Mexiko | Nummer 343 - Januar 2003

Das Schweigen der Bewegung

Ein Interview zur Situation in den autonomen Gemeinden der Zapatisten in Chiapas

Diego Méndez Guzmán ist Schriftsteller und veröffentlicht seine Texte hauptsächlich auf Tzeltal und Tzozil, den indigenen Mayasprachen seiner Region, dem Norden Chiapas. Mit der Gründung des Hauses der Maya-Schriftsteller und Schriftstellerinnen „Sna Jtz’ibajom“ in San Cristobal de las Casas im Jahre 1983 legte er einen Grundstein für die vielsprachige Schulerziehung im Süden Mexikos.

Harry Thomaß

Wie organisieren die zapatistischen Gemeinden ihre Autonomie?

Lass uns über die Schulbildung in den autonomen Gemeinden sprechen, dazu kann ich etwas sagen.
Die Kinder in den autonomen Gemeinden gehen nicht in die staatlichen Schulen, sondern die Bevölkerung organisiert den Lehrbetrieb in autonomen Schulen. In den autonomen Regionen gestalten die Zapatisten ihre eigenen Lehrpläne und wenden sich gegen die Lehrpläne, die von der Regierung gemacht sind. Sie gestalten neue Inhalte, in denen die indigenen Sprachen eine wichtige Rolle spielen. Staatliche Hilfe jeglicher Art lehnen sie ab. Sie akzeptieren nur die Unterstützung von mexikanischen oder ausländischen NGO’s.

Woher kommen die Lehrer in den autonomen Gemeinden?

Sie kommen aus den selben Gemeinden, denn sie bilden sich gegenseitig aus und helfen sich gegenseitig in den Unterrichtsstunden. Und die Unterrichtsmaterialien werden von NGO’s geliefert. Die zapatistischen Gemeinden haben von dem Haus der SchriftstellerInnen, dem Sna Jtz’Bajom in San Cristobal de las Casas, zum Beispiel Unterrichtsmaterialien angefordert, um ihre Kinder in Tzeltal und Tzozil zu unterrichten und so die eigene Kultur zu stärken.

Man hat lange nichts von den Zapatisten gehört. Sind die Gemeinden an einen Punkt angelangt, an dem sie erreicht haben, was sie wollen?

Nein, der Kampf ist noch lange nicht beendet. Es geht in diesem Kampf um Respekt. Und deshalb lernen die Kinder im Rahmen dieser neuen Schulen,
ihre eigene Kultur zu respektieren. Die Ausbildung geht weiter.

Wie sind die autonomen Gemeinden politisch organisiert?

Im gebirgigen Norden von Chiapas liegt zum Beispiel San Andrés Larainzar, wo der Dialog zwischen der nationalen Regierung und der EZLN 1995 bis 1996 stattfand. San Andrés ist heute gespalten. Es gibt einen autonomen Bürgermeister und einen offiziellen von der PRI. Die autonomen Gemeindemitglieder wenden sich mit ihren Angelegenheiten natürlich an den autonomen Gemeindepräsidenten und lösen ihre Probleme gemeinsam, aber ohne den offizellen Bürgermeister. Dieses System wird permanent korrumpiert. Die von der PRI mischen sich oft mit Gewalt in die Angelegenheiten der autonomen Gemeinde und versuchen dieses paralelle System zu zerstören. Sie wollen, dass die Autonomen wieder zu Anhängern der PRI werden. Es ist hier wie in Deutschland, über die Mauer konntest du nicht rüber. Nur dass es in Chiapas etwas freier ist. Die Autonomie ist in Sektoren unterteilt, in PRI und Autonome, und die vermischen sich nicht.

Natalio Hernandez, ein anderer indigener Schriftsteller (vgl. LN Nr. 341), bezeichnete das Schweigen der Zapatisten als eines, das klingt und nicht stumm ist. Wie interpretieren sie das Schweigen der Zapatisten?

Für die Zapatisten bedeutet das Schweigen sehr viel. Obwohl im Moment die Waffen schweigen, ist überall Bewegung. Sie ist kaum wahrnehmbar und nicht mehr so stark wie 1994. Aber in San Cristobal und in Ocosingo in der Selva Lacandona gibt es Demonstrationen, nicht sehr große aber permanente Demos kultureller, wirtschaftlicher und politischer Art. NGO’s engagieren sich gegen den Krieg. Die Vereinigungen der Zivilgesellschaft versuchen Konfrontationen zwischen den verfeindeten Bevölkerungsteilen zu verhindern, vor allem innerhalb der eigenen Dörfer. Aber viele Menschen, ich betone das hier noch mal, viele Personen der PRI, suchen die Konfrontation und wollen die Autonomie zerstören. Sie suchen eine Form, um dieses Schweigen zu zerstören.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Vor kurzem gab es einige Zusammenstöße in der Selva an den zapatistischen Kontrollpunkten. Holzfäller versuchen weiterhin Tropenhölzer aus dem Wald zu holen. Aber die Zapatisten haben an der Grenze zu ihrem Gebiet Wachposten eingerichtet und lassen die Holzfäller nicht passieren. Sie wollen nicht, dass in ihrem Gebiet weiterhin abgeholzt wird. An einen solchen Kontrollpunkt entwickelte sich ein gewaltätiger Konflikt.

Wie ist die gegenwärtige Situation in Chiapas?

Also die Bewegung ist nicht am Ende. Zapatisten und Militär stehen sich gegenüber, greifen sich aber nicht an. Das einzige wirklich gefährliche sind die Paramilitärs, die sich in den autonomen Gemeinden befinden.

Wie? Die sind in den autonomen Gemeinden?

Ja, sie gehen maskiert in die autonomen Gemeinden und suchen Möglichkeiten, einen Streit vom Zaun zu brechen. Aber die Bevölkerung organisiert sich gegen diese Verdächtigen, die sogar in Häuser eindringen und Zerstörung anrichten.
Die Polizei des Bundesstaates ist in die Gemeinden gegangen und hat die Häuser durchsucht, um herauszufinden, wer die Zapatisten sind. Gegen die Paramilitärs geht die Polizei aber nicht vor. Die Regierung spielt ein falsches Spiel.

Also gibt es eine direkte Verbindung von den Paramilitärs zur PRI?

Ja, natürlich! Sie wurden sogar von der PRI ausgebildet. Seit 7 Jahren leben die Menschen in den autonomen Gemeinden in großer Besorgnis, denn sie werden von den Paramilitärs beraubt. Sie überfallen Reisebusse und sind vermummt wie die Zapatisten.

Interview: Harry Thomaß

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