Ecuador | Nummer 490 - April 2015

Das Problem, zu politisch zu sein

Der indigene Dachverband CONAIE kämpft um sein Gebäude und gegen geplante Gesetzes- und Verfassungs­änderung

Trotz Protesten hält die Regierung Ecuadors an der Räumung des Hauptsitzes der indigenen Organisation CONAIE fest. Aktivist*innen vermuten politische Motive hinter der Entscheidung. Verfassungsänderungen bedrohen indes die Rechte indigener Gemeinden immer weiter.

Franziska Kusche

Am 10. Dezember teilte das ecuadorianische Ministerium für soziale und ökonomische Integration MIES ihre Entscheidung mit. Der Pachtvertrag des Gebäudes an der Kreuzung der Avenida Granados und der Avenida 6 de Diciembre im Zentrum der Hauptstadt Quito wird nicht verlängert.
Bis zum 6. Januar sollte das Haus, das seit 25 Jahren Hauptsitz der indigenen Dachorganisation CONAIE ist, geräumt werden. Zwar ist das Gebäude Eigentum des Staates. Es wurde aber seit 1981 an verschiedene indigene Organisationen und seit 1991 an die CONAIE verpachtet. Zur Begründung hieß es zunächst, dass die Räumlichkeiten benötigt würden, um ein Entzugszentrum für drogenabhängige Kinder und Jugendliche einzurichten.
Präsident Rafael Correa bot auf der sabatina, seiner wöchentlichen Samstagsansprache, eine andere Sichtweise. Der CONAIE sei das Gebäude für sozio-organisatorische Aufgaben bereitgestellt worden, seiner Meinung nach werde hier aber aktiv Oppositionspolitik betrieben. Zudem hätte er die Entscheidung, den Vertrag mit der CONAIE nicht zu verlängern, bereits 2011 getroffen. Schon zu diesem Zeitpunkt habe sich die Dachorganisation nach seinem Empfinden nicht mehr repräsentativ für die Anliegen der indigenen Bevölkerung eingesetzt. „Die ziehen sich einen Poncho an und stehen über allem Guten und Bösen“, sagte Correa. Allerdings habe der „romatische linke Teil“ seiner Regierungspartei Alianza PAIS ein Ende des Pachtvertrages immer wieder verhindert.
Nach Bekanntwerden der Entscheidung entwickelte sich rasch eine nationale sowie internationale Solidaritäts- und Protestwelle, die das Vorgehen der Regierung entschieden verurteilte. Intellektuelle, Politiker*innen und Aktivist*innen, wie der portugiesische Rechtssoziologe Boaventura de Sousa Santos, richteten sich in einem offenen Brief an Präsident Correa. „Die CONAIE aus ihrem Haus zu werfen, ist ein Akt der Ungerechtigkeit und politisch vollkommen unvernüftig”, heißt es in dem Schreiben.
Selbst Mitglieder der Regierungspartei kritisierten die Räumung auf Twitter. Abgeordnete der Oppositionspartei Pachakutik, die die indigenen Interessen vertritt, beantragten, das Objekt gänzlich an die CONAIE zu übertragen. Für viele stellt die Zuerkennung des Gebäudes nicht nur einen Akt der symbolischen Reparation für 500 Jahre Unterdrückung und Kolonialismus dar, sondern auch eine Anerkennung der politischen Arbeit der CONAIE für die Entwicklung des Landes im Sinn des indigenen Konzepts Buen Vivir („Gutes Leben“).
Aus eben dieser politischen Arbeit ergeben sich aber zunehmend Konflikte. Vor internationalem Publikum während des Klimagipfels in Lima bezichtigten Abgesandte der CONAIE die Regierung, den Mord an José Tendetza, einem Gegner der Erdölförderung im südlichen Amazonasgebiet, in Auftrag gegeben zu haben. „Vor diesem Hintergrund verstehen wir das Vorgehen der Regierung als Vergeltungsschlag gegen die Indigenen und gegen soziale Organisierung“, erklärte das Bündnis in einer Pressemitteilung.
Des Weiteren übt die CONAIE scharfe Kritik an dem neuen „Gesetz zum ländlichen Besitz und kommunitären Territorien“ sowie an den geplanten Verfassungsänderungen. In den letzten Jahren haben bäuerliche und indigene Organisationen immer wieder Vorschläge für eine Landreform diskutiert und präsentiert, die Zugang und Verteilung von Landbesitz in Ecuador neu regeln soll. Dies beruht auf der Möglichkeit öffentlicher Initiativen und Volksbefragungen, die in der Verfassung von 2008 als Mittel der direkten Demokratie festgehalten sind.
Diese Debatte griff die aktuelle Regierung auf, ließ allerdings zuvor öffentlich diskutierte Positionen außer Acht. Das Problem sei nicht die Landverteilung, sondern die Produktivität der Bäuerinnen und Bauern. Aus diesem Grund zielt der neue Gesetzesentwurf auf eine Industrialisierung des Agrarsektors. „Wer Mais anbaut und Mehl oder andere bereits verarbeitete Produkte verkauft, wird mit Krediten gefördert. Wer Mais anbaut und Mais verkauft, geht leer aus“, sagt CONAIE-Vorstandsmitglied Floresmilo Simbaña im Gespräch mit den Lateinamerika Nachrichten. Laut Simbaña würde dies eine Monopolisierung des landwirtschaftlichen Besitzes und der Produktion vorantreiben und vor allem Kleinbäuerinnen und -bauern treffen, denen so der Zugang zum Markt und zu Krediten versagt bleibe.
