Bolivien | Land und Freiheit | Nummer 524 - Februar 2018 | Ökologie

DAS GALLISCHE DORF VON ALTO BENI

Indigene Gemeinde wehrt sich gegen geplanten Staudammbau

Mitten in der bolivianischen Amazonas-Region, im Departement Beni, ist der Bau mehrerer Staudämme geplant. Die indigene Bevölkerung, deren Dörfer dabei überflutet würden, wurde bisher kaum über die Projekte informiert. Langsam beginnt der Widerstand in der Region.

Von Nicole Maron

Fotos: Nicole Maron

El Bala – der Ort verdankt seinen Namen der ungewöhnlichen Form des Felsens, der sich über ihn erhebt. Die Legende erzählt, dass das halbkreisförmige Loch auf dem Grat das Einschlagloch einer riesigen Kugel (spanisch bala) sei, die jemand vor Urzeiten hier abgefeuert habe. El Bala befindet sich mitten im bolivianischen Amazonasgebiet, 16 Kilometer von Rurrenabaque in der Region Alto Beni, die nach dem gleichnamigen Fluss benannt ist. Hier plant die bolivianische Regierung verschiedene Staudämme. Das größte Projekt besteht aus zwei miteinander verbundenen Staudämmen in El Chepete und El Bala, wobei letzterem nicht viel öffentliche Aufmerksamkeit geschenkt wird, der im Vergleich zum Damm in El Chepete viel geringere Auswirkungen hätte. In El Chepete würde ein Gebiet von 680 Quadratkilometern überflutet, in El Bala „nur“ ein Gebiet von 93 Quadratkilometern.

“Viele Dörfer sind noch schlechter informiert, einige haben noch nie vom Staudammprojekt gehört.”

Allein im betroffenen Gebiet von El Bala würden jedoch hunderte von indigenen Familien ihrer Heimat beraubt werden, tausende Menschen wären betroffen. „Auch wenn die Zahlen in Bezug auf die Fläche der gesamten Region gering erscheinen mögen, besonders im Fall von El Bala, hätte der Bau dieses Staudamms einen immensen Einfluss, sowohl auf die Umwelt als auch auf die Menschen, die hier leben“, betont Mario Paniagua. Als Mitarbeiter der bolivianischen NGO „Fundación Tierra“ betreut er seit Jahren Projekte in der Amazonasregion und unterstützt die indigene Bevölkerung in ihren Anliegen. „Die Lebensgrundlage der indigenen Bevölkerung der Tsimanes und Mosetenes, die seit Generationen hier leben, besteht in der Landwirtschaft, dem Jagen und Fischen. Ihre Lebensweise ist vollkommen an die örtlichen Gegebenheiten angepasst. Es wäre für sie äußerst schwierig, ihre Kultur aufrechtzuerhalten, wenn sie an einen Ort umgesiedelt würden, an dem ganz andere Bedingungen herrschen.“ Doch von offizieller Seite ist von Umsiedlung bisher nicht die Rede – eigentlich werden die Dorfbewohner*innen überhaupt nicht informiert. „Sie sagen uns gar nichts,“ sagt Hermindo Vies Gutierrez, der Vorsteher des Dorfes Asunción de Quiquibey, „und die meisten anderen Dörfer sind noch viel schlechter informiert als wir, einige haben überhaupt noch nie vom Staudammprojekt gehört.“

Um zu klären, ob das Gebiet tatsächlich für einen Staudamm geeignet wäre, führt das nationale Elektrizitätsunternehmen (Empresa Nacional de Electricidad Bolivia, ENDE) seit einiger Zeit Studien durch, bei denen auch Messungen in den indigenen Territorien vorgenommen werden. Das Unternehmen befragt – oft ohne genau zu erklären, worum es geht – die Dorfbewohner*innen über ihr Leben und ihre landwirtschaftliche Produktion. „Im Rahmen dieses Projektes ist ENDE verpflichtet, auch die Auswirkungen auf die Umwelt und die sozialen Beziehungen zu untersuchen,“ erklärt Mario Paniagua. „Aber wie mir die indigenen Gemeinschaften erzählen, klärt ENDE nur ab, wie viele Menschen im betreffenden Dorf leben und was sie anbauen. Doch dies sind sehr oberflächliche, allgemeine Fragen, auf Grund derer sich die Situation nicht ernsthaft analysieren lässt.“

Die Befragungen sind auch für die Dorfbewohner*innen von Asunción de Quiquibey ein Grund zur Besorgnis. „Wenn sie uns fragen, wie viel Land wir haben und sich unsere Dörfer ansehen, befürchten wir, dass sie zu dem Schluss kommen, dass dies alles hier nicht viel Wert hat und wir einfach umzusiedeln wären,“ sagt Hermindo Vies Gutierrez. „Denn wir besitzen nicht viel und bauen nur Lebensmittel für die Selbstversorgung an. Unsere Häuser sind aus einfachen Materialien gebaut, die uns die Natur schenkt, mit Dächern aus Blättern. Überhaupt leben wir vom Wald: Er gibt uns Essen, Medizin, Fleisch und alles andere. So sind wir es gewohnt, und so haben es auch schon unsere Großeltern gemacht.“ Der Bezug auf die früheren Generationen ist von großer Bedeutung für die Identität der Indigenen: „Dieses Gebiet war schon immer das Zuhause der Mosetenes von Alto Beni bis Rurrenabaque. Wir können nicht einfach umziehen – außerdem gibt es gar keinen Hügel in der Nähe, der hoch genug wäre, um von der Überflutung verschont zu bleiben.“

Doch die Staudämme hätten nicht nur Auswirkungen auf die überfluteten Dörfer, sondern auch auf die Gemeinden weiter flussabwärts. „Viele Menschen in Rurrenabaque und den umliegenden Orten leben von der Fischerei,“ erklärt Mario Paniagua. „Doch mit den Staudämmen würde die Wanderung der Fische unterbrochen, und die Leute müssten neue Möglichkeiten finden, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Leider ist es sehr wahrscheinlich, dass dies wiederum negative Auswirkungen auf indigene Territorien in der ganzen Region hätte: Erfahrungsgemäß werden weitere Waldflächen abgeholzt, um Landwirtschaft betreiben zu können, wenn der Fischfang als Einnahmequelle wegfällt.“

Die Energie, die durch die Staudämme gewonnen würde, käme nicht der Region selbst zu Gute.


