Nummer 342 - Dezember 2002 | Uruguay

Das Ende der Blanquirados

Die Blancos verlassen die Regierungskoalition mit den Colorados

Am 27. Oktober gab der Vorsitzende der Partido Nacional (genannt „Blancos“) den Rücktritt der fünf Minister seiner Partei aus der Koalitionsregierung unter Präsident Batlle (Partido Colorado) bekannt. Die Blancos wollen sich angesichts der schweren Wirtschaftskrise und der wachsenden Popularität der Frente Amplio eine gute Ausgangsposition für die nächsten Wahlen im Jahr 2004 verschaffen. Doch auch andere Gründe spielten eine Rolle für ihren Ausstieg.

Matti Steinitz

Eine Zweckbeziehung geht zu Ende. Fast auf den Tag genau drei Jahre nach dem Abschluss eines Vertrages für eine gemeinsame Koalitionsregierung der beiden traditionellen Parteien Uruguays, Partido Colorado (PC) und Partido Nacional (PN oder „Blancos“), kündigte der Vorstand der PN Ende Oktober den Rückzug seiner Minister aus dem Kabinett des Präsidenten Jorge Batlle an. Das Bündnis zwischen den beiden konservativen Parteien, die sich über mehr als hundert Jahre an der Spitze des Landes abwechselten, war nötig geworden, nachdem der Präsidentschaftskandidat der linken Frente Amplio (FA), Tabaré Vázquez, bei der ersten Runde der Wahlen 1999 erstmals die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen konnte. Da der Sieg der Linken abzusehen war, hatten Colorados und Blancos ein Jahr zuvor die Verfassung geändert und ein Stichwahlsystem eingeführt, dass es ihnen ermöglichen sollte, sich in einer zweiten Runde gegenseitig zu unterstützen und so die befürchtete Machtergreifung der FA zu verhindern. Als die erste Runde erwartungsgemäß klar an Vázquez gegangen war, sah sich der Vorstand der Blancos erstmals gezwungen, seine Anhänger zur Wahl eines Kandidaten der Colorados aufzufordern. Schon damals sprachen einige Dissidenten von Verrat an den historischen Prinzipien der Partei, da sie mit den Colorados eine durch Bürgerkriege, Attentate und Wahlbetrug genährte Feindschaft verband. Trotzdem folgte eine große Mehrheit dem Aufruf zur Selbstverleugnung und ermöglichte Jorge Batlle, dem Spross einer uruguayischen Politdynastie, dessen Familie bereits drei Präsidenten hervorgebracht hatte, beim fünften Anlauf den lang ersehnten Einzug in den Präsidentenpalast.
Die Regierung Batlles stand von Anfang an unter einem schlechtem Stern. Kurz nach der Vereidigung wurde das Land von der Maul- und Klauenseuche heimgesucht, was die tragende Säule der nationalen Industrie, die Fleischexporte, zum Einsturz brachte. Es folgte eine verheerende Dürre sowie wenig später Überschwemmungen in bisher nicht gekanntem Ausmaß. Die Verschlechterung der Konjunkturlage nach dem 11. September war auch in Uruguay deutlich spürbar. Ende letzten Jahres rutschte dann der wichtigste Handelspartner Argentinien in eine schwere Wirtschafts- und Finanzkrise, die die gesamte Region mit in den Abgrund zog. Die Konsequenzen aus der desolaten Situation beim großen Nachbarn entfalteten im Juni ihre volle Wirkung, als auch Uruguay von einer schweren Finanzkrise erfasst wurde. Der über lange Jahre stabile Wechselkurs konnte nicht mehr gehalten werden, wobei der Uruguayische Peso über die Hälfte seines Wertes gegenüber dem US-Dollar einbüßte. Hunderttausende Uruguayer verloren einen Großteil ihrer Ersparnisse, vier Banken sind seitdem geschlossen worden, die Inflation nimmt weiter zu und über kurz oder lang wird der Staat die Zahlungsunfähigkeit erklären müssen.
Während die Regierung bei ihren Erklärungsversuchen für die Krise die Schuld ausschließlich auf die genannten misslichen Umstände schiebt, lässt sich schwer bestreiten, dass die Ursachen zum großen Teil auf ihre eigene Politik zurückzuführen sind. Batlle steht für eine neoliberale Deregulierungs- und Privatisierungspolitik. Dabei fixiert er sich auf den Ausbau der bilateralen Beziehungen mit den USA, wobei die regionale Integration im Rahmen des Mercosur gezielt vernachlässigt wird. Bei steigender Arbeitslosigkeit, Auswanderung und Verarmung der Bevölkerung hat die oppositionelle FA in den Umfragen einen stetigen Popularitätsgewinn zu verzeichnen. Ein Sieg bei den nächsten Wahlen gilt als ausgemacht. Besonders die Blancos machten sich daher seit Ausbruch der Krise verstärkt Gedanken, wie man sich vom Negativimage der Koalition mit den ungeliebten Colorados befreien könnte.

