Mexiko | Nummer 382 - April 2006

Das schwierige erste Mal

Die erste Wahlteilnahme von mexikanischen MigrantInnen ist von enormen Problemen gekennzeichnet

Im letzten Jahr wurde ein Gesetz verabschiedet, dass MexikanerInnen im Ausland die Teilnahme an den mexikanischen Wahlen ermöglicht. Somit können diese bei den Präsidentschaftswahlen im Juni 2006 erstmals ihre Stimme abgeben. Jedoch haben die zu erfüllenden Bedingungen und die geringe Zahl der Anträge auf Teilnahme zu einem Streit über den Erfolg des neuen Wahlgesetzes geführt.

Carolina Hernández

Die Migration von MexikanerInnen in die USA ist in den letzten fünfzig Jahren permanent angestiegen. Summiert man die MexikanerInnen mit doppelter Staatsbürgerschaft, sowie jene mit offiziellem und inoffiziellem Aufenthaltsstatus, gehen Schätzungen davon aus, dass momentan ungefähr 22 Millionen Menschen mexikanischer Herkunft in den USA leben. Über die Zeit haben sich sehr unterschiedliche Beziehungen entwickelt, die die MigrantInnen mit ihrem Herkunftsland unterhalten. So haben einige praktisch jeden Kontakt mit Mexiko abgebrochen und begreifen sich vornehmlich als US-BürgerInnen. Andererseits ist die Zahl jener MexikanerInnen in der Mehrheit, die unabhängig von der US-amerikanischen Staatsbürgerschaft um Repräsentation im politischen System Mexikos kämpfen.
Zu dieser zweiten Kategorie gehören auch jene MigrantInnen, die sich seit Mitte der 90er Jahre organisiert haben, um das Recht auf Teilnahme an den mexikanischen Wahlen zu erhalten. Zu diesen Organisation zählen zum Beispiel die Organización de Trabajadores Agrícolas Migrantes del Valle Central de California (Organisation der migrierten AgrararbeiterInnen des Central Valley Kaliforniens) und die Alianza por un Voto para Todos (Allianz für ein Stimmrecht für alle). Dabei wird vor allem auf die herausragende Rolle der Auslandsmexikaner in der mexikanischen Wirtschaft hingewiesen, die sie auf Grund der Geldüberweisungen spielen. Tatsächlich belief sich der Betrag dieser so genannten remesas im Jahr 2005 auf über 16 Milliarden US-Dollar. Somit stellen sie nach den Erdölexporten die zweitwichtigste Einnahmequelle Mexikos dar. Außerdem beriefen sich die MigrantInnenorganisationen auf den undemokratischen Charakter von Wahlen, wenn ca. ein Fünftel der StaatsbürgerInnen ausgeschlossen bleibe.

Ausweis, bitte!

