Nicaragua | Nummer 608 - Februar 2025

Das politische Testament

Zum 100. Geburtstag von Ernesto Cardenal

Am 20. Januar wäre der große nicaraguanische Dichter, Priester und Revolutionär Ernesto Cardenal 100 Jahre alt geworden. Während der sandinistischen Revolution war er zwischen 1979 und 1987 Kulturminister, später wurde er zu einem der schärfsten und kompromisslosesten Kritiker von Diktator Daniel Ortega. Die LN dokumentieren hier sein politisches Vermächtnis (1990) im Wortlaut.

Von Ernesto Cardenal (Übersetzung: Lutz Kliche)
(Foto: Privat)

Ich gehörte zu den Ersten, die aus der Frente Sandinista (FSLN) austraten, indem ich sagte: „Dies ist nicht mehr die Frente Sandinista, der wir uns einmal angeschlossen haben.“ Und ich machte deutlich, dass ich zwar aus der Partei austrat, doch weiter Sandinist und Revolutionär blieb. Fast alle anständigen Mitglieder traten gleichfalls aus der FSLN aus, die unter Führung von Daniel Ortega die Revolution verriet.

Überall befindet sich die politische Linke in der Krise. Nach der verlorenen nicaraguanischen Revolution kam es zum Zusammenbruch des Sozialismus im Ostblock, zum Scheitern von Guerillagruppen und revolutionären Bewegungen und zum Sieg volksfeindlicher, wenn auch vom Volk gewählter Regierungen, die in einigen Fällen sogar vom Volk wiedergewählt wurden.

Die Demokratie kann nicht ohne Wahlen existieren, doch sind Wahlen keine Garantie dafür, dass Wahrheit und Gerechtigkeit siegen. Denn Völker können manipuliert werden. Wie viele Tyrannen und Despoten auf der Welt sind nicht schon durch Wahlen an die Macht gekommen!

Gibt es einen Ausweg? Die Evolution findet immer einen Ausweg. Wie nie zuvor bringt die Evolution überall auf der Welt Menschen hervor, die eine Veränderung wollen und erklären, dass eine andere Welt möglich ist; Männer und Frauen, die Vorboten dieser Evolution sind, die sich mehr und mehr ihrer selbst bewusst wird. Können wir uns vorstellen, wie die Menschheit in Tausenden von Jahren sein wird? Wie können wir sagen, dass das Ende der Utopien erreicht ist?

In Nicaragua ging die Revolution verloren, doch wir Christen müssen uns immer im Klaren darüber sein, dass wir der Gefahr der Niederlage ausgesetzt sind, genauso wie Jesus. Und dass wir, genauso wie er, kämpfen müssen, ohne uns eines baldigen Sieges gewiss zu sein.

Wir glauben, dass das Himmelreich auf dieser Erde sein wird, aber auch im Himmel. Man braucht nur nachts nach oben zu blicken, um es zu sehen. Es sind diese Millionen und Abermillionen von Sternen mit bewohnten Planeten, auf denen Evolutionen und Revolutionen stattfinden wie auf dem unseren. Das „Himmelreich“ – das ist die Erde und der gesamte Kosmos, die Gesellschaft der bewohnten Planeten. Es wird weitere, neue Revolutionen geben. Lasst uns Gott darum bitten, dass seine Revolution geschehe wie im Himmel so auf Erden!


Hola!

Wenn Dir gefällt, was du hier liest, dann unterstütze unsere ehrenamtliche Redaktion doch mit einem Abo! Das gibt's schon ab 29,50 Euro im Jahr. Oder lass uns eine Spende da! Egal ob einmalig 5 Euro oder eine monatliche Dauerspende – alles hilft, die LN weiter zu erhalten, Gracias ❤️

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren