Das Schiff der Verdammten
Die lange Irrfahrt der St.Louis
Als sich zeigte, daß die USA jüdische Flüchtlinge nur begrenzt aufnahm, und als selbst solche, die auf den Quotenlisten standen, wegen der langen Wartezeit ihre Aussichten auf rechtzeitige Rettung schwinden sahen, ergriffen viele die Möglichkeit, zunächst in süd- und mittelamerikanische Länder auszuwandern. Dort hofften sie dann, entsprechend den Quoten für das jeweilige Geburtsland, ein Visum für die USA zu erhalten. Wichtigste Zwischenstation auf dem Weg in die Vereinigten Staaten war Kuba. Vor allem nach der Pogromnacht im November 1938 erschien Kuba wegen seiner Nähe zu den USA und seiner damals noch liberalen Einwanderungspolitik am geeignetsten für einen vorläufigen sicheren Aufenthalt.
Curt Eichelbaum, Berliner Rechtsanwalt und Notar, schrieb seinem Freund Hans Engelmann in Berlin über die Reise von Le Havre nach Havanna Anfang April 1939: “Wir genießen die Fahrt ins Ungewisse, erst recht, daß man uns durchaus als Menschen behandelt. Tausend Kilometer und zwei Visa-Barrieren trennen uns noch von den USA … In drei Tagen werden wir auf den Bahamas sein; wenn alles gut geht, einen Tag später in Havannna. Noch knapp 100 weitere Passagiere steigen dort aus, die rund 300 anderen reisen weiter nach Mexiko, Panama, Costa Rica, Chile, einer sogar nach Neuseeland. Wer hätte je gedacht, daß wir soweit herumkämen. Join the Jews and see the world …!”1 Die Reina del Pacífico, auf der Eichelbaum und seine Familie reisten, war das letzte Schiff, dessen Kuba-Passagiere zumindest zur Hälfte an Land gehen durften, zum Teil aber zunächst im Gefängnis Castillo del Morro festgehalten wurden.
Ein hartes Schicksal traf dann jene, die sich am 13. Mai 1939 mit dem Dampfer der Hapag, St. Louis, von Hamburg nach Kuba einschifften. Dr. Oskar Schwartz war einer der Passagiere: “In dieser Zeit (Ende 1938) hatte sich die Möglichkeit ergeben, für einen Betrag von einigen hundert Dollar ein Permit für Kuba zu erwerben. Wir nutzten diese Gelegenheit aus und erhielten von dem Agenten, der diese Sache durchführte, die Nachricht, da uns das Permit zugesagt sei und daß wir für sofortige berweisung des Betrages aus Paris Sorge tragen sollten … Durch Telegrammwechsel und Telefonat mit Paris erreichte ich schließlich noch die rechtzeitige Überweisung nach Kuba, und wir erhielten umgehend das Permit. Die Beschaffung der Schiffsplätze ging auch nicht ohne Schwierigkeiten vor sich. Die Hapag hatte für 1000 Passagiere, die alle das gleiche Permit für Kuba hatten, ein besonderes Schiff, den größten Dieselmotordampfer, die St. Louis in Dienst gestellt … So fuhren wir am 13. Mai 1939 mit der St. Louis von Hamburg nach Kuba … Nach einer wunderbaren Reise in schönstem Wetter auf dem Atlantik kamen wir frohen Mutes in Havanna an. Als alle Passagiere sich bereits zur Ausschiffung bereit gemacht hatten, kam die katastrophale Meldung, daß der Präsident von Havanna im letzten Moment die Landung verboten habe, und kubanische Polizei kam an Bord, um uns zu bewachen. Gründe für dieses Verbot sind uns nicht bekannt.”2
Tatsächlich hatten die Passagiere nicht erfahren, daß die Permits, die Landungserlaubnisse der kubanischen Einwanderungsbehörde kurz vor dem Auslaufen der St. Louis am 4. Mai ungültig geworden waren.3 Anfang Mai 1939 hatte der kubanische Präsident Federico Laredo Bru ein Dekret unterzeichnet, das von den Flüchtlingen ein Visum verlangte, das vom Außen-, Arbeits und vom Finanzministerium in Kuba genehmigt sein mußte. Damit waren alle Blankogenehmigungen, die der Hamburg-Amerika-Linie zum Weiterverkauf überlassen worden waren, ungültig. Die Schiffahrtsgesellschaft hatte die Reise mit den 936 Passagieren aber dennoch gewagt, weil die Hapag die Zusicherung erhielt, daß die Flüchtlinge an Land gehen dürften. Das Gegenteil trat ein, wie Oskar Schwartz berichtete: “Der amerikanische Joint nahm sich sofort der Sache an, es kamen führende Persönlichkeiten aus New York herübergeflogen, aber alle Bemühungen blieben vergeblich, selbst das Angebot des Joint, eine halbe Million Dollar für den Fall der Erlaubnis zu bezahlen, wurde abgelehnt. So mußte die St. Louis mit allen jüdischen Auswanderern Havanna verlassen, nachdem der Kapitän aus Hamburg die telegrafische Weisung ‘Kurs Hamburg’ erhalten hatte. Die Stimmung an Bord war verzweifelt. Jetzt aber griff die Weltöffentlichkeit durch Vermittlung des Joint ein, und als dies bekannt wurde, legte sich der erste Schock … Es trat keine Panik ein, nicht zuletzt durch das Verhalten des Kapitäns Schröder, eines wahrhaften Menschen, dem alle Passagiere nicht genug dankbar sein konnten. Schließlich gelang es dem Vertreter des amerikanischen Joint in Paris, Monsieur Tropper, die Länder Belgien, England, Frankreich und Holland dazu zu bewegen, je ein Viertel der Passagiere gegen Zahlung des dem kubanischen Präsidenten angebotenen Betrages bei sich aufzunehmen. Wir kamen auf die englische Liste und landeten im Juni 1939 in Southampton; wir waren gerettet.”4 Andere hatten weniger Glück, sie gerieten später, nach der deutschen Besetzung, etwa in Holland oder Frankreich, erneut in die Verfolgungsmaschinerie der Nationalsozialisten und wurden, soweit ihnen nicht abermals die Flucht gelang, deportiert und ermordet.
Erst in den Jahren 1940/1941 nahm Kuba dann erneut eine liberalere Haltung gegenüber den jüdischen Flüchtlingen ein; so konnten durch kubanische Visa noch eine großere Zahl von Juden und Jüdinnnen auf dem Weg über Lissabon gerettet werden.
1 Bernt Engelmann, Die unfreiwilligen Reisen des Putti Eichelbaum, München 1986, S. 124.
2 Oskar Schwartz, Frustrated Emigration to Cuba, Sammlung Wiener Library, P IIf, Nr. 200.
3 Vgl. Hans Herlin, Die Reise der Verdammten. Die Tragödie der St. Louis, Wiesbaden, München 1977, S. 16ff.
4 Schwartz, Frustrated Emigration.