Hinzu kommt, dass die Energie, die durch die Staudämme gewonnen werden würde, nicht der Region selbst zu Gute käme, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach für den Export bestimmt wäre. Dies gibt ENDE zwar nicht öffentlich zu, aber laut Mario Paniagua ist es die einzig logische Schlussfolgerung: „Die Energie, die Bolivien zurzeit produziert, ist ausreichend für den inländischen Bedarf. Es macht einfach keinen Sinn, was die Regierung behauptet: dass die Nutznießer dieser Projekte die kleinen Dörfchen der Region wären. Ganz im Gegenteil ist davon auszugehen, dass ein Export nach Brasilien vorgesehen ist – was die indigenen Territorien übrigens noch zusätzlich belasten würde, da der Strom ja genau durch diese Region hindurch transportiert werden müsste.“

Kleine Gemeinschaften wie Asunción haben wenig Chancen gegen ein nationales Unternehmen wie ENDE. Eigentlich müsste sich die regionale Organisation der indigenen Gemeinden, der „Consejo Regional Tsiman Moseten“ (CRTM), zu der 23 Dörfer gehören, gemeinsam gegen die Staudammprojekte stark machen. Doch ENDE hat es geschafft, den CRTM davon zu überzeugen, einen Vertrag zu unterschreiben, der die Durchführung der Studien in seinem Territorium erlaubt. „Damit haben wir aber auf keinen Fall dem Bau der Staudämme zugestimmt“, betont der Vizepräsident des CRTM, Ramon Cubo. „Und dies wird auch nicht geschehen, da bin ich mir sicher. Die Entscheidung liegt bei der Versammlung aller Gemeinden, aber sie werden niemals dafür stimmen, dass ihre Dörfer zerstört werden und sie ihre Lebensgrundlage verlieren.“ Allerdings ist beim CRTM eine gewisse Unsicherheit spürbar, was die Konsequenzen der Studien betrifft. „Es gibt immer mehr Leute, die sagen, dass wir uns mit der Einwilligung in die Studien auch mit dem Bau der Dämme bereits so gut wie einverstanden erklärt haben. Aber dem ist nicht so. Der Vertrag, den wir unterschrieben haben, behandelt ausschließlich die Studien. Gegen den Bau der Staudämme aber werden wir mit allen Kräften kämpfen.“ Doch folgt man Mario Paniagua, dann darf daran gezweifelt werden, dass die indigenen Gemeinden die Staudämme noch verhindern könnten, falls sich ENDE definitiv für den Bau entscheidet.

Unsichere Zukunft Die Kinder aus dem „gallischen Dorf“ Asunción de Quiquibey

Angesichts dessen stellt sich natürlich die Frage, warum der CRTM und die Mehrheit der Flussgemeinden diesen Vertrag überhaupt unterschrieben haben. ENDE hat in diesem Zusammenhang auf eine bewährte Strategie zurückgegriffen und den Dörfern im Gegenzug in Aussicht gestellt, sie zu unterstützen. „Fast alle Dorfgemeinschaften in Bolivien – indigen oder nicht – haben bestimmte Probleme und bräuchten staatliche Unterstützung,“ erklärt Mario Paniagua. „Meist handelt es sich um den Zugang zu Bildung oder medizinischer Versorgung. Es kommt mir allerdings sehr unglaubwürdig vor, dass ein Unternehmen wie ENDE Unterstützung in diesen Bereichen verspricht. Ich kann mir nicht vorstellen, wie diese Unterstützung aussehen soll, denn dies wäre Aufgabe der Gemeinde- oder Departements-Regierungen. Wie da ein Elektrizitätskonzern helfen soll, ist mir schleierhaft.“

Die einzige Dorfgemeinschaft, die den Vertrag nicht unterschrieben hat, ist Asunción de Quiquibey – das gallische Dorf von Alto Beni. „Bis sie uns nicht ganz genau erklärt haben, was sie vorhaben, und uns umfassend informieren, werden wir nicht unterschreiben“, versichert Hermindo Vies Gutierrez. Damit macht sich Asunción allerdings nicht nur bei ENDE unbeliebt, sondern auch beim CRTM, der darauf wartet, dass ENDE seine Versprechen erfüllt. „Bisher ist dies nicht passiert“, gibt Ramon Cubo zu, doch er ist überzeugt, dass in nächster Zeit damit zu rechnen ist: „Wegen der Richterwahlen im Dezember hat ENDE die Termine verschoben, aber wir stehen mit den Verantwortlichen in Kontakt und sie haben uns zugesagt, dass im Februar alles in die Wege geleitet wird.“ Bleibt zu hoffen, dass er Recht behält und ENDE nicht einfach eine Verzögerungstaktik verfolgt. Denn inwiefern die Richterwahlen ENDE davon abgehalten haben sollen, seinen Teil der Abmachung einzuhalten, leuchtet eigentlich niemandem ein.

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