In Anerkennung dieser Argumentation wurde bereits 1996 eine Wahlreform in die Wege geleitet, die die Wahlteilnahme aus dem Ausland ermöglichen sollte. Allerdings dauerte es bis zur endgültigen Verabschiedung des entsprechenden Gesetzes im Juni 2005 neun Jahre. Gerade noch rechtzeitig, um die Teilnahme an den Präsidentschaftswahlen im Juli 2006 zu gewähren. Es wurden vielfältige Gründe für diese lange Verzögerung angegeben. Zum einen musste untersucht werden, ob tatsächlich die Mehrheit der mexikanischen MigrantInnen Interesse an der Wahlteilnahme hat oder ob es sich hauptsächlich um den Einfluss der MigrantInnenorganisationen handelt. Außerdem ist die Vorbereitung der Wahlteilnahme einer so großen Anzahl von Menschen auch mit einigem finanziellen Aufwand verbunden, der einem Schuldnerstaat wie Mexiko nicht gerade leicht fällt. Zum anderen mussten die Modalitäten geklärt werden, wie die Teilnahme am besten zu bewerkstelligen sei. Aus diesen Gründen wurden zum Beispiel zusammen mit US-amerikanischen Universitäten Wahlprozedere simuliert und verschiedene Umfragen mit mexikanischen MigrantInnen durchgeführt.
Das letztlich verabschiedete Wahlgesetz, das alle Wahlmodalitäten festlegt, stieß jedoch schnell auf Unzufriedenheit. Die zuständige Wahlbehörde, das Bundesinstitut für Wahlen (IFE), hatte mit dem Ziel, die Rechtmäßigkeit der Wahlen sicherzustellen, Bedingungen aufgestellt, die an der Lebensrealität vieler Betroffenen vorbei gingen. So konnten nur diejenigen MigrantInnen Wahlunterlagen anfordern, die einen vom IFE ausgestellten Wahlausweis vorlegen konnten. Untersuchungen des IFE im Vorfeld ergaben, dass dies bei circa vier Millionen der Fall sei. Damit schloss die Behörde wohlwissentlich rund 60 Prozent der MigrantInnen im stimmberechtigten Alter aus. Untersuchungen der MigrantInnenorganisationen hatten zudem ergeben, dass die Zahl der Ausweislosen noch erheblich höher lag, nämlich bei 70 bis 80 Prozent – und somit nur etwa zwei Millionen im Besitz eines Wahlausweises sind. Bei den anderen handelt es sich vor allem um Menschen, die bereits vor der Einführung des Wahlausweises Mitte der 90er Jahre emigriert waren oder den Ausweis auf dem meist gefährlichen Weg der Migration verloren hatten. De facto ist eine nachträgliche Beantragung des IFE-Ausweises nicht möglich, da die Beantragung nur von mexikanischem Territorium aus zugelassen wird.
Doch auch abgesehen von dem Streit um die Voraussetzung des Wahlausweises war die Zahl der Beantragungen von Wahlunterlagen sehr gering. Als am 15. Januar 2006 die Frist ablief, waren nur knapp 57 000 Beantragungen eingegangen und das bei ungefähr zwei Millionen Berechtigten. Von dieser Zahl der Beantragungen wiederum wurden vom IFE über 14 000 zurückgewiesen. Als einer der Gründe dafür wurde zum Beispiel die Einsendung als normaler Brief, anstatt per Einschreiben genannt.

Fortschritt oder Fiasko?

Dieses magere Ergebnis der ersten Wahlteilnahme von MigrantInnen führte zu sehr unterschiedlichen Reaktionen. So erklärte das IFE die geringe Partizipation mit dem „schwierigen ersten Mal“ und sah insgesamt einen großartigen Sieg des demokratischen Fortschritts. Andere gaben zu bedenken, dass das tatsächliche Interesse der MigrantInnen am Wahlprozess überschätzt worden sei. Vor allem der durchaus berechtigte Anspruch des IFE auf rechtmäßige Wahlen habe die Teilnahme so verkompliziert, dass sich die Mehrheit der Wahlberechtigten angesichts ihrer schwierigen Lebensumstände nicht damit habe auseinandersetzen wollen. Schon die Tatsache acht Dollar für das Einschreiben zur Beantragung der Wahldokumente ausgeben zu müssen, habe demotivierend gewirkt.
Noch weiter gingen einige MigrantInnenorganisationen, die jene erste Wahlteilnahme als vollständig gescheitert bezeichneten. Wenn das IFE tatsächlich an ihrer Partizipation interessiert sei, müssten die Wahlmodalitäten vereinfacht werden. Zum Beispiel könnten in der Botschaft und in den zahlreichen Konsulaten Wahllokale eingerichtet werden. Oder man könne in den USA ein spezielles Wahlregister für MigrantInnen anlegen, in welches sich die MigrantInnen einschreiben könnten, um die Wahlunterlagen zu erhalten. Das Wichtigste sei jedoch, den Besitz des IFE-Ausweises nicht als unentbehrliche Bedingung zu machen. Stattdessen solle zur Identifikation die Geburtsurkunde dienen, die alle haben oder die, auch vom Ausland aus, problemlos zu beantragen ist.
Klar ist, dass die Balance zwischen dem Anspruch des IFE auf „saubere“ Wahlen und dem Bestreben, möglichst allen MigrantInnen die Wahlteilnahme zu ermöglichen, äußerst schwierig ist. Für ein weiteres Austarieren der Modalitäten hat das IFE jedenfalls genügend Zeit: Die nächsten Präsidentschaftswahlen finden erst 2012 statt.

Übersetzung: Manuel Burkhardt

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