Profilierung versus patriotische Pflicht

Im uruguayischen Parteiensystem sind sowohl PN und PC als auch FA vornehmlich Parteienbündnisse, die eine große Zahl von verschiedenen Sektoren unter ihrem Dach vereinen. Bei den Blancos war es vor allem die Alianza Nacional, die der Regierungsbeteiligung von vornherein äußerst kritisch gegenüber stand, da sie einen Profilverlust prophezeite. Der Aufruf ihres Vorsitzenden Senator Jorge Larrañaga, die Koalition zu verlassen, fand angesichts der dramatisch sinkenden Umfragewerte immer mehr Unterstützung bei den Provinzgouverneuren der PN. Der Vorsitzende der Partei, Luís Alberto Lacalle, der zwischen 1990 und 1995 Präsident war, befürchtet, dass Larrañaga ein ernst zu nehmender Konkurrent im Kampf um die Präsidentschaftskandidatur der Blancos im Jahr 2004 sein könnte. Auch Lacalles Verhältnis zum Präsidenten gilt seit langem als gestört. Im Juli hatte er Batlle auf dem Höhepunkt der Bankenkrise zur Entlassung seines Wirtschaftsministers und langjährigen Freundes Alberto Bensión gezwungen. Seitdem wechselten die beiden kein Wort mehr miteinander. Trotzdem hatte Lacalle bis vor kurzem die Beteiligung der Blancos an der Regierung als patriotische Pflicht zur Aufrechterhaltung der Regierungsfähigkeit des Landes verteidigt.
Da sich sein Rivale Larrañaga mit seinen Ausstiegsbestrebungen im Parteivorstand nicht durchsetzen konnte, hatte dieser im Oktober mit Hilfe einer Unterschriftensammlung unter den Delegierten die Einberufung eines Parteitages erzwungen, auf dem die Koalitionsfrage entschieden werden sollte.
Eine Woche vor Beginn des Parteitages vollzog Lacalle dann eine überraschende Wendung. Auf einer Pressekonferenz wurde der sofortige Rücktritt aller fünf Minister der PN bekannt gegeben. Man begründete den Schritt damit, dass die Colorados nicht bereit gewesen seien, die PN an wirtschaftspolitischen Entscheidungen zu beteiligen. Es liegt jedoch nahe, dass Lacalle einer Abstrafung für sein Festhalten an der Regierungsbeteiligung auf dem bevorstehenden Parteitag zuvorkommen wollte, die sicherlich sein Ende als unangefochtener Parteipatriarch bedeutet hätte. Auf dem anberaumten Parteitag, der die Entscheidung des Vorstandes mit 72 Prozent der Delegiertenstimmen absegnete, bekam er dann trotzdem die wachsende Unzufriedenheit der Basis zu spüren. Seine Rede wurde mit Zwischenrufen wie „Dieb“ und „Besoffener“ unterbrochen.
Natürlich will man sich bei den Blancos eine günstige Ausgangsposition für die kommenden Wahlen verschaffen. Es wird darauf spekuliert, dass man in der ersten Runde den zweiten Platz hinter der Frente Amplio belegen könnte, um dann für die Stichwahl von den Colorados die Unterstützung einzufordern, mit der man ihnen 1999 zum Wahlsieg verholfen hatte. Neueste Erkenntnisse über Verstrickungen der Regierung in der anhaltenden Bankenkrise lassen jedoch auf weitere Gründe schließen, die die Blancos dazu bewogen haben könnten, das sinkende Schiff der Regierung zu verlassen.
Präsident Batlle wird beschuldigt, verfassungswidrige Verträge mit den ausländischen Anteilseignern (hierzu zählt übrigens auch die deutsche Dresdner Bank) der nun geschlossenen Banken autorisiert zu haben, in denen Verpflichtungen eingegangen wurden, für jegliche Verluste gegenüber internationalen Finanzinstituten mit Staatsgeldern aufzukommen. Abgeordnete der Frente Amplio kündigten an, im Senat deswegen ein Untersuchungsverfahren gegen den Präsidenten einzuleiten. Es kursierten bereits die ersten Gerüchte, dass Batlle zurücktreten könnte. Bald stellte sich jedoch heraus, dass diese von parteiinternen Gegnern um den Ex-Präsidenten Julio María Sanguinetti lanciert wurden, der sich für eine erneute Kandidatur warmläuft. Zur Halbzeit der Amtsperiode Batlles Anfang September titelte eine uruguayische Wochenzeitung: „Das gute ist, dass schon 30 Monate rum sind, das schlechte ist, dass noch 30 Monate fehlen.“ Ob der angeschlagene Präsident solange durchhält, erscheint jedoch fraglich.

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