ABYA YALA | Nummer 613/614 - Juli/August 2025 | USA

Das Feld „Gefängnis“ bringt Millionen

Migrant*innen als Spielfiguren im US-Monopoly der Gefängnisindustrie

„Geh ins Gefängnis, ziehe nicht über Los – ein Unternehmen kassiert“. So ließe sich die Logik des mittlerweile etablierten Inhaftierungsmarkts in den USA zusammenfassen. Nach der Verabschiedung von Donald Trumps sogenanntem “big, beautiful bill” (dt.: großes, schönes Gesetz, sic!) werfen US-Medien ein Schlaglicht auf die Profiteure dieser sozialen Katastrophe: die Gefängnisunternehmen. LN analysiert die Auswüchse kapitalistischer Gewinnmaximierung am Beispiel der Masseninhaftierung und Ausbeutung lateinamerikanischer Migrant*innen in den USA.

Von Margot Ravereau

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Seit Beginn der Razzien gegen Migrant*innen und den massenhaften Abschiebungen, die am 6. Juni 2025 von der Trump-Regierung eingeleitet wurden, ist das Akronym „ICE“ allgegenwärtig. Es steht für Immigration and Customs Enforcement (dt.: Einwanderungs- und Zollbehörde), also kurz gesagt die Migrationspolizei. Hinter ihren Operation, die sich vor allem gegen lateinamerikanische Bevölkerungsgruppen richten (siehe Seite 9), verbirgt sich ein lukratives Geschäft: Nur zwei Wochen nach der Wiederwahl von Trump stieg der Börsenwert der beiden größten Gefängniskonzerne des Landes, CoreCivic und GEO Group, um 50 Prozent, wie NBC News berichtete. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass Trumps Migrationspolitik ihnen gewaltige Einnahmen durch milliardenschwere Bundesverträge sowie die Verhaftung tausender Menschen einbringt.

Ein privatisiertes System

Ein zentraler Aspekt des US-amerikanischen Gefängnisindustrie-Komplexes ist, dass privatwirtschaftliche Akteure eine essenzielle Rolle spielen. Laut einer Studie des unabhängigen Forschungszentrums Transactional Records Access Clearinghouse befanden sich am 6. Januar 2025 etwa 86 Prozent der von ICE festgehaltenen Personen in privaten Einrichtungen. Die zwei größte Unternehmen sind CoreCivic und GEO Group. Beide hatten laut ABC News mindestens eine Million Dollar für Trumps Wahlkampagne gespendet und profitieren nun von seiner Rückkehr an die Macht. Sie investieren massiv in die Vorbereitung neuer Verträge mit ICE. Die ersten wurden bereits in Erwartung der Umsetzung von Trumps neuesten migrationsfeindlichen Gesetzen abgeschlossen. Laut dem Haushaltsbüro des US-Kongresses soll durch das „big, beautiful bill“ in den nächsten zehn Jahren 46,5 Milliarden Dollar an die Zoll- und Grenzschutzbehörde (CBP) ausgezahlt werden, davon fast 30 Milliarden an ICE. Die Einrichtungen, die vom Staat für ihre Dienstleistungen bezahlt werden, sind verpflichtet, die nationalen Normen für Gewahrsam (NDS) und die leistungsabhängigen nationalen Haftnormen (PB-NDS) einzuhalten. Doch bereits 2014 reichten mehrere ehemalige Häftlinge Klage gegen GEO Group ein und warfen dem Unternehmen vor, sie unter Androhung von Repressalien und dem Entzug lebenswichtiger Güter zur Arbeit gezwungen zu haben. Beim Durchlesen der PB-NDS findet man eine Sektion 5.8, die dem „Voluntary Work Program“ gewidmet ist. Es wird dort als eine Möglichkeit für Inhaftierte dargestellt, zu arbeiten und „die negativen Auswirkungen der Inhaftierung zu verringern“ – ganz ohne Ver­pflich­tung. Auf dem Papier wirkt das fast wie eine hu­manistische Initiative.

