Literatur | Nummer 279/280 - Sept./Okt. 1997

Das Schokoladenbonbon

Über den guatemaltekischen Dichter Humberto Ak’abal

Im Mai 1997 wurde Humberto Ak’abal anläßlich des VII. Internationalen Poesietreffens in Neuenburg (Neuchâtel) mit dem Schweizer Lyrikpreis “Blaise Cendrars” ausgezeichnet, der zum ersten Mal an einen lateinamerikanischen Dichter vergeben wurde. Während der Preisverleihung sagte ihm ein Zuhörer, daß seine Poesie wie ein Schokoladenbonbon sei, das unmittelbar auf der Zunge zergehe; andere machten lange Würste, die keiner verdauen könne.

Tobias Burghardt

Wenngleich kulinarische Vergleiche für sein Werk ziemlich abwegig sind, amüsierte sich Ak’abal köstlich darüber, weil doch eigentlich zum Ausdruck kommen sollte, daß seinen oft kurzen und lakonisch anmutenden Gedichten eine eindrucksvolle Vermittelbarkeit zueigen ist. Hier ein erstes Beispiel.

Ferne

In diesem kleinen Land
ist alles weit entfernt:

das Essen,
die Literatur,
die Kleidung.

Sein eigentlicher Name lautet Kaqulja Ak’abal und bedeutet in der Mayasprache Quiché “Sturm am Morgen”, aber bei der Geburtsmeldung erlaubte man damals – in “diesem kleinen Land” Guatemala – keinen indianischen Vornamen, sondern lediglich einen spanischsprachigen, der dann Humberto war. Humberto Ak’abal wurde 1952 in Momostenango, Provinz Totonicapán, geboren. Nach der Schulzeit schlug er sich erst mit einigen Gelegenheitsjobs durch, bevor er 1990 mit der Veröffentlichung seiner Gedichtbände beginnen konnte. Darunter befinden sich folgende Buchtitel: “Ajyuq’ – El animalero” (1990); “Guardián de la caída de agua” (1993); “Hojas del árbol pajarero” (1995); “Ajkem tzij – Tejedor de palabras”, zweisprachig, Quiché-Spanisch (1996); “Lluvia de luna en la cipresalada” (1996). Die Journalistenvereinigung Guatemalas APG erklärte seinen zweiten Gedichtband “Guardián de la caída de agua” zum Buch des Jahres 1993 und ehrte den Dichter mit dem Kulturpreis “Quetzal de Oro”.
Der fast neunzigjährige guatemaltekische Romancier und Sozialwissenschaftler Mario Monteforte Toledo eröffnete seinen Aufsatz mit dem Titel “Der Fall Ak’abal” in der Zeitschrift “Revista USAC/ letras” mit folgenden Worten: “Der Fall Ak’abal ist das größte Ereignis in der aktuellen Literatur Guatemalas. Der erste Maya-Dichter, der aus einem Volk kommt, das die Wörter verschluckt, weil ihm nach vier Jahrhunderten der Herrschaft von Schwert und Kreuz die Stimme geraubt wurde.”
Ak’abal schreibt in erster Linie für sich und sein Volk, daher auch die poetische Vermittelbarkeit, doch nicht allein in der Mayasprache, sondern auch in der spanischen Sprache, in die er seine Gedichte dann weiterübersetzt. Er fügt der Maya-Literatur, wozu das Schöpfungsbuch “Popol Vuh” und die archaische Maya-Poesie gehört, ein völlig neues Kapitel hinzu. Seine meditativen und lautmalerischen Gedichte sind in der zum Teil noch intakten Kulturtradition einer integralen Weltsicht der Maya-Nachfahren verankert, in der einst die Steine, Pflanzen und Bäume, Tiere und Menschen miteinander lebten, sprachen und träumten. Die zeitgenössische Poetik der Verse Ak’abals korrespondiert auf schlichte Weise mit dem zivilisatorischen Zeitsprung. Ak’abal zählt zu den Mitbegründern einer innovativen indigenen Poesie.

Poesie

Die Poesie ist Feuer,
das in einem brennt
und im anderen,

ansonsten wird es irgend etwas sein,
aber nicht Poesie.

Dieses poetische Phänomen kann man aber auch sonst in Lateinamerika beobachten, wenn man zum Beispiel nach Südchile schaut und die junge Poesie der Mapuche-Dichter, darunter Elicura Chihuailaf und Lorenzo Aillapán Cayuelo, kennenlernt.
Als Ak’abal im vergangenen Jahr beim VI. Internationalen Poesiefestival in Medellín im Theatersaal Camilo Torres der Universität von Antioquia vom stürmischen Applaus bei seiner Lesung – an einem Tisch mit Dichtern aus Bosnien-Herzegowina, Japan, Kolumbien und Brasilien – überrascht wurde, war er so stark bewegt, daß er kaum mehr weiterlesen konnte und schließlich seinen Gedichtband ins Publikum warf, um aufhören zu dürfen und sich wieder irgendwie zu sammeln. Aus dieser unerwarteten Erfahrung entstand sein folgendes Gedicht.

Verwirrung

Abdulah Sidran,
Marilia und Gozo Yoshimasu,
Henry Luque Muñoz,
Lindolf Bell
und ich.

Sprachverwirrung,
Vogelgestalten der Poesie,
Blumenregen

und 3.000 Rufe
im Saal “Camilo Torres”
der Universität
von Antioquia.

Harald Hartung, der in Berlin lebende Lyriker und Literaturprofessor, schrieb folgende Zeilen über Humberto Ak’abal: “Wir begegnen dem in der Mayasprache dichtenden Humberto Ak’abal. ‘Was ist das für ein Lärm?’ beginnt der ehemalige Schafhirte und Teppichweber ein Gedicht und hängt an die Antwort ‘Eine Uhr’ die listige Frage: ‘Wem ist so was bloß eingefallen?’ Ak’abals lakonisch-witzige Poesie besteht sehr wohl neben Antonio Cisneros, Haroldo de Campos und Alvaro Mutis.” (FAZ, 5.12.1996)

Ak’abal lebt heute in Momostenango und Guatemala-Stadt. Erste Gedichtproben von ihm wurden ins Französische, Englische, Italienische und auch ins Deutsche übersetzt und in Anthologien und Literaturzeitschriften veröffentlicht, hierzulande in: “Literaturmagazin”, “Chelsea Hotel” sowie “Das Gedicht”.

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