Das Geld des Piloten
Der kolumbianische Autor Juan Gabriel Vásquez erzählt in seinem neuen Buch von der Drogengewalt aus zwischenmenschlicher Perspektive
Wäre das exotische Tier des früheren Drogenbosses nicht gewesen, Antonio Yammara hätte vielleicht gar nicht zu erzählen begonnen. Doch die Pressemeldungen über ein im Jahr 2009 aus dem einst pompösen Privatzoo Pablo Escobars entlaufendes Nilpferd, lassen in dem Juraprofessor Erinnerungen an die Geschichte von Ricardo Laverde hochkommen. Kennengelernt hatte er diesen in einem Billiardsalon Mitte der 1990er Jahre. Viel mehr als dass er Pilot ist, eine Frau in den USA hat und gerade aus dem Gefängnis kommt, erfährt Yammara nicht. Als die beiden zusammen durch das Candelaria-Viertel in Bogotá schlendern, wird Laverde erschossen. Im Kolumbien sind solche Tode zu der Zeit nicht außergewöhnlich. Am selben Abend werden „sechzehn weitere Menschen auf verschiedene Weise in verschiedenen Vierteln der Stadt ermordet“. Yammara selbst wird schwer verletzt. Seine Genesung kommt nur langsam voran, der Vorfall wirft ihn aus der Bahn. Er versteht nicht, warum Laverde so enden musste und was er selbst damit zu tun hat. „Etwas wird er getan haben“, merkt Yammaras Vater lakonisch an.
Juan Gabriel Vásquez‘ preisgekrönter Roman Das Geräusch der Dinge beim Fallen führt direkt in das Kolumbien der Drogengewalt, in dem Pablo Escobar von seiner legendären Ranch Hacienda Nápoles am Río Magdalena aus den internationalen Kokainhandel kontrollierte. Wie in seinen beiden ersten Romanen, die von jüdischer Emigration und dem Bau des Panamakanals handelten, widmet sich der 1973 geborene Autor erneut der kolumbianischen Geschichte.
Zweieinhalb Jahre nach dem Mord kehrt Yammara an den Ort des Attents zurück und beschließt herauszufinden, was Laverde getan hat. Dessen frühere Vermieterin überlässt dem Juraprofessor eine verstörende Kassette. Darauf zu hören ist die Blackbox-Aufzeichnung des American Airlines-Fluges 965, der mit Laverdes Frau Elena Fritts an Bord kurz vor Cali am Berg zerschellt ist. Die Aufnahme endet mit einem abgebrochenen Geräusch, dem „Geräusch der Dinge, die aus dieser Höhe fallen“. Yammara macht sich auf die Suche und stellt Kontakt zu Laverdes Tochter Maya Fritts her, die mittlerweile im alten Familienhaus am Rio Magdalena wohnt. Dort rekonstruiert er mit ihrer Hilfe Laverdes und Fritts‘ Geschichte.
Gabriel Vásquez beleuchtet den Drogenhandel aus individueller, zwischenmenschlicher Perspektive, nicht von der großen politischen Ebene oder den Gewaltexzessen der Drogenbosse her. Meisterhaft lässt der Autor seinen Erzähler Yammara berichten,wie Fritts mit dem US-amerikanischen Peace Corps nach Kolumbien kommt und im Haus der Familie Laverde wohnt. Wie sie sich ineinander verlieben und Laverde die ständigen Geldsorgen mit ersten Marihuana-Geschäften löst. Wie er langsam und ohne es zu merken in einen Strudel aus Drogen und Korruption hineingezogen wird. Yammara beginnt zu verstehen, was Laverde getan hat und warum. Und doch bleibt vieles im Argen.
Juan Gabriel Vásquez // Das Geräusch der Dinge beim Fallen // Schöffling & Co. // Frankfurt 2014 // 294 Seiten // 22,95 Euro // www.schoeffling.de