„Aus der Vorgehensweise zum Entwurf dieses Gesetzes wird aber vor allem ein weiteres Mal ersichtlich, wie die Regierung Mittel direkter Demokratie weiter einschränkt und durch die geplanten Verfassungsänderungen wieder abschaffen will“, sagt das CONAIE-Mitglied. Die zwölf Punkte zur Verfassungsänderung sehen unter anderem die Einführung der uneingeschränkten Wiederwahl des Präsidenten und aller anderen gewählten Ämter bis hin zu den Bürgermeister*innen vor. Darüber hinaus soll das Militär für innenpolitische Zwecke eingesetzt werden können und öffentliche Kommunikation als staatliche Dienstleistung definiert werden. Außerdem sollen Volksbegehren auf nationaler sowie lokaler Ebene thematisch eingeschränkt werden.
So soll es nicht mehr möglich sein, lokale Befragungen zu Themen von nationalem Interesse durchzuführen. Die Einstufung obliegt der Regierung, die dann beispielsweise ein Bergbau- oder Ölförderungsprojekt, welches vier Gemeinden betrifft, als nationales Interesse einstufen und so von einer lokalen Volksbefragung ausschließen kann. Vor allem das Recht zur autonomen Selbstbestimmung indigener Gruppen wird damit immer weiter ad absurdum geführt. Der Widerstand gegen die Erdölförderung im Yasuní-Nationalpark oder die Bergbauvorhaben in der Intag-Region (siehe LN 478) verdeutlichen, wie ausschlaggebend die geplanten Verfassungsänderungen für die Regierung und ihre Entwicklungsvorstellungen sind.
Zunächst wurden diese Fälle als nationales Interesse eingestuft. Dadurch konnten das in der Verfassung festgehaltene Verbot zur Ressourcenförderung in Naturschutzgebieten und die vorgeschriebene Befragung und freie Entscheidungsfindung der in diesen Gebieten lebenden Gruppen einfach umgangen werden. Als daraufhin das zivilgesellschaftliche Bündnis YASunidos nahezu 758.000 Unterschriften sammelte, um eine nationale Befragung einzuleiten, erklärte der Nationale Wahlrat CNE mehr als die Hälfte der gesammelten Unterschriften für ungültig, weshalb die Regierung das Anliegen der Umweltschützer*innen gänzlich ablehnte. Für die Einleitung eines nationalen Referendums wären 580.000 Unterschriften notwendig gewesen (siehe LN 479, 480, 485). Seitdem ist eine zunehmende Militarisierung und Abriegelung des Gebietes um den Yasuní-Nationalpark zu beobachten. Auch der deutschen Umweltdelegation des Bundestages, welche Ende vergangenen Jahres in den Nationalpark reisen wollte, um die Projekte deutsch-ecuadorianischer Kooperation zu besichtigen, wurde die Einreise nach Ecuador verweigert. Die Zeiten „kolonialer Kontrolle“ seien vorbei, hieß es. Das Militär war es auch, das den Weg für Probebohrungen im widerständigen Intag-Tal frei machte. Bauernaktivist Javier Ramírez, der in diesem Protest eine wichtige Rolle einnahm, wurde nach zehn Monaten Untersuchungshaft wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt und Beschädigung eines Fahrzeuges zu weiteren zehn Monaten Haft verurteilt.
„Das Problem ist das Konzept, welches die derzeitige Regierung von der Funktionsweise eines Staates und gesellschaftlicher Repräsentation hat“, erläutert Simbaña. „Der Staat hat nicht nur die ausführende Gewalt inne, sondern es soll auch eine monopolisierte direkte Beziehung zur Gesellschaft ohne jegliche Form von Mediation geben. Sozialpolitische Organisationen wie die CONAIE werden auf Grund ihrer politischen Arbeit als korporatistisch und demokratiezersetzend eingestuft.“ Somit erweckt der geplante Entzug des CONAIE-Hauptsitzes den Eindruck einer Politik, die sich mit ihren Kritiker*innen nicht in Form einer politischen Debatte auseinandersetzt.
Nach dem Einspruch der indigenen Dachorganisation gegen den Räumungsbescheid im Januar, hatte das zuständige Ministerium nach zwei Monaten rechtlicher Bearbeitungszeit am 6. März jegliche Forderungen zurückgewiesen. „Im Moment sind wir einer Wirtschaftsprüfung von Seiten des Staates ausgesetzt, was insofern absurd ist, als wir keine Gelder vom Staat erhalten. Man sucht auf jede erdenkliche Weise nach rechtlich vertretbar erscheinenden Gründen uns rauszuwerfen. Aber wir werden auch dagegen Berufung einlegen“, gibt sich Simbaña kämpferisch.
Eine britische Rockband namens Skunk Anansie hat mal gesungen „Yes, it´s fucking political! Everthing is political!“ („Ja, es ist scheißpolitisch! Alles ist politisch!“). Wahrscheinlich ist genau das das Problem und die Lösung.

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