Nicaragua | Nummer 246 - Dezember 1994

Das große Reinemachen

Nach den FSLN-Gremien ist auch die Barricada auf Linie gebracht

Schon der zweite Parteitag der SandinistInnen Ende Mai hatte ein ehernes Prinzip der FSLN zu Grabe getragen, das seit der Endoffensive gegen die Dik­tatur 1978/79 den Zusammenhalt der Organisation gesichert hatte: Einheit nach außen, paritätische Vertretung der unterschiedlichen Strömungen in den internen Gremien. Die Fraktion um den Ex-Präsidenten und Generalsekretär Daniel Ortega hatte sich in allen Gremien durchgesetzt, führende VertreterIn­nen der “ReformerInnen” um den damaligen Fraktionschef Sergio Ramirez waren nicht wieder gewählt worden. Nur eins störte die neue Einheitlichkeit: Die FSLN-eigene Zeitung Barricada war noch mit ReformerInnen besetzt und stellte ihre Seiten weiterhin allen Flügeln der FSLN zur Debatte zur Verfügung. Damit ist es jetzt vorbei.

Ingrid Lebherz, Carola Klein

Am 25. Oktober war es soweit: Forschen Schrittes betraten FSLN-Mitbegründer Tomás Bórge und der neu in die Natio­nalleitung der Sandinistischen Front ge­wählte Lumberto Campbell die Redak­tionsräume der sandinistischen Barricada und verkündeten die Entlassung des lang­jährigen Direktors und Barricada-Grün­dungsmitgliedes Carlos Fernando Cha­morro. Chamorro zählte innerhalb der Partei zu den ReformerInnen, die beim letzten Parteitag der von Generalsekretär Daniel Ortega geführten “Demokratischen Lin­ken” unterlegen waren (vgl. LN 240).
Noch am selben Tag stellte der Vizedi­rektor Roberto Fonseca Lopez sein Amt zur Verfügung, ebenso wie die drei Mit­glieder des Herausgeberbeirates. Eine Woche später verhandelten bereits sech­zehn führende RedakteurInnen über ihr Ausschei­den.
“Die FSLN erobert Barricada zurück” ti­telten die neuen Schlagzeilen-Macher zwei Tage nach dem Rausschmiß Cha­morros, und so will die Parteispitze um Daniel Ortega das auch verstanden wis­sen: Rund zwei Jahre vor der nächsten Wahl braucht die Leitung der krisenge­schüttelten Partei ein Organ – und das kann natürlich nicht ausgerechnet die Füh­rung kritisieren.
Ließ es sich nicht verhindern, daß in den ersten Ausgaben von Barricada nach dem Wechsel DissidentInnen, RedakteurInnen und empörte LeserInnen ihrem Ärger Luft machten, so ist auch das seit dem 5. November vorbei: Auf Be­schluß der neuen Macher gibt’s kein Ze­tern mehr, Artikel über Barricada-Interna auch nicht. Stattdessen reißerische Artikel auf aben­teuerlichem Niveau. Da ist zu le­sen, die – mit ReformerInnen besetzte – FSLN-Par­lamentsfraktion mache bei der von ihr ausgearbeiteten und mitgetragenen Ver­fassungsreform “gemeinsame Sache mit den Somozisten”, da darf die Basis end­lich sagen, daß “es uns reicht” mit der “Gruppe Ramirez” und daß “die endlich abhauen” sollen und ja eh’ “rechtsradikale Politik” betreiben.
Um die Lücken zu füllen wurde auch gleich ein neuer Chefredakteur gefunden, der wohl wie kein anderer Sandinist Er­fahrung mit der Verbreitung von Halb­wahrheiten, Verleumdungen und persönli­chen Tiefschlägen hat: William Grigsbi Vasdo, bisher Macher und Sprachrohr vom seit jeher Ortega-treuen Radio YA, der auch schon mal die Comandante Dora María Tellez vom Reformflügel als “diese Lesbe, die wir nicht wollen” denunzierte.
Tatsächlich: In den letzten vier Jahren war Barricada nicht mehr auf Linie – dies al­lerdings auf ausdrücklichen Parteitagsbe­schluß. Während des ersten ordentlichen Parteikongresses 1991, ein Jahr nach der verheerenden Wahlniederlage, wurde den sandinistischen Medien mehr Autonomie zugesprochen und CFC, wie Carlos Fern­ando Chamorro auch genannt wird, von der Nationalen Leitung beauftragt, ein neues Zeitungskonzept zu entwerfen und umzusetzen. Vom Jubelblatt für die Frente, die auch dann noch 10.000 Teil­nehmerInnen an einer Wahlkampfveran­staltung mit Daniel Ortega gesehen haben wollte, wenn alle wußten, daß es maximal 1000 waren, mauserte sich Barricada in den letzten vier Jahren unter der Leitung von CFC tatsächlich zu einem professio­nellen, Blatt, das mit dem sonst in Nicara­gua üblichen Sensationsjournalismus nichts mehr zu tun hatte. Und auf den Meinungsseiten konnte jedeR nachlesen, was sich die unterschiedlichen Flügel der Partei zu sagen hatten.
Aber wer “neuen Journalismus” verlangt, der wird sich dann auch mal ärgern über seine eigene Zeitung, und so hagelte es von der Parteiführung harte Vorwürfe, unter der Leitung ihres Direktors hätte die Zeitung “die nationalen Interessen verra­ten”, sie würde sich “zuwenig mit dem Volk und seinen Kämpfen solidarisieren” und zuviel über “bürgerliche Politik be­richten”. Vor allem aber hätte die Zeitung in ihrer ausführlichen Berichterstattung über die FSLN-interne Auseinanderset­zung für die ReformerInnen Partei ergrif­fen.
Außerdem, so der Vorwurf, seien die Ver­kaufszahlen um 16 Prozent gesunken. Daniel Ortega rechnete vor, daß es mit 310.000 einge­schriebenen Mitgliedern der FSLN doch mög­lich sein müßte 50.000 Exem­plare zu ver­kaufen, um so unabhän­giger von den bür­gerlichen Anzeigenkun­den zu werden. Abgesehen von den zehntausen­den Karteileichen schafft sol­che Auflagen freilich angesichts der nicara­guanischen Verarmung auch keine der beiden ande­ren, im populären Boule­vard-Stil aufge­machten Tageszeitungen, weder das prosandinistische “Nuevo Diario” noch die traditionelle bür­gerliche “La Prensa”. Solch eine Auflage wäre nur zu schaffen, wenn die Barricada wie in den Anfangs­zeiten wieder umsonst verteilt würde. Und so hält sich hartnäckig das Gerücht, Bór­ges Intimfreund, der schei­dende mexika­nische Präsident Sali­nas de Gortari und seine PRI hätten der Barri­cada finanzielle Unterstützung für das neue Projekt ange­boten.

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