Die Realität sieht jedoch ganz anders aus: Diese Arbeit kann bis zu 40 Stunden pro Woche umfassen und wird mit dem gesetzlichen Minimum von ein Dollar pro Tag vergütet. Der Begriff „voluntary“ (freiwillig) ist in diesem Fall letztlich irreführend: Die Arbeit ist für Insass*innen faktisch oft unausweichlich und fast unbezahlt. Zudem sind insbesondere Migrant*innen diesen Bedingungen ausgesetzt sind: Laut der Organisation Sentencing Project betreiben Unternehmen wie CoreCivic zwar nur etwa zehn Prozent der gesamten Gefängniskapazitäten, sind jedoch für 70 Prozent der Migrationshaftplätze zuständig. Im Jahr 2017 verklagte der Bundesstaat Washington die GEO Group, weil im Tacoma Center, einer Haftanstalt mit 1.575 Plätzen, Migrant*innen in Küche, Wäsche und Reinigung für ein Dollar pro Tag arbeiten mussten und dabei Tätigkeiten ausübten, die eigentlich 85 Vollzeitstellen erfordert hätten. Im Oktober 2021 entschied eine Jury einstimmig zugunsten des Staates. GEO bestreitet das Urteil bis heute.
Die prekäre Situation verschärft sich durch die massive Einsparung bei der Grundversorgung von Inhaftierten. Die Anwältin Nora Ahmed und ihr Team veröffentlichten 2024 einen Bericht, der Menschenrechtsverletzungen in US-Haftanstalten dokumentiert: schlechte Ernährung, Personalmangel, fehlende Hygieneprodukte, mangeln­der Zugang zu Medikamenten und Außen­bereichen. Auch das Telefonieren mit Angehörigen ist seit der Corona-Pandemie kostenpflichtig. Während früher 520 Freiminuten pro Monat gewährt wurden, kostet ein Inlandsgespräch Golden State Annex beispielsweise nun sieben Cent pro Minute und internationale Gespräche sind fünfmal so teuer. Einige Einrichtungen verlangen zudem eine Mindestzahlung von fünf Dollar, um ein Konto zu aktivieren. In diesem Kontext, in dem Zugang zu Geld unerlässlich ist, ist die vermeintliche „Freiwilligkeit“ der Arbeit eine Farce. Dabei verbietet der 13. Verfassungszusatz Zwang­sarbeit, mit Ausnahme strafrechtlich verurteilter Personen. Auch wenn Migration im Moment so behandelt wird, ist es wichtig, daran zu erinnern, dass sie keine Straftat ist.

Kostenlose Arbeitskräfte für prekäre Branchen


Im April 2025 warnten Amal Bouhabib, Chefjuristin der Farm STAND, und Josh Sbicca, Direktor des Prison Agriculture Lab an der Colorado State University, für der NGO Sentient Media vor einer möglichen neuen Entwicklung der Ausbeutung Inhaftierter: der Arbeit außerhalb der Haftanstalten. Inhaftierte könnten künftig auf Feldern oder in Schlachthöfen eingesetzt werden, teilweise an denselben Orten, an denen sie vor ihrer Verhaftung gearbeitet hatten, nun jedoch ohne Vertrag, Lohn oder Rechte. Denn in Sektoren wie Landwirtschaft, Gastronomie oder Hotellerie, in denen viele Personen ohne Visum oder Papiere arbeiten, herrscht bereits heute akuter Arbeitskräftemangel. Trumps aktuelle Abschiebepolitik wird dies noch verschärfen, weshalb es für ihn ein logischer nächster Schritt sein könnte, festgenommene Migrant*innen zwischenzeitlich zur komplett entrechtlichten Arbeit zu ver­donnern.
Derweil profitieren nicht nur private Unternehmen vom Haftgeschäft, sondern auch lokale Behörden. Die Sheriffs der über 3.000 US-Countys verwalten lokale Gefängnisse und haben ein wirtschaftliches Interesse an ihrem Ausbau. In den letzten 20 Jahren haben über 1.300 Countys neue Gefängnisse gebaut oder bestehende erweitert, was zu einer Steigerung der Kapazität um 40 Prozent führte. Durch die Vermietung von Haftplätzen an andere Behörden, darunter ICE, können sie Einnahmen generieren, was Gefängnisse zu einer lukrativen Investitionsmöglichkeit macht. Ein Beispiel dafür findet sich in Ohio, wo Sheriff Richard Jones der ICE-Behörde 300 Betten für je 68 Dollar pro Tag zur Verfügung stellt, zuzüglich 36 Dollar für Transportkosten.


Infolge dieser ökonomischen Logik werden zwar weiterhin neue Gefängnisse gebaut – jedoch nicht etwa, weil es an Platz für Inhaftierte mangelt, sondern für sondern wegen finanzieller Anreize. Solche aus wirtschaftlichem Interesse gebauten Einrichtungen erzeugen wiederum den Druck, sie auszulasten – also mehr Menschen zu verhaften. In manchen Regionen sind Haftanstalten so sogar zu einem zentralen, wirtschaftlichen Standbein geworden, wie die NGO More Perfect Union berichtet. Doch die Kassen klingeln auf Kosten zerrissener Familien und dauerhaft geschädigter Gemeinschaften im ganzen Land.


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