Kolumbien | Nummer 344 - Februar 2003

Das große Schweigen

Interview mit Teresa Cedeño Galindez, Menschenrechtsanwältin aus der Stadt Arauca und Mitglied des Permanenten Menschenrechtskomitees in Kolumbien

Das Permanente Menschenrechtskomitee existiert seit 25 Jahren in Kolumbien und gilt als angesehene Vereinigung von Menschenrechtsaktivisten. Vor 18 Monaten wurde eine Regionalvertretung in der Provinz Arauca und ihrer gleichnamigen Hauptstadt eröffnet. Die Präsidentin des Permanenten Menschrechtskomitees Teresa Cedeño arbeitet dort unter Morddrohungen. Sie verurteilt die Situation in Arauca, da die Menschenrechte der Bevölkerung dort gravierend verletzt werden.

Tommy Ramm

Frau Cedeño, haben Militär und Polizei den Zivilstaat in Arauca ersetzt?

Auf jeden Fall nehmen die Sicherheitskräfte hier jetzt mehr Raum ein und besitzen mehr Einfluss – zum Beispiel in der Ziviljustiz. Die Verlegung der Gefangenen aus dem städtischen Gefängnis von Arauca unterliegt dem Willen des Militärs. Das ist rechtlich nicht erlaubt.

Was werfen die Sicherheitskräfte den Verdächtigen vor, die sie verhaften, und wie behandeln sie sie?

Sie verhaften die Menschen wegen politischer Vergehen wie Terrorismus oder Rebellion. Stichhaltige Beweise sind dabei nebensächlich. Polizei oder Geheimdienst gehen mit Denunzianten, die für ihre Anschuldigungen bezahlt werden, durch die Straßen. „Der ist einer“ oder „Der nicht“. Diese auch „Frosch“ genannten Spitzel entscheiden allein, ob jemand verhaftet wird. Sie leben unter der Obhut der Armee. Sie gehören zu dem Informantennetzwerk, das die Regierung Uribes geschaffen hat. Für ihre Anschuldigungen, die nahezu ohne stichhaltige Beweise bleiben, werden sie kräftig entlohnt.
Jeweils 20 Personen verfrachten sie in ein Flugzeug, bringen sie in die Armeebrigade in Arauca oder direkt in das weit entfernte Hochsicherheits-Gefängnis Cónvita. Dort sind die Gefangenen von ihrer Umwelt ziemlich abgeschnitten. Kaum einer schafft es, mit seiner Familie in Kontakt zu bleiben.
Die Zahl der Unschuldigen ist vermutlich sehr hoch, denn die Verdächtigungen beruhen ausschließlich auf Aussagen des Geheimdienstes. Danach werden die Fälle zumeist in der Hauptstadt Bogotá behandelt. Dabei ist das Verfahren nicht nachvollziehbar. Die Mehrzahl der Fälle wird ohne ersichtlichen Grund umgehend an weit entfernte Gerichte weitergereicht. Die Gefangenen müssen verlegt werden. Mitte Januar haben die Sicherheitskräfte über 50 Personen – meist Bauern – nach Cónvita verlegt.

Im November hob das Verfassungsgericht Kolumbiens eine Klausel auf, nach der die Armee juristische Aufgaben in der Konsolidierungszone durchführen darf. Hält sich das Militär daran?

Im Oktober und November führten die Streitkräfte Massenfestnahmen und Verhöre im Bezirk Saravena ohne richterlichen Beschluss durch. Kurz bevor eine ähnliche Operation in Arauca starten sollte, machte das Verfassungsgericht dem Militär einen Strich durch die Rechnung. Zwar kann die Armee nun nicht mehr justizielle Aufgaben durchführen, aber freigelassen hat sie die illegal Festgenommenen aus Saravena auch nicht. Die in Arauca ansässige 18. Armeebrigade dient weiter als Gefängnis.

Sie waren mehrfach im Hochsicherheitsgefängnis Cónvita im Hochland der Provinz Boyacá, um mit ihren Klienten zu sprechen. Wie werden die Inhaftierten dort behandelt?

Mit den Mitte Januar verlegten Gefangenen konnte ich bisher nur telefonieren. Sie erzählten mir, dass die Situation vieler Insassen kritisch sei. Das Gefängnis liegt auf über 3.000 Meter Höhe. Nachts gibt es dort Frost. Die Gefangenen sind im heißen Klima Araucas aufgewachsen. Die Armee hat sie aber ohne warme Kleidung ins Hochland verlegt.

In Kolumbien gibt es für die Verteidigung der Menschenrechte staatliche Institutionen, wie die „Defensoria“ als auch die „Personeria“, die Verstöße gegen die Menschenrechte aufnehmen und ahnden sollen. Wie arbeiten diese Stellen angesichts der angespannten Situation in Arauca?

Aus meiner Sicht kommen diese Institutionen ihren Aufgaben nicht nach. Sie lassen die Dinge passieren, ohne Einspruch einzulegen. Ein eindeutiges Beispiel ist die Verlegung der Gefangenen. Hier hat keiner eingegriffen. Ich weiß nicht, ob es Angst oder Desinteresse ist, was die Institutionen zum Schweigen bringt. Fakt ist, dass die Regierung die finanziellen Mittel für diese Institutionen drastisch gekürzt hat.

Wie arbeiten die Medien in den Zonen, die unter Sondervollmacht der Sicherheitskäfte stehen?

Der einzige Journalist, der per Radio die Menschenrechtsverletzungen in Arauca zur Sprache brachte, war Efraín Varela. Er wurde im Juni letzten Jahres ermordet. Alle anderen Journalisten halten seitdem den Mund oder haben die Provinz verlassen. Unsere Kommuniqués, die wir als Menschenrechtskomitee regelmäßig versenden, werden seit mehr als einem Monat nicht mehr in den Sendern verlesen. Die großen Medien wie TV Caracol oder RCN veröffentlichen nur noch Meldungen, die erfolgreiche Armee-Operationen oder Terroranschläge der Guerilla beinhalten. Sonst nichts.
Bis November war die Arbeit der Medien in den Konsolidierungszonen per Dekret eingeschränkt. Als Informationsquelle sollte demnach nur noch die Armee dienen. Obwohl auch diese Klausel vom Verfassungsgericht später gekippt wurde, hat sich daran kaum etwas geändert.

Mitte Januar sind 60 US-amerikanische Soldaten in Arauca angekommen, die rund 3.500 kolumbianische Soldaten ausbilden sollen, um ausschließlich die Ölpipeline Caño Limón und die US-Ölfirma Occidental de Colombia (OXY) zu schützen. Was bedeutet das für den Konflikt in Arauca?

Ohne Zweifel eine Verschärfung. Die Guerilla hat die US-Amerikaner zum militärischen Ziel erklärt, sie fühlt sich durch ihre Ankunft provoziert. Sollten diese in Zukunft in Kämpfe verwickelt werden und zu Tode kommen, wird sich hier einiges verändern. Schließlich gilt in den USA das Gesetz: Wenn US-Amerikaner in irgendeinem Staat verletzt oder getötet werden, schreitet die US-Regierung ein.

Den Bewohnern des Bezirks Saravena zufolge soll es im dortigen Bataillon US-Amerikaner geben, die persönlich die Verhöre von Bauern übernommen haben.

Schon bevor die 60 US-Soldaten gekommen sind, gab es einen Vortrupp. Da das Bataillon von Saravena zur 18. Brigade gehört, hielten sich auch dort US-Amerikaner auf. Es stimmt, dass sich diese in den Bereichen des kolumbianischen Armeegeheimdienstes B2 aufhalten und es stimmt, dass diese auch Verhöre mitgestalten. Mehreren Beschuldigten drohten die US-Amerikaner, sie an die USA auszuliefern, wenn sie ihre Verbrechen nicht gestehen. Als Druckmittel galt dabei der Mord an drei US-amerikanischen Indigenen, die die FARC-Guerilla vor vier Jahren in Arauca erschossen haben. So hat es mir einer meiner Klienten, der derzeit in Cónvita einsitzt, geschildert. Aus Angst gestand er Dinge, die er aber nicht getan habe. Er erzählte mir, dass die US-Amerikaner ihr Büro innerhalb des B2-Geheimdienstes in der Brigade von Arauca haben. Kurioserweise gemeinsam mit den so genannten Fröschen, die die mutmaßlichen Guerilleros denunzieren.

Die Paramilitärs sind in den vergangenen Monaten immer weiter nach Arauca vorgedrungen. Sind sie in der so genannten Konsolidierungszone aktiv?

Wir wissen nicht, ob sie in den Städten aktiv sind. Aber in den letzten Wochen gab es regelmäßig Morde, die ihnen zugeschrieben werden. Deshalb ist die Lage hier auch so angespannt. Am 15. Januar gab es allein acht Morde in der Stadt Arauca. Auf dem Land sind vor allem die Bauern dem Druck der Paramilitärs ausgesetzt. Die Paramilitärs fordern von jeder Person ein polizeiliches Führungszeugnis. Ohne dieses wird ihnen das Recht auf Weiterleben in der Provinz genommen. Was passiert? Die Leute gehen scharenweise zum Geheimdienst D.A.S., der für die Ausstellung der Papiere zuständig ist, und verlangen das Führungszeugnis. Statt dagegen etwas zu unternehmen, spielt die D.A.S. das Spiel der Paras mit.

Die ultrarechten Paramilitärs der Autodefensas Unidades de Colombia (AUC) hatten am 2. Dezember einen einseitigen Waffenstillstand ausgerufen, um mit der Uribe-Regierung in Friedensverhandlungen zu treten. Sie erzählen dennoch von Morden. Gibt es diesen Waffenstillstand überhaupt?

Völliger Unsinn. Die Paramilitärs haben niemals die Gewalt eingestellt. Es gab Massaker in mehreren Ortschaften des Bezirkes Arauca nachdem der Waffenstillstand ausgerufen wurde. Mit den so genannten „Entschuldbaren“ reden sie und verzeihen ihnen ihre Vergangenheit – etwa die indirekte Zusammenarbeit mit der Guerilla – wenn sie mit ihnen zusammenarbeiten und sie akzeptieren. Die so genannten „Unentschuldbaren“ dagegen werden umgebracht. Und das geht weiter so.

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