Literatur | Nummer 269 - November 1996

Das Jahr, in dem wir nirgendwo waren

Ernesto Che Guevara und die afrikanische Guerilla

30 Jahre lang konnte die Frage nach Che Guevaras Aufenthalt zwischen seinem “Verschwinden” aus Kuba und seiner “Entdeckung” in Bolivien nicht beantwortet werden. Dieses Geheimnis ist nun gelüftet. Ernesto Che Guevara kämpfte 1965 mit einem Trupp kubanischer Internationalisten in Belgisch-Kongo, dem heutigen Zaire, um die Gefolgsleute des ermordeten Ministerpräsidenten Lumumba im Kampf gegen die weißen Söldner der Regierung Tschombés zu unterstützen.

Dirk Pesara

Die Mission endete tragisch. “Dies ist die Geschichte eines Scheiterns. Sie begibt sich hinab in anekdotische Details, wie es sich für Episoden aus Kriegen gehört, doch geprägt ist sie von Beobachtungen und kritischen Einschätzungen. Denn ich glaube, wenn diese Erzählung irgendeine Bedeutung hat, so die, daß sie einige Erfahrungen vermittelt, die für andere revolutionäre Bewegungen von Nutzen sein können. Der Sieg ist eine große Quelle positiver Erfahrungen, aber ebenso ist es die Niederlage, und dies meiner Ansicht nach um so mehr, wenn die handelnden Personen Ausländer sind, die ihr Leben in unbekanntem Territorium aufs Spiel gesetzt haben, in einem Land mit einer anderen Sprache, mit dem sie nur die Bande des proletarischen Internationalismus teilten, um eine Methode zu begründen, wie sie in den modernen Befreiungskriegen noch niemals angewandt worden ist.” Dies beschreibt Che Guevara selbst in einem Typoscript, das bisher nicht veröffentlicht wurde und das dem kürzlich bei der Edition ID-Archiv Berlin verlegten Werk zugrunde liegt.
Dieses Typoscript bildet den Leitfaden der zu einer interessanten Lektüre gestalteten Chronik des anti-imperialistischen Engagements Ché Guevaras in Zentralafrika. Dem Autoren-Trio Paco Ignacio Taibo II, Froilán Escobar und Félix Guerra ist es gelungen, aus Tagebuchnotizen, Interviews mit Kongo-Kämpfern und Hintergrundinformationen eine spannende Geschichte zu spinnen. Das verwundert nicht. Zwar sind die Kubaner Froilán Escobar und Félix Guerra hierzulande unbekannt, in Lateinamerika gelten sie jedoch als Kenner der Materie. Schließlich haben sie zusammen schon drei Bücher über Che Guevara publiziert. Und der dritte im Bunde, der Mexikaner Paco Ignacio Taibo II, hat sich nicht zuletzt durch seinen Roman “Vier Hände” als Kriminalautor in Deutschland einen Namen gemacht.
“Wenn diese Notizen veröffentlicht werden, wird viel Zeit seit ihrer Aufzeichnung vergangen sein, und vielleicht wird der Autor für das, was hier gesagt wird, nicht mehr verantwortlich gemacht werden können. Die Zeit wird viele Wunden geheilt haben, und wenn ihr Erscheinen noch irgendeine Bedeutung hat, mögen die Herausgeber die Korrekturen anbringen, die sie für nötig halten, um im Lichte der inzwischen vergangenen Zeit Klarheit in die Meinungen und Ereignisse zu bringen.” (Che Guevara, 1966). Das haben Paco Ignacio Taibo II, Froilán Escobar und Félix Guerra getan. Erzählt wird die Geschichte von Treffen Che Guevaras mit afrikanischen Staatschefs und Führern progressiv-nationalistischer Befreiungsbewegungen, von Vorbereitungen für die geplante Entsendung einer kubanischen Brigade, Schwierigkeiten bei der kulturellen Annäherung zwischen kubanischen und kongolesischen Kämpfern, kurzen Gefechten, Verlusten, vom schließlichen Rückzug und der Heimkehr nach Kuba.
Mit “Das Jahr, in dem wir nirgendwo waren” wird eine Lücke in Che Guevaras Biografie geschlossen. Dennoch bleiben Fragen offen. Die Autoren wurden seitens der Kritik nicht nur mit Lorbeeren überschüttet. Obwohl sie mit der Veröffentlichung bisher unbekannter Tagebuchnotizen Guevaras (Originaltitel: “Passagen des revolutionären Krieges. Der Kongo”) den Spielraum für neue Interpretationen des Internationalismus-Entwurfs Che Guevaras eröffnen, geht das einigen offenbar nicht weit genug. In einem im doppelten Wortsinn einseitigen Artikel vom 24. September 1996 in der “tageszeitung” greift Gastautor Reynaldo Escobar das Autoren-Trio gleich von zwei Seiten an. Einerseits kritisiert er, daß sie nur bestimmte Teile der Aufzeichnungen des Che veröffentlicht hätten: “Und gerade, daß die Verfasser nicht den vollständigen Text von Chés Kongo-Manuskript, sondern nur Fragmente daraus zitieren, macht die Frage umso interessanter, was in dem zurückgehaltenen Rest steht.” Andererseits, und das ist die zentrale Aussage des mit “Mission Kongo: Gesang auf die Niederlage” betitelten Artikels, sei eine Veröffentlichung nur im Einverständnis Fidel Castros möglich gewesen und wahrscheinlich auch im Auftrag desselben erst erstellt worden. Ein schwerwiegender Vorwurf, den Escobar weder beweisen, noch überzeugend begründen kann. Keinesfalls sollte mensch sich jedoch dadurch von der Lektüre dieses Buches abhalten lassen.

Paco I. Taibo II, Froilán Escobar, Félix Guerra: Das Jahr, in dem wir nirgendwo waren. Ernesto Che Guevara und die afrikanische Guerrilla, Edition ID-Archiv, 253 S. 29,80 DM (ca. 15 Euro).

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren