Literatur | Nummer 275 - Mai 1997

“Das Land gehört uns!”

Mexikanische Bauern im Kampf gegen deutsche Kaffeebarone

Zweieinhalb Jahre recherchierten Dirk Pesara und Boris Kanzleiter bis ihre Reportage “Die Rebellion der Habenichtse” nun erscheinen konnte. Im folgenden geben wir einen Vorabdruck dieses Buches, dessen Aktualität nicht nur im Zusammenhang mit dem Aufstand der ZapatistInnen besteht, sondern auch, gerade für deutsche LeserInnen, in der detaillierten Darstellung des Wirkens von Deutschen in einem Land wie Mexiko. Die aktuelle Situation des Landes wird im Hinblick auf ihre historische Entwicklung besonders deutlich herausgearbeitet. Die Autoren werden ihr Buch in verschiedenen deutschen Städten vorstellen, für jeden und jede LeserIn eine günstige Gelegenheit sich zu informieren und mit ihnen zu diskutieren.

Dirk Pesara, Boris Kanzleiter

Nueva Palestina ist ein kleines Dorf in Chiapas, dem südlichsten der 32 Bundessstaaten Mexikos. Ein Rinnsal schlängelt sich durch den Ort und sorgt an seinem Ufer für spärliches Grün durch Sträucher und Bäume. Hühner gakkern umher und im Schatten dösen abgemagerte Hunde.(…)
Die Familien in Nueva Palestina sind arm. Das Dorf unterscheidet sich kaum von Tausenden anderen in Mexiko. Nichts deutet auf den ersten Blick darauf hin, daß in Nueva Palestina Krieg geführt wird. Eigentlich muß es heißen, daß gegen Nueva Palestina Krieg geführt wird. Das Dorf liegt nur wenige Kilometer von den Kaffeeplantagen Liquidambar und Prusia entfernt, Eigentum der Familien Schimpf-Hudler und von Knoop aus dem fernen Deutschland. Der Krieg gegen Nueva Palestina sorgt für keine großen Schlagzeilen. Er wird leise und verdeckt geführt, ist aber umso brutaler und zermürbender.
Seitdem sich die BewohnerInnen Nueva Palestinas in der Unión Campesina Popular Francisco Villa (UCPFV) zusammengeschlossen haben, um Land für die Erweiterung ihrer landwirtschaftlichen Kooperative, ihres Ejidos, zu erstreiten, lasten Angst und Unsicherheit auf ihnen. Fast täglich kommen bewaffnete Einheiten ins Dorf. Wenn die Jeeps aus dem Tal heraufdröhnen und am Horizont eine weit sichtbare Staubwolke aufwirbeln, wird es plötzlich still in der Siedlung. Meistens passiert die Kolonne Nueva Palestina ohne anzuhalten. Dann atmen die Menschen, die sich in ihren Häusern versteckt halten, erleichtert auf. Manchmal jedoch kommen die Fahrzeuge mitten in der Ortschaft zum Stehen und vermummte Gestalten mit Maschinenpistolen in den Händen springen von den Ladeflächen der Jeeps. Dann schließen die Menschen in Nueva Palestina vor Furcht die Augen: Heute treten sie vielleicht meine Haustür ein und rauben alles, was ich besitze. Heute verschleppen sie vielleicht mich und verbrennen mir die Augenlider. Heute tauchen sie vielleicht meinen Kopf in Dreckwasser und vergewaltigen mich, wie vor kurzem Julieta Flores. Oder ich kehre als verstümmelter Leichnam zurück, wie Reyes Penagos Martínez.
Nur kurz währte die Zeit, als die Hoffnung auf ein besseres, menschenwürdiges Leben ihre Herzen mit Optimismus erfüllte.
Begonnen hatte alles am 4. August 1994.(…)

Liquidambar wird besetzt

In den Morgenstunden des 4. August 1994 erobern 500 Mitglieder der Unión Campesina Popular Francisco Villa (UCPFV) die deutsche Kaffeeplantage Liquidambar.(…)
Ihre Gesichter mit Masken und Tüchern verhüllt, in den Händen Macheten, Knüppel und hier und da alte Jagdflinten, sperren sie die Zufahrtswege zur Finca ab. Für einen Moment vermischen sich Vergangenheit und Gegenwart. Ein Hauch der Mexikanischen Revolution breitet sich über der Siedlung aus.(…)
Immer mehr Menschen strömen dem Herrenhaus zu: “Hoch lebe Pancho Villa!”, “Es lebe die EZLN!”, “Das Land gehört uns!”, “Nieder mit den Reichen!”(…)
Am 15. September besetzen sie die Kaffeeplantage Prusia (Preußen), im Besitz der von Knoops, einer weiteren deutschen Großgundbesitzerfamilie im Landkreis und am 25. Oktober die Fincas Sayula, Las Chicharras sowie einhundert Hektar Staatsland. Dadurch haben sie nicht nur die größten Latifundien des Landkreises in ihre Gewalt gebracht, sondern kontrollieren durch zahlreiche Straßensperren auch 90 Prozent des Territoriums von Angel Albino Corzo.(…)

Preußen am Pazifik

Hermann Schimpf wurde am 21.4.1890 in Osterode / Harz geboren. 1923 gründete der Niedersachse mit dem 35-jährigen in Guatemala ansässigen US-Bürger Max C. J. Mohr die Kaffeegesellschaft “Mohr y Schimpf”. Damit war der Grundstein für eine Entwicklung gelegt, die seiner Familie mehr als nur ein gutes Auskommen sichern sollte.(…)
1977 war die Finca in 15 Einheiten unterteilt. Für diese besaßen 13 Personen Besitztitel, darunter Hermann Schimpf, sein Sohn German, dessen Ehefrau Gertrude und deren Töchter Margarita und Marianne, zu diesem Zeitpunkt noch minderjährig. Auf niemanden entfielen mehr als 300 Hektar Land, somit war der Agrargesetzgebung genüge getan. Auf den Urkunden für zwei weitere vorgebliche Eigentümer, Justo Gutiérrez Bonifaz und Vidal Bermudez Bermudez, ist als Wohnanschrift San Francisco # 1517, Colonia del Valle, Mexico D. F. angegeben, interessanterweise die Hauptstadtresidenz der Familie Schimpf.(…)
Nach Hermann Schimpfs Tod übernahm sein Sohn German das Ruder auf der Kaffeeplantage. German Schimpf wurde am 13. April 1918 auf Liquidambar geboren. So besagt es auch eine Urkunde, die die Wand am Zugang zum Verwaltungsgebäude ziert. Allerdings handelt es sich hier nicht um die Geburts, sondern um eine Ehren-Urkunde der Deutschen Wehrmacht vom 23. Oktober 1938.(…)
Am 2. Mai 1987 heiratete German Schimpfs 26-jährige Tochter den Sohn des Hamburger Kaffee-Importeurs Karl Hudler. In der Kirche des Heiligen Geistes in Mexiko-Stadt gaben sich Marianne Schimpf und Laurenz Hudler das Ja-Wort.(…)
Nach der Hochzeit setzte sich der Hamburger Yuppie nicht nur ins gemachte Nest in Chiapas, sondern begann sich auch aktiv an der Lokalpolitik zu beteiligen. Die Verbesserung der Infrastruktur des Landkreises lag dem Neu-Mexikaner besonders am Herzen. Zur Modernisierung des zu seiner Finca führenden Verkehrsweges gründete er die Stiftung “Patronato Pro-Pavimentación”, der er 1994 als Präsident selbst vorstand.(…)
Der PRD-Kreistagsabgeordnete und UCPFV-Gründer Roberto Hernández Paniagua forderte am 20. Februar 1994 öffentlich Aufklärung darüber, warum bis dato mit Steuergeldern nur die Zufahrt zur Finca Montegrande, im Besitz von Salím Moisés befindlich und direkt neben Liquidambar gelegen, asphaltiert worden sei. Es waren diese Sticheleien, die Roberto Hernández Paniagua das Leben kosten sollten. Sechs Monate später wurde der PRD-Politiker von Pistoleros erschossen.(…)
Mit der Schaffung eines Naturschutzgebietes in unmittelbarer Nachbarschaft der Finca Liquidambar bot sich Laurenz Schimpf-Hudler Anfang der 90er Jahre ein anderes Betätigungsfeld. Er bekleidete als Sprecher der für den Erhalt der Flora und Fauna des Naturschutzgebietes “Reserva de la Biósfera El Triunfo” zuständigen Behörde PACONAAC, A.C. einen nicht einflußlosen Posten. Doch was die Herzen ökologisch gesinnter Menschen höher schlagen läßt, kam für die Kleinbauern der Gemeinde El Pajal einem Alptraum gleich. Von einem Tag auf den anderen wurden 90 Prozent ihrer 967 Hektar umfassenden Agrarkooperative zum Naturschutzgebiet deklariert.(…)
In der Besetzung der Plantage Prusia im Herbst 1994 sahen die BewohnerInnen El Pajals die einzige Möglichkeit, ihre Lebensverhältnisse zu ändern.(…)
Die vertriebenen Plantagen-Herren wähnten sich nach der geglückten Besetzung ihrer Ländereien mißverstanden und als Opfer einer ungerechtfertigten Kampagne. “Ich fühle mich schon wie ein Türke in Deutschland”, beschwerte sich Laurenz Schimpf-Hudler Ende ’94.(…)
zum ersten Mal in ihrem Leben arbeiteten die PflückerInnen auf Liquidambar unter Selbstverwaltung. 60 Pesos pro Tag verdienten sie jetzt, das sind umgerechnet zehn US-Dollar. Auch damit lassen sich keine Reichtümer anhäufen, aber zu einem menschenwürdigen Leben reicht es. Und welch ein Unterschied zu früher. Dieses von den ArbeiterInnen ausgesprochene “früher” klingt, als läge es hundert Jahre zurück. Dabei waren noch nicht einmal sechs Monate vergangen.(…)

Das Imperium schlägt zurück

Jorge Constantino Kanter, Chef der Confederación Nacional de Propietarios Rurales (CNPR), und Abkömmling deutscher Kaffeepflanzer, läßt Ende Januar 1995 auf einer Pressekonferenz keine Zweifel daran, daß die Großgrundbesitzer mit allen Mitteln die besetzten Plantagen und Grundstücke zurückerobern wollen. Wie das Vorgehen gegen die Landbesetzer aussehen soll, kündigt er auch gleich an: “Unsere Aktionen werden sich nicht gegen die Campesinos und Ejidatarios richten, sondern gegen die Führer der Gewerkschaften.”(…)
Chiapas, 9. Februar 1995: Noch sind die Kaffeeplantagen im Landkreis Angel Albino Corzo von den Villistas besetzt. Doch jetzt marschiert das Militär gegen die Stellungen der EZLN im Lakandonischen Urwald.(…)
Während in ganz Mexiko Tausende gegen die Kriegspolitik Ernesto Zedillos protestieren, wird woanders gefeiert. Laurenz Schimpf-Hudler und Ehefrau Marianne, die Familie von Knoop und all die anderen Kaffeebarone spüren wieder Rückenwind.(…)
Guillermo Escudero, Präsident der Unión Nacional de Productores de Café (UNPC) und enger Geschäftsfreund der Familie Schimpf-Hudler, verlangt am 3. März 1995, daß die “besetzten zweitausend Ländereien außerhalb des zapatistischen Einflußbereichs” jetzt endlich geräumt werden müßten. Auch der Chef der Unión Estatal de Productores de Café (UEPC), Carlos Bracamontes Gris, ein Verwandter der von Knoops, fordert am 12. März in der Presse die Räumung der besetzten 30.000 Hektar Land in Angel Albino Corzo: “Es muß eine schnelle Lösung für das Problem gefunden werden, weil die Einnahme von Devisen notwendig ist”, sagt er.(…)
Am 28. April um sechs Uhr morgens rücken Armee, Judiciales und Seguridad Pública aus dem Tal in Richtung Liquidambar vor. In Nueva Palestina räumen sie die von den Villistas errichtete Straßensperre. Mit Jeeps und LKWs dröhnen sie die Straße zur Plantage empor.(…)
Den 300 BesetzerInnen der UCPFV bleibt nichts anderes, als in die umliegenden Berge zu fliehen.(…)
Am 17. Mai 1995 erläßt der Richter Alejandro Cardenas López in der Landeshauptstadt Tuxtla Haftbefehl gegen 170 vermeintliche Mitglieder der UCPFV. Die Anklage, Strafsache Nr. 207/95, lautet auf “bewaffneten Raubüberfall”.(…)
Die Villistas versuchen nach der Räumung mit Protestkundgebungen auf ihre dramatische Situation aufmerksam zu machen. Zwei Protestmärsche der UCPFV im Sommer 1995 nach Tuxtla enden im Kugelhagel der Polizei. Wieder werden Menschen aus Nueva Palestina verhaftet, wieder fließt Blut.(…)
Am 17. September 1995 wird der PRD-Bürgermeisterkandidat Antelmo Roblero Roblero in Jaltenango erschossen. Nun überschlagen sich die Ereignisse. Nur wenige Stunden später wird der PRI-Kandidat José Rito Solis, ein langjähriger Freund der Schimpf-Hudlers, der von der Basis der PRD direkt für den Mord an Antelmo Roblero Roblero verantwortlich gemacht wird, entführt. Am 18. Sep-tember wird der PRI-Politiker Ausel Sánchez Pérez erschossen. Dieser hatte gegenüber einer Zeugin seine Beteiligung an der Ermordung Roblero Robleros gestanden und Laurenz Hudler und Folke von Knoop als Mittäter genannt. Die Welle der Gewalt, die den Landkreis erfaßt hat, fordert Opfer nach Opfer.(…)
Am 16. November 1996 nehmen Polizei-Einheiten nahe der guatemaltekischen Grenze zwei Campesinos aus der Umgebung Jaltenangos fest. Laut Angaben der Staatsanwaltschaft sollen sie drei Boden-Luft-Raketen samt Abschußgerät mitgeführt haben und Mitglieder der UCPFV sein.(…)

Dirk Pesara/Boris Kanzleiter: Die Rebellion der Habenichtse. Edition ID-Archiv 1997. 144 Seiten, 16,- DM (ca. 8 Euro).


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