von Paramilitärs und Regierung. Letzteres würde wiederum der Regierung eine gewisse Anerkennung als neutralem Akteur verleihen. Tatsächlich war nach medialem Sperrfeuer von UBISORT und Innenminister gegen den neuen Karawanenaufruf plötzlich zu vernehmen, dass der Gouverneur Ulises Ruiz die Karawane „willkommen heiße“. Auch dass sich hohe Politiker der linkszentristischen Partei der Demokratischen Revolution (PRD) wie Alejandro Encino, Koordinator der PRD im Bundesparlament, plötzlich „an die Spitze der Karawane“ stellen wollen, lässt befürchten, dass die Triquis endgültig zum Spielball des Wahlkampfs werden.
Wie auch immer das Drama um San Juan Copala weitergeht, die in Mexiko aktiven Menschenrechtsorganisationen müssen unter den aktuellen Rahmenbedingungen ihre Strategien neu überdenken. San Juan Copala ist ein Fall, der ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt wurde, aber längst nicht der einzige. Andere Gemeinden in Südmexiko leben unter ähnlichen Umständen, die Gewalt und der Unwillen der Institutionen, dieser ein Ende zu setzen, sind symptomatisch für das Mexiko von heute. „Die paramilitärischen Angriffe auf widerständige Gemeinden in Oaxaca, Guerrero und in Chiapas haben dasselbe Grundmuster“, betont Raymundo Díaz vom Kollektiv gegen Folter und Straflosigkeit in Acapulco. Menschenrechtsarbeit in extrem konfliktreichen Regionen muss umsichtig und mit allen gebotenen Sicherheitsmaßnahmen geschehen. Vereinzelte, spontane Aktionen bringen keine grundlegende Verbesserung der Situation und der Preis ermordeter AktivistInnen ist fraglos zu hoch.
Im Fall der Karawanen der „anderen Kampagne“ in die Triqui-Region hat eine einseitige Solidarität mit dem autonomen Bezirk sicher mehr zur Zuspitzung denn zur Lösung des Konflikts beigetragen. Wichtiger als solche überhasteten Aktionen wäre das Sichtbarmachen der Interessen hinter dem de facto Kriegszustand sowie der Verantwortung der mexikanischen Behörden für die endemische Gewalt gegen soziale Organisationen. Dass auch europäische Interessen in der Region eine große Rolle spielen, zeigt die „Adelung“ Mexikos als zehnter „strategischer Partner“ der EU am Rande des Lateinamerika-Gipfels Mitte Mai. Das unkritische bis komplizenhafte Engagement europäischer Unternehmen in Bundesstaaten, in denen systematisch die Menschenrechte verletzt werden, könnte einer neu justierten Menschenrechtsarbeit einen zentralen Ansatz bieten.

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